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Interview mit Fairtrade-Chefin aus Köln„Wir haben schöne neue Kooperationen“

Lesezeit 7 Minuten
Fairtrade Produkte

Inzwischen sind auf dem deutschen Markt rund 7.800 Produkte mit Fairtrade-Siegel erhältlich. 

Köln – Seit 1992 bemüht sich Fairtrade um bessere Erträge für Bauern und Arbeiter in Entwicklungsländern. An der Spitze stand bis zum Eintritt in den Ruhestand Dieter Overath. Jetzt lenkt ein dreiköpfiger Vorstand den Verein. Eine von zwei Vorständinnen ist Claudia Brück. Mit ihr sprach Ralf Arenz.

Hat Dieter Overath große Fußstapfen hinterlassen?

Selbstverständlich. Nachdem er 30 Jahre an der Spitze von Fairtrade gestanden hat, sind die Fußstapfen groß. Andererseits begleite ich ihn seit 23 Jahren und bin ein bisschen mitschuldig, dass die Fußstapfen so groß sind. Wir haben den Übergang gut moderiert. Wir waren lange zu dritt in der Geschäftsführung, dann zu viert. Der größte Unterschied ist, dass wir im Vorstand keinen Vorsitzenden mehr haben, wir treffen die Entscheidungen gleichberechtigt im Team.

Der Umsatz mit fair gehandelten Produkten ist viele Jahre gewachsen. Kommen jetzt nicht nur wegen Corona schwierigere Zeiten auf Sie zu?

Wir beobachten das sehr genau. Unsere Halbjahreszahlen sagen uns erfreulicherweise, dass wir bislang gewachsen sind (siehe Kasten). Aber natürlich könnten sich die Konsumenten wegen der Klimakrise, dem Ukraine-Krieg und der Inflation zurückhalten oder günstiger einkaufen. Hoffnung macht uns eine Umfrage der Konsumforscher von der GfK. Die besagt, dass Konsumenten weiter nachhaltig einkaufen und Fairtrade die Treue halten wollen. Wir sind gespannt, wo wir Ende des Jahres stehen.

Zur Person und zum Unternehmen

Zur Person

Brück NEU

Claudia Brück

Claudia Brück startete nach journalistischer Tätigkeit 1999 bei dem noch TransFair genannten Verein. 2012 wurde sie stellvertretende Geschäftsführerin, 2015 stellvertretende Vorstandsvorsitzende. Seit 2022 stellt sie mit Detlev Grimmelt und Katja Carson den dreiköpfigen Vorstand. Sie ist unter anderem verantwortlich für die strategische Kommunikation.

Das Unternehmen

Fairtrade-Deutschland, vor 30 Jahren gegründet, sitzt in Köln und vergibt das Fairtrade-Siegel. Alle Akteure entlang der Lieferkette werden kontrolliert und zertifiziert. Bauern erhalten Mindestpreise, die nachhaltiges Wirtschaften ermöglichen, und Prämien, die sie für für Fortbildungen, Investitionen ins Geschäft oder soziale Projekte nutzen können.

Nach Rekordumsatz mit Fairtrade-Produkten von 2,1 Milliarden Euro 2021 wuchsen die Erlöse im ersten Halbjahr um fünf Prozent. Zulegen konnte Bananen, Kakao, Tee und Kaffee, umsatzstärkstes Produkt mit einem Anteil von über 30 Prozent. Bei Rosen sank der Absatz um 29 Prozent. (raz)

Der Handel berichtet über einen Trend zu Einkäufen bei Discountern.

Wir spüren, dass die Discounter stärker werden. Für Fairtrade ist das zunächst keine große Veränderung, weil Produkte mit unserem Siegel in Fachgeschäften, in Supermärkten und im Discount vertreten sind. Die konventionelle Fairtrade-Banane ohne Bio-Siegel gibt es nur im Discount. Und Aldi und Lidl haben große Teile ihrer Sortimente auf Fairtrade umgestellt.

Ist Kaffee ihr Renner?

Kaffee ist unser ältestes und bekanntestes Produkt. Es macht auch den größten Umsatz. Deshalb hatten wir auch im ersten Corona-Jahr zu kämpfen, weil die Gastronomie lange geschlossen war. Im letzten Jahr war Kaffee der Grund, warum wir stark zugelegt haben.

Rosen habe Ihnen auch viel Freude gemacht.

Rosen machen uns gerade Sorgen. Sie konnten bei zusammenbrechenden Lieferketten wegen Corona nicht mehr gehandelt werden, weil es kaum noch Luftverkehr gab. Nach einer Erholung sind Rosen jetzt doppelt gebeutelt. Der russische Markt ist weggebrochen, so dass es ein Überangebot und einbrechende Preise gab. Und jetzt kaufen Verbraucherinnen und Verbraucher in Deutschland weniger Rosen.

Tut sich Fairtrade immer noch schwer mit Textilien?

Das ist immer noch so. Zum einen geht es um den Rohstoff Baumwolle. Wir habe hier treue Marken, die Fairtrade-Baumwolle verkaufen. Der große Durchbruch hat bislang aber nicht stattgefunden. Wir vergeben auch ein Fairtrade-Textilsiegel für die gesamte Lieferkette - also über Spinnerei, Färberei, Weberei und Nähfabrik. Die textilen Lieferketten sind undurchsichtig. Textilien gehen durch viele Hände, und der Handel geschieht mit hohem Zeit- und Preisdruck. Das wollen wir verändern und haben mit Brands Fashion einen Anbieter gefunden, der Produkte nach dem Textilstandard anbietet. Der VfB Stuttgart hat in seinem Merchandising auf diese Produkte umgestellt. Auch Eintracht Frankfurt, Union Berlin und Werder Bremen wollen künftig Merchandise-Produkte verkaufen, die nach dem Fairtrade-Textilstandard zertifiziert sind. Wir sind auch mit einem Anbieter für Bettlaken für Krankenhäuser, Alten- und Pflegeheime im Gespräch. Da geht es um sehr große Mengen von Textilien.

Wie geht es Ihren Produzenten?

Corona hat die schon deshalb schwer getroffen, weil es in Entwicklungsländern oft keine funktionierende medizinische Versorgung gibt. Umso dringender waren Informationen, wie die Landwirte sich schützen können, etwa dass Abstandhalten hilft. Diese Aufklärung haben wir übernommen. Auch haben wir mit dem Bundesentwicklungshilfeministerium einen Zehn-Millionen-Fonds aufgelegt und Schutzmaßnahmen wie Masken, Desinfektionsmittel oder Handschuhe im globalen Süden finanziert. In einem zweiten Schritt, habe wir darüber informiert, wie eine Produktion unter Corona-Bedingungen möglich ist. Dann kam der Angriff auf die Ukraine mit abreißenden Lieferketten, weil Container oder Lkw-Fahrer fehlten. Die Transportkosten und Kosten für Hafenbearbeitung sind in die Höhe geschossen, wurden aber nicht durch höhere Produktpreise aufgefangen. Bei den Produzenten kommt im Schnitt also weniger an.

Konnte Fairtrade die Mindestpreise erhöhen?

Bei einigen Produkten haben wir das getan. Bei Preiserhöhungen besteht aber die Gefahr, dass die Nachfrage abnimmt. Deshalb wollen die Produzenten im Fairtrade-System gar nicht unbedingt höhere Mindestpreise. Eigentlich müsste der ganze Markt andere Preise bezahlen. Landwirtschaft in Entwicklungsländern ist nicht auskömmlich. Das hat sich in den letzten Jahren mit ihren Krisen noch verschärft. Auffälligstes Zeichen dafür ist, dass die Kinder der Produzenten keine Landwirte werden wollen. Die Bauern stecken die Prämien, die wir zusätzlich zu den Mindestpreisen zahlen, in die Ausbildung der Kinder, damit sie sich bessere Arbeitsplätze suchen können.

Gibt es die?

Wenige. Auch in einem aufblühenden Staat wie Kenia gibt es nicht für alle gute Jobs. Oft gehen die Menschen vom Land in die Städte und werden Taxifahrer. Das ist aber ein unsicher Job. Die Kooperativen versuchen, junge Leute zu gewinnen, die nicht nur Kaffee pflücken sondern den Kaffee behandeln, rösten oder verkosten. Das sind attraktivere Jobs, die die Wertschöpfung der Kooperativen erhöhen. Auch der Aufbau lokaler Märkte oder die Kombination von Landwirtschaft und Tourismus sind attraktive Geschäftsmodelle. In der Fairtrade-Organisation gibt es junge Menschen, die etwa nach der Ausbildung zum Ingenieur zurückkommen aufs Land. Für bessere Zukunftsperspektiven beraten wir Produzenten weltweit und werben dafür Gelder bei Regierungen ein. Es geht um Maßnahmen zur Erhöhung der Produktivität oder darum, die Abhängigkeit von einem Rohstoff zu reduzieren. Der Kaffeebaum mag etwa keine direkte Sonne. Er wächst besser unter Obstbäumen, deren Früchte können die Bauern dann vermarkten oder selbst essen.

Wollen Sie diese Projektarbeit ausbauen?

Im Bereich Klima ganz gewiss. Hier brauchen wir große Summen, die wir jetzt einwerben. Es geht etwa um Wiederaufforsten. Wir brauchen andere Kaffee- und Kakaosorten, die Hitze und Trockenheit besser aushalten. Auch der biologische Anbau soll ausgebaut werden.

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Welcher Teil Ihrer Arbeit ist jetzt besonders wichtig?

Wir wollen Klimaschutz und Fairtrade näher zusammenbringen. Wir wollen innerhalb der Lieferketten CO2-neutral arbeiten. Zentral ist aber zunächst dass wir die Einnahmen für unsere Produzenten stärken, damit sie die Krise überstehen. Viele unserer Landwirte bauen mehr an und ernten mehr als sie über Fairtrade verkaufen können. Ein Teil der Produktion landet zu niedrigeren Preisen auf dem freien Markt. Die Produzenten halten also hohe Standards ein, bekommen das aber nicht vergütet. Deshalb kommen derzeit nur neue Bauern ins System, wenn sie auch einen Abnehmer für ihre Ware haben.

Wie entwickelt sich das Geschäft in Deutschland?

Wir haben schöne neue Kooperationen. Die Rewe macht ihre Treuepunkte-Aktion mir Fairtrade-Produkten. Da werden zwei Millionen Textilien abgesetzt. Auch dm hat jetzt Fairtrade-Produkte im Angebot. Wir schauen auf das Lieferkettengesetz und sehen, wo wir unsere Partner unterstützen können, damit sie die Anforderungen erfüllen.