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Interview mit dem Ex-Ford-ChefWas auf dem Weg zur E-Mobilität schiefläuft?

Lesezeit 7 Minuten

Zwei Milliarden Dollar wurden in das Kölner Ford-Werk investiert. Seit Juni läuft hier das E-Auto Explorer vom Band.

Gunnar Herrmann ist Vorstandsvorsitzender des Verbands Arbeitgeber Köln. Ralf Arenz sprach mit dem ehemaligen Chef der Kölner Ford-Werke über den holprigen Weg zur E-Mobilität und den Wirtschaftsstandort Deutschland.

Die Neuzulassungen von E-Autos in Europa sinken. Haben Politik und Autoindustrie auf das falsche Pferd gesetzt?

Strategisch bestimmt nicht. Der E Antrieb ist sehr effizient. Wir brauchen diese Antriebstechnologie wenn wir die EU Klimaziele unter Nutzung der erneuerbaren Energien umsetzen und erreichen wollen. Die Fahrzeugverkäufe und die Marktakzeptanz entwickeln sich nicht wie erhofft, auf Grund der anhaltenden politischen Debatten. Die Notwendigkeit der Technologie wird darüber hinaus nicht ausreichend im strategischen Kontext erklärt und kommuniziert

Was ist da schiefgelaufen?

Es wurde viel über angeblich zu geringe Reichweiten und hohe Kosten der E-Autos gesprochen und über Lücken bei der Ladeinfrastruktur. Das hat die Kunden verunsichert, was wiederum zu dieser extremen Kaufzurückhaltung geführt hat. Sie kaufen dann halt keine E-Autos und warten lieber ab. Wir haben die E-Mobilität kaputt geredet, und ähnlich ist die Wärmepumpen-Diskussion gelaufen.

Die letzte große Diskussion kreiste rund um das Thema Technologieoffenheit.

Offenheit für unterschiedliche technische Lösungen schadet nicht. Mehrere Technologien erhöhen aber die Komplexität und signifikant die Kosten im Ausbau der erforderlichen Infrastruktur. Bei synthetischen Kraftstoffen konkurriert die Autoindustrie mit der Luftfahrt und der Schifffahrt. Und laut der Luftfahrtbranche gibt es schon für sie nicht genug synthetische Kraftstoffe, um die von der EU geforderten Beimischungsquote zu erreichen. Zu viele unterschiedliche Wege parallel zu verfolgen, ist keine smarte Idee. Besser wäre da ein Standard mit größter Effizienz, um alle Kunden zu bedienen.

Um diesen Punkt zu verdeutlichen: Um einen Liter E-Fuel aus CO2 und Wasserstoff zu produzieren, werden etwa 27 Kilowattstunden elektrische Energie benötigt. Ein PKW mit einem Verbrauch von 6 Litern auf 100km würde somit 160-170 Kilowattstunden Strom erfordern. Ein E Fahrzeug im direkten Vergleich würde hierfür nur etwa 17 Kilowattstunden benötigen! Mit dem Bekenntnis zu den Klimazielen und der notwendigen Transformation hat Ford hat zwei Milliarden Dollar in das Kölner Werk zur Herstellung von E-Autos investiert. Diese zwei Milliarden können verpuffen bei der anhaltenden Debatte.

Ist die Gefahr real?

Investitionen erfolgen dort, wo die Marktchancen gut sind und klare politische Leitplanken gesetzt sind. Nicht umsonst investieren Mercedes und BMW massiv in den USA. In Europa schrumpft der Automarkt. Vor 25 Jahren lag das Volumen noch bei etwa 18 Millionen Pkw pro Jahr, aktuell sind es etwa 13 Millionen, eher sinkend. Der Markt in den USA wächst leicht, der in China rasant. Hier liegt das Jahresvolumen bei etwa 23 Millionen Autos.

In Deutschland warnt der Kreditversicherer Atradius vor dem Verlust von Zehntausenden Arbeitsplätzen in der Autobranche. Sind die Sorgen berechtigt?

Die deutsche PKW-Produktion ist in den vergangenen sechs Jahren um etwa 20 Prozent gesunken, das entspricht einer Million Fahrzeugen oder zwei bis vier Werke, abhängig von der installierten Kapazität. Die Beschäftigungsentwicklung hat sich im gleichen Zeitraum um gerade mal 6,5 Prozent verringert. Der Löwenanteil entfiel hier auf die Zulieferindustrie mit 12 Prozent, bei den Herstellern waren es gerade mal 3 Prozent. Diese fehlende Anpassung rächt sich jetzt. Bei einem Volumenrückgang von 20 Prozent werden Werke geschlossen werden müssen. Zunächst können Autobauer eine Vier-Tage-Woche einführen oder die Zahl der Schichten von drei auf zwei reduzieren. Ein Ein-Schicht-Betrieb lohnt sich nicht. Da sind klare Veränderungen nötig.

Ford schließt das Werk in Saarlouis im November des kommenden Jahres.

Das ist auch der Transformation hin zur E-Mobilität geschuldet. Bei dem erwarteten Mix über die nächsten Jahre kann mit E-Autos ein Werk in Europa ausgelastet werden. Das ist Köln. Das erwartete Volumen an Verbrennern kann in den Werken Craiova und Valencia produziert werde. Dem Mix liegen komplexe Überlegungen zugrunde. In der EU werden für die Hersteller ja hohe Strafzahlungen fällig, wenn die Flotten CO2-Grenzwerte überschreiten. Heißt, eine Verbrenner Produktion ist begrenzt.

Für die Mitarbeitenden ist das bitter.

Werkschließungen bedeuten nicht unbedingt, dass auch alle Arbeitsplätze verloren gehen. Bei Ford etwa hat es hervorragende Programme gegeben, um das Personal zu reduzieren oder es in Zusammenarbeit mit der Arbeitsagentur für neue Aufgaben zu qualifizieren. Neue Arbeitsplätze entstehen auch durch den Umbau hin zur E-Mobilität. Mercedes-Benz hat jetzt eine neuartige Recyclinganlage für Batterien in Betrieb genommen. Dadurch verdoppelt sich die Rückgewinnungsquote auf über 96 Prozent. Wertvolle, begrenzt verfügbare Rohstoffe wie Lithium, Nickel und Kobalt können wiedergewonnen und für neue Batterien verwendet werden.

Hat die deutsche Autoindustrie zu spät auf das E-Auto gesetzt?

Eine Ford-Tochter in den USA hat mit dem Think schon 1999 einen E-Kleinwagen angeboten. In Europa haben wir 2011 den vollelektrischen Focus entwickelt. Der war etwa 10.000 Euro teurer als der entsprechende Benziner und hat nur einige hundert Käufer gefunden. Der C-Max als Plug-In-Hybrid ab 2012 ist immerhin etwa 4000 Mal in Europa verkauft worden, in den USA wurden circa 45.000 Einheiten verkauft. Wir hatten also die Zukunftstechnik. Die Marktakzeptanz war allerdings damals nicht gegeben, auch aufgrund von wenig stringenten Klimazielen. Wir waren vielleicht zur falschen Zeit mit dem Produkt im Markt, vielleicht waren wir nicht aggressiv genug bei der Vermarktung, vielleicht hätten wir auch einen längeren Atem gebraucht. Jetzt werden wir von der Entwicklung überrannt.

Haben Autoindustrie und Politik noch die Zeit zu reagieren?

Im Augenblick würde ich sagen: Nein. Die chinesischen Autobauer sind sehr aggressiv beim Thema Elektromobilität unterwegs. Auch beim Thema Konnektivität und beim autonomen Fahren, was auch hohe Investitionen verlangt. Wir sitzen oben auf der Klinge und ich sehe Anzeichen dafür, dass es in die falsche Richtung geht. Jedenfalls ist es höchste Zeit, konsequent eine umfangreiche Transformation einzuläuten.

Was muss denn passieren?

Wir brauchen dringend massive Investitionen in die Lade- und die Netzinfrastruktur. Da geht es um Milliarden. Überall ein bisschen zu investieren, bringt uns nicht weiter. Dann verpuffen wie in der Vergangenheit Milliarden. Wir brauchen auch eine neue Förderung der E-Mobilität. Das darf kein Strohfeuer sein. Das Geld muss verlässlich fließen, bis das Ziel der Anschubförderung erreicht ist.

Ist das Geld in Zeiten knapper Kassen dafür vorhanden?

Viel Kapital ist in den letzten Jahren ins Ausland abgewandert. Ich bin davon überzeugt, dass das zurückkommt, wenn wir darlegen können, dass sich Investitionen in Deutschland wieder lohnen. Wir müssen auch Mittel umschichten. Wir subventionieren den Diesel durch Steuererleichterungen oder das Dienstwagen-Privileg, obwohl das eine Technik bedient, die ausläuft. Wir müssten eine Vision entwickeln, wo wir hinwollen, eine Strategie und einen Plan, der festlegt, wie etwa die Elektromobilität zur wirtschaftlichen Stärke hochgefahren wird. Und dann gilt Kurs halten. Bei der Herstellung von Medikamenten oder Halbleiter haben wir ja auch gesehen, wie wichtig es ist, ein kritisches Volumen im Land herzustellen. Es gab hier auch eine Produktion. Als die Produkte deutlich billiger im Ausland hergestellt werden konnten, wurde die Fertigung mit den bekannten Problemen verlagert. Als Export-Nation sollten wir uns diesen Gefahren nicht aussetzen. Das Knowhow haben wir jedenfalls im Land, das für einen Wirtschaftsaufschwung nötig ist. In Deutschland hinterfragen wir leider unsere Ziele ständig und vernachlässigen die Umsetzung.

Daran war auch die Autoindustrie beteiligt, als es um die Einführung von neuer Technik ging.

Ja, wir haben etwa die Einführung von Katalysatoren hinterfragt oder die von Schadstoffregeln. Es gibt viele Themen, auf die ich heute anders schaue.

Braucht Deutschland eine Fertigung von Batterien?

Wir brauchen eine Zellfertigung in Deutschland, die dann zu Batterien zusammengesetzt werden. Auch hier haben wir die Technologie im Land, etwa an der Universität Münster mit einem gut ausgestatteten Forschungslabor. Das wird zurecht gefördert. Nur muss die Anwendung der Technik dann auch hier erfolgen.

Wann sind E-Autos so teuer wie heute Benziner?

Schon heute gibt es Autos, bei denen der Preisabstand von E-Auto zu Verbrenner 4000 oder 5000 Euro beträgt. Oft beträgt der Aufpreis heute noch 10.000 bis 15.000 Euro. Er wird durch Batterierecycling und neue Batterietechnik bestimmt geringer. Ich glaube, dass 2030 der Abstand verschwunden ist. Außerdem hat das E-Auto geringere Wartungskosten.


Zur Person

Gunnar Herrmann spricht bei einer Veranstaltung von Arbeitgeber Köln.

Gunnar Herrmann ist seit 2020 Vorstandsvorsitzender des Verbands Arbeitgeber Köln. 1959 in Leverkusen geboren, begann Herrmann 1979 als Azubi bei Ford. Nach der Lehre studierte er in Hamburg Fahrzeugbau und erwarb an einer englischen Uni einen Master-Abschluss. 1986 fing Herrmann im Entwicklungszentrum in Köln-Merkenich an. Ab 2002 war er als Entwicklungsdirektor für das weltweite Ford-Angebot im C-Segment verantwortlich. 2012 wurde er Mitglied der Geschäftsführung von Ford Europa, 2017 Chef der Ford-Werke. Nach fünf Jahren im Amt wechselte er im Dezember 2021 in den Aufsichtsrat.