Zu Beginn des 20. Jahrhunderts waren Elektroautos weit verbreitet und bei Frauen beliebt, wurden jedoch durch Verbrennungsmotoren verdrängt.
Verbreitete TechnikSchon vor 1900 fuhren E-Autos und beeindruckten die Welt

Ein Flocken Elektrowagen aus dem Jahr 1888.
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Einem hübschen, aber vermutlich erfundenen Bonmot zufolge hielt Kaiser Wilhelm II. nicht allzu viel vom Auto. Das, soll der Monarch einst gesagt haben, sei nur eine „vorübergehende Erscheinung“, er setze auf das Pferd. Tatsächlich aber fanden sich in Kaiser Wilhelms Fuhrpark sogar drei E-Autos – und das war seinerzeit weit normaler als heute. Denn zu Beginn des 20. Jahrhunderts schien die E-Mobilität vor einem Siegeszug zu stehen.
Schließlich war der Elektroantrieb lange vor dem Verbrennungsmotor da; manch einer behauptet gar, das allererste Automobil sei ein Stromer gewesen. Dafür müsste man den Begriff „Automobil“ allerdings großzügig auslegen: Das batteriebetriebene, 12 km/h schnelle „Tricycle“, mit dem der Franzose Gustave Trouvé 1881 auf einer Pariser Technikmesse für Aufsehen sorgte, sah eher nach einem unförmigen Fahrrad aus, das über ein mannshohes drittes Rad verfügte und mit einer Art Ruderpinne gelenkt wurde. Dennoch: Es sollte noch zwei Jahre dauern, bis Gottlieb Daimler sein Patent für einen Benzinmotor einreichte, und fünf Jahre, bis Carl Benz seinen „Motorwagen No.1“ vorstellte.
Elektroantrieb ersetzt Pferdestärke
Auch andere Tüftler werkelten an Elektrogefährten und bereits 1888 brachte der heute vergessene Coburger Maschinenbauer Andreas Flocken das erste „richtige“, sprich vierrädrige, E-Auto heraus. Der „Flocken Elektrowagen“ war eine Holzkutsche, deren Elektroantrieb das bis dahin übliche Pferd durch eine Pferdestärke ersetzte. Erhalten ist der Wagen nicht, eine Rekonstruktion kam auf eine Geschwindigkeit von 15 km/h und eine Reichweite von bis zu 40 Kilometern. Aus heutiger Sicht nicht schnell und nicht weit – aber die Entwicklung ging rasant weiter.
Bereits 1900 stellte Ferdinand Porsche das erste E-Auto mit Radnabenantrieb vor, Riemen oder Ketten wurden überflüssig. Kurz darauf legte er das erste Hybridauto nach. Und das erste Auto, das auf eine Geschwindigkeit von mehr als 100 km/h kam, war 1899: ein Stromer.
Übrigens auch das Auto von Oma Duck, das sich in einem Automuseum im niedersächsischen Melle bestaunen lässt. Zumindest stand der hier ausgestellte Detroit Electric Brougham Opera aus dem Jahr 1915 Pate für das altertümliche Gefährt der betagten Dame aus Entenhausen. Das kommt nicht von ungefähr, erklärt Museums-Mitgründer Heiner Rössler: „Elektroautos waren vor allem bei Frauen und älteren Menschen beliebt.“ Denn Verbrennermotoren musste man mühsam mit einer Kurbel zum Laufen bringen und lief dabei durchaus Gefahr, sich den Arm zu brechen.
Abgesehen davon machten sie Radau und stanken zum Himmel; zudem war an Strom seinerzeit vielerorts leichter heranzukommen als an Sprit, den es nur in Apotheken gab. Ungefährlich war der Umgang mit Spiritus und Waschbenzin, das man in den Tank kippte, auch nicht gerade.
Nach dem Ersten Weltkrieg versank der Elektroantrieb
Mit dem Rundumblick, den elektrischen Scheinwerfern und der einfachen Hebel-Bedienung war der Opera ein durchaus benutzerfreundliches Auto. Nur, zugegeben: Allzu weit kam auch Dorette Duck nicht mit ihrem Stromer. Theoretisch gäben die Bleibatterien rund 100 Kilometer her, sagt Rössler. Aber das hänge natürlich davon ab, wie man fahre.
Für die meisten Alltagsstrecken, insbesondere in Städten, reichte das seinerzeit. In den USA, wo der Automarkt früh boomte, waren 1912 nicht weniger als 40 Prozent der Autos elektrisch betrieben, in New York zeitweise sogar jedes Zweite. Der Rest war meist dampfbetrieben – oder eben noch von Pferden gezogen. In der Millionenmetropole gab es sogar schon öffentliche Akku-Wechselstationen, um sich das langwierige Aufladen zu sparen – eine Idee, die gerade in China reanimiert wird.
Auch die Ehefrau von Henry Ford, dem (Verbrenner-)Auto-Tycoon, fuhr einen Brougham, ebenso der Erfinder Thomas Alva Edison. Und dennoch: Nach dem Ersten Weltkrieg versank der Elektroantrieb, und mit ihm das E-Auto, sang- und klanglos und relativ plötzlich in der Bedeutungslosigkeit; im Lieferverkehr hielt er sich noch eine Zeitlang, bis er auch dort weitgehend verschwand. Was war passiert?
Ein Erfinder stellt die Branche auf den Kopf
Als Wendepunkt wird meist die Erfindung des elektrischen Anlassers durch den US-Amerikaner Charles F. Kettering, später Forschungschef bei General Motors, im Jahr 1912 genannt. Das anstrengende und gesundheitsgefährdende Ankurbeln des Motors wurde damit schlagartig unnötig. Außer vielleicht bei Citroëns „Ente“.
Der einzige Grund für den Aufstieg des Verbrenners war das allerdings wohl nicht. Der Öl-Boom des frühen 20. Jahrhunderts machte Benzin billiger und verfügbarer, während des Ersten Weltkriegs entstanden in den USA die ersten Tankstellen. Kurz: In einer mobiler werdenden Gesellschaft war der Benziner nun praktischer und kam weiter – und nicht zuletzt sorgte Ford mit seinem massenproduzierten Modell „T“ dafür, dass er auch billiger wurde.
„Frauen-Autos“ versus „Petromaskulinität“
Anschaffungspreis und Reichweitenangst: Die Probleme der damaligen Elektromobilität kommen einem heute bekannt vor. Und vielleicht spielte noch ein anderer Grund eine Rolle für den Niedergang der Stromer. Während Elektromobile als „Frauen-Autos“ gesehen wurden, galten Verbrenner in ihrer störanfälligen Frühzeit als abenteuerlicher und damit männlicher, sagte der Stuttgarter Technikhistoriker Reinhold Bauer einmal in einem „taz“-Interview. Und wenn man die US-Politologin Clara Daggett fragt, ist das noch heute so. Sie hat dafür sogar einen Begriff geprägt: „Petromaskulinität“. (mno)