Besuch in Pulheim-Brauweiler bei AmprionWie Europas modernste Netzleitwarte arbeitet

Das Stromnetz für 500 Millionen Europäer haben die Amprion-Techniker im Blick.
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Pulheim – Der Norden ist links auf der 110 Quadratmeter großen Anzeige in der Netzleitzentrale des Übertragungsnetzbetreibers Amprion in Pulheim-Brauweiler. Kleine runde Punkte stehen für Kraftwerke, zu mehr oder weniger großen Quadraten zusammengefasst zeigen sich Umspannwerke, grüne und rote Linien stehen für die großen Stromtrassen mit 220 oder 380 Kilovolt (KV), die Strom von Windparks in der Nordsee in den Süden bis Norditalien transportieren – von links nach rechts also. Neu ist eine Gleichstromleitung, die Deutschland und Belgien verbindet.
Modernste Netzleitwarte in Europa
Vor zwei Jahren hat die modernisierte Leitzentrale den Betrieb aufgenommen. Rund 100 Millionen hat Amprion investiert. Entstanden ist die größte und modernste Netzleitwarte in Europa. Nur zwei größere Anzeigen gibt es auf der Welt, eine bei der NASA in den USA und eine in China. Weiteres Kernstück bilden zwei hochmoderne Rechenzentren. Die Netzleitwarte sei das Betriebssystem der Energiewende, so Amprion-Chef Hans-Jürgen Brick. Sie könne auch Sektoren wie Strom, Gas und Wasserstoff verbinden.
Immer vier Techniker überwachen rund um die Uhr, ob Stromerzeugung und Verbrauch im Gleichgewicht sind. Sinkt der Verbrauch, können Kraftwerke vom Netz, fehlt Strom, müssen Kraftwerke ans Netz oder besonders große Stromverbraucher etwa aus der Industrie den Verbrauch reduzieren oder gar abgeschaltet werden.
Amprion kümmert sich um die Überwachung von 500 Millionen Menschen
Die Überwachungsaufgabe erfüllt Amprion nicht nur für das eigene Gebiet mit 29 Millionen Einwohnern sondern auch für das der anderen drei deutschen Übertragungsnetzbetreiber sowie für Europa von Nordfrankreich bis nach Tschechien und neuerdings auch für die Ukraine. 500 Millionen Menschen leben im Amprion-Beobachtungsgebiet. Um Südeuropa kümmern sich Kollegen in der Schweiz.
Die Ukraine hatte sich schon seit 2017 aus dem Stromverbund mit Russland gelöst, bis Ende 2023 sollten die Netze integriert werden. Jetzt wurde eine Notsynchronisation organisiert, so Brick. Dabei sorgt die Ukraine aber selbst dafür, dass das Netz stabil ist. Allenfalls ein ungewollter Stromaustausch findet statt bei Netzschwankungen, weil es noch nicht genug besondere Transformatoren für eine vollständige Integration gibt. Bei ernsten Problemen müssten die Netze aber getrennt werden.
Die Aufgabe für Amprion ist nicht einfacher geworden in einer Zeit, in der große Atom- und Kohlekraftwerke vom Netz gehen und immer mehr kleine Anlagen Strom aus Erneuerbaren produzieren und ins Netz einspeisen. Gut 24.000 Megawatt Solarstrom wurden um 10 Uhr am Montagmorgen in Deutschland erzeugt. Das entspricht der Leistung von 24 der großen BoA-Braunkohleblöcken oder Atommeilern. Aus Windenergie kommen am Montagmorgen nur 500 Megawatt.
Amprion bringt auch künstliche Intelligenz zum Einsatz
Windkraft ist besser zu kalkulieren. Wind-Vorhersagen sind laut Amprion immer präziser geworden – Abweichungen zwischen Plan und Erzeugung lägen unter drei Prozent. Gleich mehrere Prognosemodelle nutzt und verbindet Amprion, auch mit künstlicher Intelligenz. Die Vorhersagen für die Fotovoltaik seien unsicherer. Wann sich etwa Hochnebel auflöse, sei kaum vorherzusagen. Allein 100 IT-Spezialisten arbeiteten inzwischen in Brauweiler, insgesamt seien 400 Mitarbeitende am Standort.
Die Transformation der Energieversorgung hin zu den Erneuerbaren schafft weitere Herausforderungen. „In Zukunft stehen die Großkraftwerke für Nordrhein-Westfalen in der Nordsee“, sagte Brick. Bis 2030 will Amprion in NRW vier Milliarden Euro investieren und die Übertragungskapazität in NRW um acht Gigawatt erhöhen – Strom für acht Millionen Menschen. Von 2020 bis 2030 will das Unternehmen insgesamt 24,3 Milliarden aufwenden und erwarte von der Bundesregierung weitere Vorschläge, wie sich der Netzausbau besonders bei Planungs- und Genehmigungsverfahren weiter beschleunigen lasse.
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Die Energiewende müsse beschleunigt werden, sagte NRW-Wirtschaftsminister Andreas Pinkwart. In NRW soll die Windkraftkapazität von derzeit sechs Gigawatt auf 12 Gigawatt verdoppelt werden. Die Fotovoltaik-Kapazität soll von sechs Gigawatt auf 18 oder gar 24 Gigawatt steigen. Für die Transformation des Energiesystems und des Rheinischen Reviers sei der beschleunigte Ausbau der Offshore-Windenergie erforderlich. Möglich sei so auch die Nutzung von Strom für wasserstoffbasierte Prozesse, etwa in der Stahlerzeugung. Acht Gigawatt zusätzliche Übertragungsleistung würden dafür nicht ausreichen, so Pinkwart. In der Nordsee soll bis 2045 eine Kapazität von 70 Gigawatt Windstrom entstehen. 20 Gigawatt davon sollten nach NRW kommen.