Kehrtwende im Ukraine-KriegWie Deutschland zum Treiber eines Öl-Embargos wird
Brüssel – In Brüssel gibt es ein Gesprächsformat, das den Titel Beichtstuhl trägt. In diesen bittet im übertragenen Sinne etwa die EU-Kommission Vertreter einzelner Mitgliedstaaten, um von ihnen vertraulich gebeichtet zu bekommen, zu welchen Zugeständnissen sie in Verhandlungen bereit sind. Am Wochenende drehte sich die strittige Frage um ein sechstes EU-Sanktionspaket gegen Moskau, inklusive eines Öl-Embargos. Bevor die Brüsseler Behörde am Dienstag oder spätestens am Mittwoch ihre Vorschläge für weitere Maßnahmen präsentieren will, forderte sie also aus den Hauptstädten zunächst „Geständnisse“.
Ganz neue Töne aus Deutschland
Wie sehen die Positionen aus? Es stellte sich heraus, dass sie nicht so weit auseinander liegen, wie man das sonst aus Brüssel kennt. Insbesondere aus Berlin dringen nämlich plötzlich ganz neue Töne in die EU-Zentrale. Nachdem seit der Invasion Russlands in die Ukraine vor allem Deutschland als Bremse bei einem möglichen Öl-Abnahmestopp galt, scheint sich die Bundesregierung seit letzter Woche gar zum Treiber eines Embargos entwickelt zu haben. So wollte es der Grünen-Politiker Robert Habeck kurz vor dem Sondertreffen der EU-Energieminister in Brüssel gestern zwar nicht darstellen, doch er bestätigte die Bereitschaft Berlins, einen Boykott mitzutragen. Dabei schränkte er ein, dass andere Länder „vielleicht etwas mehr Zeit“ bräuchten.
Während in Brüsseler Diplomatenkreisen zuvor noch Verwunderung über die Kehrtwende Deutschlands herrschte, sorgte die Ankündigung für Erleichterung auf Seiten jener Regierungen, die seit langem für drastische Energiesanktionen plädiert hatten. Denn mit der Unterstützung des größten Mitgliedstaats dürfte die EU bereits diese Woche ein Öl-Embargo beschließen, auch wenn dieses erst in den nächsten Monaten vollzogen würde. Gleichwohl warnte Habeck vor den Folgen für die Gesellschaft: „Wir werden uns natürlich selbst schaden.“ Er nannte es „undenkbar“, dass Sanktionen ohne Folgen für die eigene Volkswirtschaft seien. Man werde eine höhere Inflation, höhere Energiepreise und eine Belastung der Wirtschaft haben. „Alle werden einen Beitrag leisten müssen.“
Eine einstimmige Entscheidung ist nötig
Die Frage blieb, ob wirklich alle 27 Partner ein sechstes Paket inklusive Öl-Embargo billigen würden. Sanktionsmaßnahmen müssen innerhalb der EU einstimmig angenommen werden. Und die Sorgen über mögliche Versorgungslücken, steigende Energiepreise und wirtschaftliche Risiken sind groß, vorneweg in Ungarn, Spanien oder der Slowakei. Deshalb könnte es am Ende gestaffelte Maßnahmen geben, was bedeutet, dass sich die EU zwar auf einen Öl-Boykott einigt, diesen aber mit einer großzügigen Übergangsfrist versieht. So könnte einigen Ländern ein Aufschub gewährt werden, um alternative Lieferquellen zu suchen. Berlin wurde offenbar bereits an vielen Stellen fündig. Statt ursprünglich 35 Prozent aller Rohölimporte stammten mittlerweile nur noch zwölf Prozent aus Russland, wie Habeck gestern unterstrich. Doch es bleibe ein „lokales Problem“, sagte der Grüne. Es betrifft den Betrieb der Erdölraffinerie in Schwedt, die große Teile Ostdeutschlands, inklusive Berlin, versorgt.
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Um zu einem Konsens auf europäischer Ebene zu gelangen, stehen Ausnahmeregeln etwa für Ungarn und die Slowakei im Raum, die beide besonders stark auf russisches Öl angewiesen sind. Gleichzeitig dürfte die Kommission mit diesem Kompromiss auch ein Veto dieser Länder vermeiden, insbesondere von Putin-Freund Viktor Orbán, der Energiesanktionen ablehnt – angeblich aus wirtschaftlichen Gründen.
Ebenfalls diskutiert wurde am Montag ein Preisdeckel, wie beispielsweise von Italien favorisiert. Das hieße, dass die europäischen Öl-Kunden Russland nicht mehr den Weltmarktpreis für Öl bezahlen würden. Doch mit welchen Konsequenzen? Kritiker eines solchen Preisdiktats befürchten, dass Moskau dann von sich aus Lieferungen, möglicherweise sogar von Gas, einstellen könnte. Und zwar nicht nur an Polen und Bulgarien, die seit vergangener Woche nicht mehr mit Energie aus Russland beliefert werden, weil sich die beiden Länder geweigert hatten, der Forderung aus Moskau nachzukommen, Gasrechnungen in Rubel statt in Euro zu bezahlen.