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Vor GerichtEhefrau mit 79 Messerstichen getötet – Wipperfürther schuldunfähig?

Lesezeit 3 Minuten
Landgericht

Vor dem Landgericht Köln wird verhandelt.

Wipperfürth/Köln – In der Familie des Wipperfürther Enver B. (64) sind sich alle einig: Die Gewalt ging immer von dem Familienoberhaupt aus, und das seit Jahren. Er schlug seine Kinder, verprügelte seine Frau und machte auch vor seinen Geschwistern nicht halt. Im April dieses Jahres eskalierte die Gewalt des ungelernten Arbeiters, der zuletzt vom Amt lebte, ein weiteres Mal: insgesamt 79 Mal stach B. auf seine Ehefrau in der gemeinsamen Wohnung in Wipperfürth, Bahnstraße, ein, vor den Augen des zweijährigen Enkels.

Als die 17-jährige Enkelin dazwischen ging, stach er auch auf den Teenager ein. Die junge Frau kam mit leichteren Verletzungen davon. Die Ehefrau starb noch am Tatort – ihr Mann sitzt seitdem in der Psychiatrie. Dort war er nach einem mehrwöchigen freiwilligen Aufenthalt drei Tage vor der Tat entlassen worden.

Drei Tage vor der Tat aus der Psychiatrie entlassen

Nach einem vorläufigen Gutachten, das dem Beschuldigen „halluzinatorische Symptome“ bescheinigt, hat Enver B. seine Ehefrau im Zustand der Schuldunfähigkeit umgebracht. Die Kölner Staatsanwaltschaft hat daraufhin auf eine Anklage wegen Totschlags verzichtet und bei Gericht beantragt, Enver B. dauerhaft in eine geschlossene psychiatrische Einrichtung unterzubringen. Für den Ankläger ist B. eine Gefahr für die Allgemeinheit, da von ihm Wiederholungsgefahr ausgehe und er aufgrund seiner Erkrankung das Unrecht seiner Tat nicht einsehen kann.

Seit 5. Oktober wird dem gebürtigen Serben vor dem Kölner Landgericht der Prozess gemacht. Stumm sitzt der kleine, hagere Mann mit den deutlich vorzeitig gealterten Gesichtszügen neben seiner Anwältin, die ihm geraten hat zu schweigen. Er kam 1993 mit seiner Frau und den vier Kindern nach Deutschland. In den 1980er Jahren hatte er seine Frau geheiratet.

Die Angehörigen packen aus

Während der Beschuldigte schweigt, reden seine Angehörigen umso mehr, obwohl sie ein Zeugnisverweigerungsrecht haben. Aber sie wollen aussagen, alle sollen hören, wie sehr die Familie schon seit Jahren unter dem angeblich tyrannischen Familienoberhaupt litt, denn Gewalt war offensichtlich ein ständiges Thema.

„Er war immer gewalttätig. Er machte Stress und beleidigte und schlug die Oma, wenn sie ihm das Essen brachte“, sagte Enkelin Rinesa B. im Zeugenstand. Die 17-Jährige war am Tattag in der Wohnung, als die Situation wieder einmal eskalierte. Die Großmutter hatte den zweijährigen Enkel nach dem Mittagessen zum Schlafen hinlegen wollen. „Ich hörte die Schreie im Schlafzimmer, überall war Blut, Oma lag am Boden, rief: ‚Hör auf.‘ Die junge Frau schaffte es, dem wie von Sinnen handelnden Täter das Messer zu entwenden, während die Großmutter sich aufrichtete und aus dem Zimmer lief. Sie schaffte es bis zur Haustür, dort holte er sie ein, stach weiter zu.

Insgesamt 79 Einstiche hatten Rechtsmediziner später festgestellt. Enver B. hatte erst aufgehört zuzustechen, als die Polizei am Tatort eintraf. Die Ehefrau erlag noch am Tatort den Folgen der Verletzungen.

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In seiner polizeilichen Vernehmung hatte Enver B. ausgesagt, seine Frau habe ihn vergiften wollen. Tatsächlich hatte die Ehefrau ihm wie jeden Tag seine Tabletten gereicht. Nach wiederholten Aufenthalten in der Psychiatrie und einer Krebserkrankung war der Beschuldigte wegen Depressionen auf Medikamente angewiesen.

Familie berichtet von jahrelanger Gewalt

Im Zeugenstand kam auch sein Sohn Velji B. (42) zu Wort. Auch er ließ kein gutes Haar an seinem Vater, denn „Gewalt war immer ein Thema“: „Er musste immer bestimmen, was wir machten in der Familie. Sobald wir uns weigerten, warf er mit Aschenbecher, Tassen, etc.“. Streit und Bedrohungen sollen seit Jahren an der Tagesordnung gewesen sein. Dem jüngeren Sohn soll der Vater im Streit mit einem Bügel auf den Kopf geschlagen haben. Als der Bruder anfing zu rauchen, habe der Vater dem jungen Mann die Lippe verbrannt, um ihm den Nikotin zu verbieten.

Das Urteil soll am 27. Oktober gesprochen werden und wird wohl mit einer zwangsweisen Unterbringung in eine geschlossene Einrichtung einhergehen.