Bilder aus verlorenen WeltenOliver Müller stellt Lieblingsmotive aus Tschernobyl vor
Lindlar – Im Vordergrund steht das einsteigebereite Fahrzeug des Autoscooters mit dicker Gummilippe, ganz in orangen und türkisenen Farben lackiert. Im Hintergrund strahlen die quietschgelben Gondeln des Riesenrades in der Sonne. Alles ist aufgebaut, die Kirmesgäste könnten kommen. Doch auf diesen Fahrgeschäften werden niemals Menschen Platz nehmen.
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Der Rummelplatz von Prypjat, der ukrainischen Geisterstadt in Sichtweite des einstigen Kernkraftwerkes Tschernobyl, ist eines der Lieblingsmotive von Oliver Müller. Im April besuchte der Bolzenbacher mit seiner Kamera den Ort, an dem sich fast auf den Tag genau 33 Jahre zuvor der Super-GAU ereignete. Am Maifeiertag 1986 sollte die Kirmes damals eröffnet werden. Dazu kam es nicht mehr.
Was bisher geschah...
Rückblick: 2004 unternimmt Müller, gebürtiger Bergneustädter, mit gleichgesinnten Hobby-Fotografen aus Oberberg erste Ausflüge in die „verlassenen Welten“, wie er stillgelegte Firmenhallen, Trümmer, Überbleibsel und Katakomben nennt. Die Motivsuche beginnt damals in einer Industrieruine im Lambachtal nahe Oesinghausen. In der Folgezeit geht die Truppe in Sachen Ruinen-Fotografie regelmäßig auf Tour.
Durch den Sucher blickt Müller in die gigantischen Hallen der Kölner Klöckner-Humboldt-Deutz-Werke und in ein Lungen-Sanatorium aus dem 19. Jahrhundert. In Prora auf Rügen stiefelt er durch die fast drei Kilometer breiten Reste einer Ferienanlage, die die Nazis einst in ihrem Größenwahn konzipierten. Durch den Ausbruch des Krieges wurde diese aber nie komplett fertigstellten.
„Aus Fotografen-Sicht das absolute Highlight“
Mehrfach ist Berlin Ziel einer Expedition in verlassene Welten. Anfang 2019 meldet sich Müller für die Reise in die Ukraine an. „Aus Fotografen-Sicht bisher das absolute Highlight“, blickt der 49-Jährige zurück.
Die Ausstellung
„Verloren und vergessen – Ein-Blick in verlassene Welten“ lautet der Titel der ersten Ausstellung von Oliver Müller, die am Freitag, 21. Juni, um 19 Uhr im Foyer des Lindlarer Rathauses, Borromäusstraße, eröffnet wird. 16 großformatige Bilder hat Müller dafür ausgewählt – darunter natürlich auch Aufnahmen aus Prypjat. Die Ausstellung ist bis zum 31. Juli während der Öffnungszeiten des Rathauses zu sehen.
Kontakt zum Fotografen gibt es über seine Homepage. (sfl)
www.lichtritzer.de
Von allen bisherigen Zielen unterscheidet sich Prypjat nämlich in einem entscheidenden Punkt: Es liegt bis heute mitten in einer militärisch gesicherten Sperrzone. Wenn Vandalen und Graffiti-Sprayer irgendwo auf der Welt keine Chancen haben, dann in Prypjat. So ist es Müller möglich, durch Straßen und Bauten einer Stadt zu streifen, die zum Zeitpunkt der Katastrophe als hochmoderne Siedlung galt und die weitgehend unversehrt geblieben ist.
Aufnahmen konservieren den kalten Krieg
Er fotografiert ein nagelneues Fußballstadion, in dem nie ein Ball rollte und auf dessen Grün inzwischen imposante Bäume gewachsen sind, und nimmt den einstigen Gruppenraum eines Kindergartens vor die Linse, in dem sogar die Puppen Gasmasken tragen.
Etwas außerhalb von Prypjat gelingen Müller Aufnahmen einer früheren sowjetischen Radaranlage, die den Anflug amerikanischer Mittelstreckenraketen melden sollte. „Angeblich gelang es, die Einrichtung etliche Jahre lang geheim zu halten“, berichtet Müller mit einem Schmunzeln. „Wie das angesichts ihrer 150 Meter hohen Antennen gelingen konnte, ist mir allerdings schleierhaft.“
Rückkehr verlassener Welten
Die plötzliche Flucht aller Menschen aus der Sperrzone habe eben auch den Kalten Krieg konserviert, so Müller. „Über dem Ort liegt eine seltsame Aura.“ Nostalgische Möbel und Spielzeug seien gespenstische Beweise der damaligen Zeit.
Als Kunst versteht Oliver Müller seine Bilder nicht. Ihm geht es eher um die Dokumentation und die Entwicklung von Plätzen, die schon lange aus dem Bewusstsein der Menschen gedrängt wurden. Durch seine Aufnahmen kehren die verlassenen Welten noch einmal zurück.