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Rundschau-Debatte des TagesIst die Diskussion zur Impfquote übertrieben?

Lesezeit 4 Minuten
Impfung Spritze in der Schale

Symbolbild 

  1. Das Robert Koch-Institut vermutet in Deutschland eine höhere Impfquote, als es die eigenen Zahlen suggerieren.
  2. Die Empörung über die vermeintliche Nachlässigkeit der Behörde schlägt nun hohe Wellen.

Berlin – In der Debatte um die präzise Impfquote in Deutschland hat der Virologe Christian Drosten das Robert Koch-Institut (RKI) in Schutz genommen. Die einseitige Schuldzuweisung ans RKI und Lothar Wieler halte er so nicht für gerechtfertigt, sagte der Experte von der Berliner Charité am Dienstag im Podcast „Coronavirus-Update“ bei NDR-Info. Das Thema sei auch nicht neu, das RKI weise schon länger auf die Problematik hin. Auch das RKI selbst sieht keine Versäumnisse.

Die Ausgangslage

Nach einem Bericht zu einer RKI-Impfbefragung, der vorige Woche erschienen ist, sind unter Erwachsenen hierzulande vermutlich mehr Menschen geimpft als die Daten aus dem Meldesystem nahelegen. Es hieß, dass die Quote bei einmal und vollständig Geimpften ab 18 Jahren bis zu 5 Prozentpunkte höher sein dürfte. Bereits im August hatte das RKI von „gewisser Unsicherheit“ bei der Interpretation von Impfquoten-Daten berichtet.

Grafik Impfung

Das sagt das RKI

Das Robert Koch-Institut weist die Verantwortung für offenbar zu niedrige Werte in der offiziellen Corona-Impfstatistik von sich. „Das RKI kann nur die Impfdaten veröffentlichen, die ihm entsprechend übermittelt worden sind“, sagte Präsident Lothar Wieler laut einer Mitteilung vom Mittwoch. Eine zu niedrige Erfassung stelle „keinen Fehler und kein Versäumnis des RKI dar“, sondern gehe auf unterbliebene Meldungen einiger impfender Stellen zurück, hieß es. Man sei bei der Ermittlung der Impfquote auf das Digitale Impfquotenmonitoring (DIM) angewiesen, schreibt das RKI. Die Anwendung und Zuverlässigkeit dieses Meldesystems liege „ausschließlich in der Hand der impfenden Stellen (Impfzentren, Impfteams, Krankenhäuser, Arztpraxen, Betriebsärzte)“.

Alles zum Thema Christian Drosten

Am Mittwoch gab das RKI die gemeldete Quote der vollständig Geimpften unter Erwachsenen mit 76,0 an. Bezogen auf die Gesamtbevölkerung sind demnach 65,4 Prozent vollständig geimpft. Das RKI verwies darauf, dass eine Zielimpfquote von mindestens 85 Prozent bei allen 12- bis 59-Jährigen und von mindestens 90 Prozent bei den Über-60-Jährigen angestrebt werde. Dieses Ziel sei auch unter Berücksichtigung der vermutlich höheren tatsächlichen Impfquote noch nicht erreicht.

So bewertet Drosten die Sache

Letztlich sei die öffentliche Aufregung um die Diskrepanz „komplett umsonst“, sagte Drosten. Die Situation habe sich nicht geändert. „Das ist einfach der totale Klamauk, was da passiert ist.“ Rechnen müsse man mit der Impfquote der Gesamtbevölkerung (und nicht der Erwachsenen), sagte Drosten: Dabei sei der Unterschied zwischen dem Meldesystem und der RKI-Begleituntersuchung gering und für die Bewertung der Gesamtsituation „irrelevant“. Die Begleitstudie, eine Umfrage, weise auch einige Einschränkungen auf. Weiter sprach sich Drosten dafür aus, Corona-Schutzmaßnahmen nur nach und nach zu lockern: „Das Allerwichtigste ist das Schließen der Impflücken. Und dann öffnen wir schrittweise, ein Schritt nach dem anderen.“ Die Quote solle „so hoch wie es geht“ gesteigert werden.

Kritik an neuem Indikator

Die Frankfurter Virologin Sandra Ciesek, die im Wechsel mit Drosten den Podcast im NDR macht, sieht zudem die sogenannten Hospitalisierungsinzidenz (Covid-19-Neuaufnahmen in Kliniken binnen sieben Tagen) „als Maß aller Dinge“ kritisch: Der Virologin zufolge bildet der Indikator die tatsächliche Belastung in vielerlei Hinsicht ungenau ab. Sie sprach sich etwa dafür aus, sich die Lage der Universitätskliniken genauer anzuschauen, da diese die Covid-19-Patienten vorrangig behandelten. Auch innerhalb einzelner Krankenhäuser seien Abteilungen unterschiedlich stark belastet. (dpa)

Zur Situation in den Krankenhäusern

Deutschlands Intensivmedizinern zufolge gibt es auf den Corona-Intensivstationen nahezu keine geimpften Patienten ohne Vorerkrankung. „Die allermeisten Patienten, die wir behandeln – das wissen wir aus den Gesprächen mit vielen Kollegen großer deutscher Intensivstationen – sind gar nicht oder nicht vollständig geimpft“, sagte Gernot Marx, Präsident der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND). Die Minderheit der Geimpften auf den Intensivstationen bestehe zu großen Teilen aus älteren Patienten, deren zweite Impfung schon weit zurückliege. „Diese Menschen leiden in aller Regel zudem unter schweren chronischen Krankheiten“, sagte Marx. Die Kapazitäten für freie Betten seien aktuell relativ stabil, teilte der DIVI-Präsident weiter mit. „Im Moment sind wir in einer Plateau-Phase, wir stagnieren bei etwa 1300 Covid-Intensivpatienten.“ Die Lage sei „unter Kontrolle“. „Wir sind inzwischen handlungsfähig und haben im Schnitt zwei freie Intensivbetten pro Standort“, sagte Marx. Von einer Entspannung sei aber keineswegs zu sprechen. (afp)