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Rheinischer Sprachforscher im InterviewMit dat und wat, mit Schluffen und Schlappen

Lesezeit 4 Minuten
Sprachforscher

Mit allen rheinischen Dialekten gewaschen: Dr. Georg Cornelissen hat 36 Jahre die rheinische Sprache erforscht. 

Kaum ein Mensch hat das Rheinland und seine Sprache in seiner ganzen Vielfalt so genau untersucht und so verständlich erklärt wie Dr. Georg Cornelissen. Nach 36 Jahren beim Institut für Landeskunde und Regionalgeschichte des Landschaftsverbandes Rheinland geht Cornelissen nun in den Ruhestand.

Herr Cornelissen, welches typisch rheinische Wort haben Sie heute schon gehört?

Fimschig. Dieses Wort kennt man am Niederrhein, wo ich geboren bin, nicht. Im Hochdeutschen ist es ebenfalls unbekannt, in Bonn aber hört man es immer wieder, weil es so nützlich ist. Ein Gegenstand, der zu fragil, zu bruchanfällig, zu wenig haltbar ist, ist fimschig. Auch Menschen können fimschig sein, gerade in dieser Jahreszeit.

Regiolekt oder Dialekt – den Unterschied haben Sie während Ihrer Zeit als Sprachexperte unzählige Male erklärt. Bitte noch ein letztes Mal für uns.

Dialekt ist dasselbe wie Platt: eine eigene Sprache mit allem Pipapo, für Fremde unverständlich. Regiolekt ist nur eine Umgangssprache mit regionalen Merkmalen: Mit dat und wat, mit knibbeln und piddeln, mit Schluffen und Schlappen. Also eine echte Mehrheitssprache im Rheinland.

Zur Person

Dr. Georg Cornelissen hat Germanistik, Geschichte und Niederlandistik in Bonn und Köln studiert, hat die Lehrerausbildung abgeschlossen und „als Lehrer mit Haut und Haaren“ 1985 beim LVR-Institut für Landeskunde und Regionalgeschichte begonnen.

Er ist Autor zahlreicher Publikationen und hatte zeitweise einen Lehrauftrag an der Universität Bonn. In zahlreichen Zeitungs-Kolumnen und im TV informiert er über die Besonderheiten der Sprache. 

Wo und wann sind Sie das erste Mal mit Platt in Berührung gekommen?

In Winnekendonk, wenn Ihnen das was sagt. Das liegt östlich von Kevelaer. Dort bin ich aufgewachsen. Mein Vater, der gebürtig aus Dinslaken stammte, hatte sich das dortige Platt angeeignet, was aber die Einheimischen nicht darüber hinwegtäuschen konnte, dass er nicht aus der Gegend stammte. Der Dialekt war immer in der Luft, und ich konnte ihn im wahrsten Sinne des Wortes aufschnappen. Aber zu Hause haben wir Hochdeutsch gesprochen. Auch weil meine Mutter, die gebürtig aus Schlesien war, keinen weiteren Dialekt lernen mochte.

Sie haben 36 Jahre lang im Dienst des Landschaftsverbandes die rheinische Sprache untersucht. In welchen Bereichen ist die Veränderung der Sprache am deutlichsten zu erkennen?

Es fällt auf, dass immer seltener Dialekt zu hören ist. Das liegt daran, dass er sich von Tag zu Tag mehr dem Hochdeutschen anpasst. Grundsätzlich ist das auch gut so, weil gemeinsame Sprache wichtig ist, um einander zu verstehen. Der Nachteil ist aber, dass keine Dialektsprecherinnen und -sprecher mehr nachwachsen und viele Dialektwörter verloren gehen! Denken Sie beispielsweise nur an die vielen landwirtschaftlichen Geräte, deren Namen auch deshalb in Vergessenheit geraten, weil sie nicht mehr gebraucht werden.

Seit ein paar Jahren genießt der Heimatbegriff durch alle Schichten hinweg eine große Aufmerksamkeit. Können Sie diese Popularität auch in Bezug auf die Sprache feststellen?

Was ich im Laufe der Jahre durchschaut habe: Wenn es um die regionale Sprache geht, um Dialekt und Regiolekt also, müssen wir zwischen Lippenbekenntnissen und Ankündigungen einerseits und Taten und Finanzierungen andererseits unterscheiden. In diesem Punkt bin ich alles andere als euphorisch. Aber – für die regionale Sprachforschung im Rheinland gibt es mehr als genug zu tun!

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Wer Sie erlebt, bekommt schnell den Eindruck, dass der Spaß und die Begeisterung für die Sprache und Ihre Arbeit ungebrochen sind. Richtig?

Das will ich hoffen. Ich habe ja keinen eingebauten Bremsmechanismus, der bei 66 Jahren aktiviert wird. Ich schließe mich da vollinhaltlich Udo Jürgens an: Mit 66 Jahren…. Aber einen strukturierten Plan habe ich nicht. Ich will mich aber weiter den Dialekten rund um Bonn, wo ich lebe, und meiner niederrheinischen Heimat widmen.

Mancher Arbeitnehmer lässt es kurz vor der Rente gemütlich ausklingen. Sie hingegen haben noch ein Buch geschrieben und was für eins: einen Sprachatlas für das Rheinland zwischen Emmerich und Eifel mit dem kurzen Titel „dat & wat“

Dazu möchte ich nicht viel sagen. Das Buch erscheint ja erst in der nächsten Woche, sieht aber toll aus. Es ist mein zwölftes Buch, die Aposteln sind also voll. Aber vielleicht verrate ich doch soviel: Der Atlas enthält 50 farbige Sprachkarten und soll dem Leser als handfeste Orientierungshilfe dienen: Wo spricht man so wie bei uns? Und wie sagt man anderswo zwischen Emmerich und Eifel?

Zum Schluss: Was sind Ihre liebsten rheinischen Wörter?

Ziemlich viele, eigentlich fast alle. Obwohl – im Rheinischen gibt es ja doch nicht sehr wenige Schimpfwörter, die klammere ich definitiv aus. Aber sonst – Wörterbücher gehören zu meiner Lieblingslektüre. Das Rheinische Wörterbuch beispielsweise mit seinen neun Bänden gibt es jetzt digital im Internet. In diesem Sinne: Tschö mit ö!

Das Interview führten Klaus Müller und Birgit Ströter.