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Erschütternde Schilderung„Sie wussten alle Bescheid“ – Geständnis im Vergewaltigungsfall von Avignon

Lesezeit 3 Minuten
Gisèle Pelicot zusammen mit ihren Anwälten Antoine Camus (l.) und Stephane Babonneau (r.) vor dem Gerichtssal in Avignon. Der Missbrauchsprozess sorgt weiterhin für Entsetzen weit über Frankreich hinaus.

Gisèle Pelicot zusammen mit ihren Anwälten Antoine Camus (l.) und Stephane Babonneau (r.) vor dem Gerichtssal in Avignon. Der Missbrauchsprozess sorgt weiterhin für Entsetzen weit über Frankreich hinaus.

Jahrelang soll er seine betäubte Frau fremden Männern zur Vergewaltigung zugeführt haben. Nun hat der Hauptangeklagte von Avignon gestanden. Gisèle Pelicot wird für ihren Mut gefeiert.

Der angeklagte Franzose, der seine Frau über Jahre hinweg mit Schlafmitteln betäubte und Fremden zur Vergewaltigung anbot, hat sich vor Gericht zu seinen Taten bekannt. „Ich bin ein Vergewaltiger, so wie die anderen hier im Raum“, sagte Dominique Pelicot am Dienstag in Avignon mit Blick auf seine 50 Mitangeklagten. „Sie wussten alle Bescheid, niemand kann das Gegenteil behaupten“, sagte Pelicot und erklärte sich in allen Anklagepunkten für schuldig.

Mehrere der Mitangeklagten weisen die Vorwürfe der Vergewaltigung zurück. Sie erklären unter anderem, dass sie den Eindruck gehabt hätten, es habe sich um Sexspiele eines freizügigen Paares gehandelt. Der Hauptangeklagte widersprach dieser Darstellung am Dienstag vor Gericht mit seinen Aussagen deutlich.

Vergewaltigungsfall von Avignon: Hauptangeklagter bekennt sich schuldig

Es war das erste Mal, dass der 71-Jährige in dem aufsehenerregenden Prozess zu den Taten befragt wurde. Seine Aussage hatte sich wegen gesundheitlicher Probleme mehrfach verzögert. Der Vorsitzende Richter hatte mehrere medizinische Untersuchungen beantragt und bereits eine Vertagung des Prozesses in Erwägung gezogen.

Eine Gerichtszeichnung zeigt Dominique Pelicot während seiner Aussage vor Gericht.

Eine Gerichtszeichnung zeigt Dominique Pelicot während seiner Aussage vor Gericht.

Nun aber erschien Pelicot doch wieder vor Gericht – mithilfe eines Stocks. Pelicot leidet nach Angaben des Gerichts unter anderem an einer Niereninfektion. Er wurde für prozessfähig erklärt, bekam aber einen Sessel statt eines Stuhls und soll regelmäßig Pausen einlegen, in denen er sich hinlegen kann.

Gisèle Pelicot bei Aussage anwesend: „Ich hatte völliges Vertrauen“

Seine Ex-Frau Gisèle Pelicot hatte in der vergangenen Woche vor Gericht ausführlich geschildert, wie sie jahrelang unter unerklärlichen Gedächtnislücken und gynäkologischen Problemen litt, bevor sie erfuhr, in welcher Weise sich ihr Mann an ihr verging. Dies wurde aufgedeckt, als ihr Mann wegen eines anderen Vergehens ins Visier der Justiz geriet und die Ermittler auf etwa 4.000 Fotos und Videos von Vergewaltigungen der offensichtlich bewusstlosen Frau stießen.

„Für mich ist es schwierig, Herrn Pelicot zuzuhören, denn ich habe mir in 50 Jahren nicht eine Sekunde lang vorstellen können, dass er vergewaltigen könnte“, erklärte Gisèle Pelicot dem „Guardian“ zufolge am Dienstag vor Gericht. „Es ist schwer für mich, das heute zu hören … die Gewalttaten und die Barbarei. Ich hatte völliges Vertrauen. Ich habe diesen Mann 50 Jahre lang geliebt“, bekräftigte sie.

Die Scham soll die Seite wechseln: Gisèle Pelicot wird zur Ikone

Als Gisèle Pelicot in einer Pause den Gerichtssaal verließ, wurde sie mit großem Applaus und einem Blumenstrauß empfangen. „Bravo Madame“, „Gisèle, Gisèle“ riefen zahlreiche Prozesszuschauer. Die 72-Jährige, die eine Verhandlung unter Ausschluss der Öffentlichkeit verhindert hatte, „damit die Scham die Seite wechselt“, ist seit Beginn des Prozesses zu einer Ikone der Frauenbewegung geworden.

Eine Demonstrantin hält bei Protesten zur Unterstützung von Gisèle Pelicot in Rennes ein Schild hoch. „Wenn es kein ‚Ja‘ ist, dann ist es ein ‚Nein‘“, lautet die deutsche Übersetzung der Aufschrift des Plakats.

Eine Demonstrantin hält bei Protesten zur Unterstützung von Gisèle Pelicot in Rennes ein Schild hoch. „Wenn es kein ‚Ja‘ ist, dann ist es ein ‚Nein‘“, lautet die deutsche Übersetzung der Aufschrift des Plakats.

Ihr angeklagter Ex-Mann wandte sich vor Gericht direkt an sie: „Ich bitte um Verzeihung, auch wenn das nicht akzeptabel ist“, sagte er. Gisèle habe das „nicht verdient“, fügte er an. „Sie war wunderbar, und ich war völlig neben der Spur“, erklärte Pelicot weiter und berichtete von mehreren traumatischen Kindheitserlebnissen. So sei er mit neun Jahren im Krankenhaus von einem Pfleger vergewaltigt worden.

Avignon: Angeklagter weist Vorwürfe seiner Tochter zurück

Pelicot wies zudem Vorwürfe seiner Tochter zurück, die vor Gericht vermutet hatte, dass ihr Vater sie auch betäubt hatte. Bei den Durchsuchungen waren bei Pelicot auch Nacktfotos seiner offenbar schlafenden Tochter und seiner beiden Schwiegertöchter gefunden worden. „Caroline, ich habe dich niemals angefasst, niemals betäubt, niemals vergewaltigt. Das ist unmöglich“, sagte Pelicot.

Der furchtbare Missbrauchsfall hat weit über Frankreich hinaus Empörung und Entsetzen ausgelöst. In Frankreich demonstrierten am vergangenen Wochenende und zu Wochenbeginn Tausende gegen männliche Gewalt, Vergewaltigungen und Femizide – und zur Unterstützung von Gisèle Pelicot. „Dank Ihnen habe ich die Kraft, diesen Kampf bis zum Ende durchzustehen“, sagte die 72-Jährige am Montag zu den Demonstranten. (das/afp)