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Krise royalVon den Höhen und Tiefen des britischen Königshauses

Lesezeit 7 Minuten
Queen Elizabeth

Standhaftes Oberhaupt der königlichen Familie: Queen Elizabeth

  1. Harry und Meghan haben mit ihrem TV-Interview weltweit für Aufregung gesorgt.
  2. Ihre Enthüllungen werden aber wohl bei aller Brisanz nicht zum Untergang des britischen Königshauses führen. Das hat schon ganz andere Tiefschläge überstanden.

London – Es war an einem Samstag vor einer gefühlten Ewigkeit, als ein gigantisches Spektakel die royale Welt ergriff. Tausende von Menschen pilgerten damals ins hübsche Städtchen Windsor, um zu feiern, wie Meghan Markle und Prinz Harry sich ewige Liebe versprachen. An diesem 19. Mai 2018 – sogar die Sonne schien trotz englischen Frühlings – sollte ein neuer Stil ins altehrwürdige Adelshaus Großbritanniens ziehen. Was nicht nur daran abzulesen war, dass sich die beiden unaufhörlich berührten, eine – Hunde und Pferde ausgenommen – höchst unenglische Eigenart. Es lag vor allem in der Natur des Bündnisses begründet.

Harry, auf Platz sechs der Thronfolge stehend, erlebte endlich sein Happy End. Die Nation, die das Sorgenkind ins Herz geschlossen hatte, seit es mit gesenktem Haupt und geballten Fäusten hinter dem Sarg der verstorbenen Prinzessin Diana herlief, verfolgte, wie er nun Meghan ehelichte. Die Tochter einer Afroamerikanerin und eines weißen Vaters, Schauspielerin, geschiedene US-Aktivistin und starke Persönlichkeit. Meghan würde es schon richten im verstaubten Königshaus. Das Power-Paar sollte nichts weniger als die Monarchie modernisieren.

Harry als Soldat

Prinz Harry bei seinem Militärdienst

Keine drei Jahre später erlebte die Welt das nächste Spektakel, nur wedeln jetzt keine behüteten Fans mehr mit Fähnchen. Zahlreiche US-Amerikaner schimpfen vielmehr über das anachronistische System auf der Insel nach dem „Bombshell“-Interview, wie die Briten so schön sagen, des Herzogs und der Herzogin von Sussex.

Fehlende Unterstützung und Suizidgedanken

Die beiden klagten über fehlende Unterstützung trotz psychischer Probleme und Suizidgedanken bei Meghan, über Falschnachrichten, die sogar vom Palast befeuert worden sein sollen, über das Gefühl des Gefangenseins im goldenen Käfig, die schonungslose Boulevardpresse – und am schlimmsten: Sie warfen den Royals Rassismus vor. Ein Mitglied der Familie habe in Gesprächen mit Harry Bedenken über die Hautfarbe seines zu diesem Zeitpunkt noch ungeborenen Sohnes geäußert. Den Namen nannten die Sussexes nicht, nun steht die ganze Sippschaft – außer Königin Elizabeth II. und Prinz Philip – unter Generalverdacht.

Vielleicht hätte man das alles kommen sehen müssen. Andrew Morton, berühmt und berüchtigt wegen seiner Biografie über Lady Diana, hatte pünktlich zum medialen Hochzeitszirkus 2018 ein Buch über die Prinzenbraut veröffentlicht. Demnach soll zu Meghans Vorfahren der legendäre Schottenkönig Robert the Bruce gehören, der – oh, Dear! – im Jahre 1314 die englische Armee besiegte.

Ein Frontalangriff auf das britische Volk

Die königliche Familie diene als Symbol für die Nation, sagte Morton unserer Redaktion. Im Umkehrschluss bedeutet das: Harry und Meghan unternahmen mit ihrer Abrechnung auch einen Frontalangriff auf das britische Volk. Die Anschuldigungen, so war man sich zu Beginn der Woche sicher, stürzen die königliche Familie in eine tiefe Krise. Aber stimmt das?

Der Palast reagierte zunächst, wie er immer reagiert: Er schwieg. Erst 40 Stunden nach der Ausstrahlung des Interviews gab er dem öffentlichen Druck mit einem kurzen Statement nach. In 61 behutsam gewählten Wörtern versuchte sich die Queen an Deeskalation, zeigte sich betroffen, ohne aber die Vorwürfe anzuerkennen. Ansonsten: Private Angelegenheit, thanks, und nun zurück zur Tagesordnung.

So stattete Prinz Charles, heftig attackiert von seinem Sohn, am Dienstag einem Impfzentrum eine Visite ab. Prinz William, Bruder von Harry, besuchte am Donnerstag eine Londoner Schule. „Wir sind keine rassistische Familie“, sagte der Herzog von Cambridge bei dieser Gelegenheit, als sei die Sache damit erledigt. Unter Umständen ist sie das.

Ein Blick in die Vergangenheit lohnt

Um zu verstehen, wie das Königshaus mit dem jüngsten Skandal umgeht, lohnt ein Blick in die Vergangenheit. Da haben sich die Stürme in der Regel nach geraumer Zeit wieder aus dem zugigen Buckingham-Palast verzogen. Was wurde nicht alles geschrieben im Jahr 1995 nach Dianas legendärem BBC-Interview? Der Sofa-Royal erinnert sich an den berühmten Satz in Anspielung auf Charles’ langjährige Geliebte Camilla Parker Bowles: „Nun, wir waren zu dritt in dieser Ehe – es war also ein bisschen überfüllt.“

Nachdem Diana vor der Welt ihr Herz ausgeschüttet und über die Eheprobleme zwischen ihr und Prinz Charles geklagt hatte, über seine Eignung als Thronfolger, über Affären, inklusive ihrer eigenen, über ihre Bulimie und überhaupt alles, folgten Scheidung, Drama und noch mehr Dramen. Es kam zum endgültigen Bruch zwischen Diana und der Königsfamilie.

Parallelen zu Diana?

„Meine größte Sorge ist, dass sich die Geschichte wiederholt“, sagte Harry jetzt zur US-Talkmasterin Oprah Winfrey. Die Parallelen zum spektakulären Interview seiner Mutter sind kaum zufällig. Diana wie auch die Sussexes beschrieben die „Firma“ als gefühlskalte Institution, von der sie sich im Stich gelassen fühlten, die sie unter anderem aus Neid regelrecht sabotiert habe. „Ich fürchte, dass Harry es eines Tages bereuen wird, genau wie Diana“, sagt die Autorin Penny Junor.

Bis auf seltene Ausnahmen, wie etwa jetzt, meldet sich die andere Seite im royalen Zirkus meist nicht zu Wort. Die Königsfamilie fuhr mit dem Motto „Never complain, never explain“ („Sich nie beschweren, sich nie erklären“) meist besser. Eine Regel, die von der Mutter der Königin eingeführt wurde. Queen Mum, wie sie im Volksmund hieß, könnte man als royale Oberkrisenexpertin bezeichnen. Sie musste mit ansehen, wie König Edward VIII. nach nur 326 Tagen auf dem Thron aus Liebe zur geschiedenen US-Amerikanerin Wallis Simpson abdankte. Und damit ihr Mann im Jahr 1936 als König George VI. gekrönt wurde.

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Prinzessin Diana neben Prinz Charles auf einer Aufnahme aus de Jahre 1986

Die Bürde der Krone zu tragen stellte eine persönliche Katastrophe für ihn dar – und damit wohl auch für seine Gemahlin, die sich aber Zeit ihres Lebens an ihre Strategie hielt, die auch für den Rest der Familie galt. So überstand das Königshaus in den 1970er-Jahren nicht nur die Scheidung Prinzessin Margarets, der Schwester der Queen – die erste Scheidung im Kreis der Royals seit Heinrich VIII. im 16. Jahrhundert. Sondern auch die verstörende Vorstellung von Prinz Charles, der sich laut heimlicher Telefonmitschnitte danach sehnte, Camillas Tampon zu sein.

Der Problem-Prinz Andrew

Wer den Grundsatz in der Vergangenheit missachtete, wie etwa Problem-Prinz Andrew, löste meist ein PR-Desaster aus. Der Lieblingssohn der Queen hatte all seine Privilegien und öffentlichen Ämter verloren, nachdem er Ende 2019 seine Sicht der Dinge im Missbrauchsskandal um den Sexualstraftäter Jeffrey Epstein geschildert hatte. Mit diesem blieb er befreundet, auch nachdem dieser bereits verurteilt war. Dem Prinzen selbst wird vorgeworfen, eine damals 17-Jährige zum Sex gezwungen zu haben. Man möchte annehmen, dass dies wackelnde Palastmauern auslösen könnte. Aber es ist ruhig geworden um den untergetauchten Andrew.

Andrew

Prinz Andrew, Herzog von York. Wegen Missbrauchsvorwürfen steht der Royal in Großbritannien und den USA massiv unter Kritik. 

Nur einmal, nach dem Tod von Prinzessin Diana, rächte sich das Schweigen und die fehlende Anteilnahme. Das Volk erlebte in jener schicksalhaften Woche nach dem Unfall eine kaltherzige Familie. Als unnahbar, steif und arrogant wurde die Queen beschimpft, bis sie denn endlich auf ihre trauernden Untertanen zuging. Jeder vierte Brite befürwortete damals die Abschaffung der Monarchie. Paradoxerweise sorgte diese Krise dafür, dass die Royals wenige Jahre später so beliebt dastanden wie selten zuvor. Sie lernten aus den Fehlern, fuhren eine Weile eine modernisierte PR-Strategie und ließen Glanz und Pomp wieder erstrahlen.

Die Mehrheit steht hinter der Queen

Kratzen Harrys und Meghans Vorwürfe nicht nur am schönen Schein, sondern bringen gar das Königshaus ins Wanken? Die Realität ist: Laut Umfragen steht die Mehrheit der Briten weiter hinter der Queen, nur in der jüngeren Bevölkerung zählen sich mehr Menschen zum „Team Meghan“, das eine Aufarbeitung der Rassismus-Vorwürfe fordert. Die Fans der Sussexes dürften enttäuscht werden.

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„Die Monarchie hat die Tumulte des letzten Jahrhunderts in großen Teilen deshalb überlebt, weil sie sorgfältig vermieden hat, mit politischen und kulturellen Idealen in Verbindung gebracht zu werden“, schrieb die „Times“. Und die Regenbogenpresse hat den Skandal bereits auf die hinteren Seiten verbannt. Während die Royals den Skandal aussitzen, scheint der Zirkus schon wieder weitergezogen – wie immer, möchte man hinzufügen.