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„Junkfluencer“-ReportWie Social-Media-Stars Kinder zur ungesunden Ernährung animieren

Lesezeit 4 Minuten

Lukrative Werbung: Influencerin Sarina mit der unter ihrer Marke vertriebenen Torte von Coppenrath und Wiese.

Berlin – Die junge Youtuberin Viktoria verkündet lauthals eine Überraschung für „ihre beste Freundin“. Sie blickt so aufgeregt in die Kamera ihres Smartphones, als sei es ihr Geburtstag und alle Follower eingeladen, an dem kleinen gedeckten Kaffeetisch mit Luftballons herum Platz zu nehmen.

Tatsächlich „überrascht“ sie ihre Kollegin Sarina mit der ersten Torte unter der Marke des Duos „Spring in eine Pfütze!“, die mit der Konditorei Coppenrath & Wiese entstand.

Für Sarina „der beste Tag in ihrem Leben“. Kein Wunder, denn allein dieses Werbe-Video wurde fast eine halbe Million Mal angesehen, bekam mehr als 100000 Likes, laut Verbraucherschutzorganisation Foodwatch. Die „rosa Glitzerwelt mit Hunden und Pferden“ der Österreicherinnen sei besonders bei jungen Mädchen beliebt.

Ungesundes aus der rosa Glitzerwelt

Tausende solcher Beiträge und Videos auf den Plattformen YouTube, Instagram und Tiktok von Influencern mit Millionen jungen Followern in Deutschland, darunter Simon Desue und Julia Beautx, hat Foodwatch für den „Junkfluencer“-Report im Jahr 2020 untersucht. Ihr Ergebnis: Lebensmittelkonzerne wie McDonald’s, Coca-Cola, Red Bull oder Haribo setzten gezielt auf junge Social-Media-Stars, um ungesunde Produkte an Kinder und Jugendliche zu vermarkten, denn sie genießen oft viel Vertrauen bei ihren Fans. Sie animierten mit Pizza-Wettbewerben, Aktionen wie „Naschgesichter“ posten oder Back-Marathons zum Konsum. Die Werbebotschaft erreicht die Kinder beim Surfen oder beim Chat mit den Freunden auf dem Smartphone überall.

Foodwatch: Fehlernährung und Fettleibigkeit gefördert

Nach Auffassung von Foodwatch fördere die Industrie mit diesem Online-Marketing „an der elterlichen Kontrolle vorbei“ Fehlernährung und Fettleibigkeit bei Kindern und Jugendlichen. Zudem sabotierten diese „übergriffigen Marketingmethoden“ die Bemühungen vieler Eltern, ihre Kinder für eine gesunde Ernährung zu begeistern.

„Kinder und Jugendliche entwickeln schon früh Ernährungsgewohnheiten, die ihre Gesundheit lebenslang beeinflussen“, unterstrich Prof. Dr. Berthold Koletzko, Vorsitzender der Stiftung Kindergesundheit an der Kinderklinik der Universität München gestern bei der Vorstellung des Reports. Seit langer Zeit forderten die Kinder- und Jugendärzte bereits, „die an Kinder und Jugendliche gerichtete Werbung – darunter auch die subtile und oft schwer durchschaubare Werbung über soziale Medien – zu beschränken. Denn die allermeisten Produkte sind unausgewogen und fördern ernährungsbedingte Krankheiten wie Typ-2-Diabetes.“ Aktuell gelten, nach seinen Angaben, etwa 15 Prozent der Kinder und Jugendlichen in Deutschland als übergewichtig und sechs Prozent als fettleibig.

Vor allem ein lukratives Geschäftsmodell

Doch Victoria und Sarina setzen in einem Statement gegenüber ARD-„Report München“ auf Eigenverantwortung ihrer jungen Follower. Coppenrath & Wiese verweist auf Anfrage unserer Redaktion im Hinblick auf die Zusammenarbeit mit den Youtuberinnen darauf, dass es sich bei der „Spring in eine Pfütze!“-Torte „um ein Genussprodukt für besondere Anlässe, nicht für den Alltagsgebrauch“ handele. Dieses Kaufverhalten spiegele sich auch in der Marktforschung des Unternehmens wider. „Diese Produkte werden in der Regel einmal jährlich zum Geburtstag oder zu besonderen Anlässen mit Familie oder Freunden als Überraschung präsentiert. Genau so sehen und positionieren wir diese Produkte auch.“

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Für die Industrie und die Influencer sei dieses Marketing ein lukratives Geschäftsmodell. „Gerade Unternehmen, die für ungesunde Produkte werben, haben ein großes Interesse daran, Kinder und Jugendliche als Käufer für ihre Produkte zu gewinnen, weil diese auch ein Leben lang diese Produkte auch weiter kaufen“, meint Luise Molling von Foodwatch.

„Ein Influencer, der für Obst und Gemüse wirbt, wird damit nicht reich werden, deswegen gibt es hier ganz klar einen ökonomischen Fehlanreiz“, aus diesem Grund müsse politisch gegengesteuert werden. Foodwatch fordert deshalb die zuständige Bundesernährungsministerin Julia Klöckner (CDU) auf, ob im Internet, Fernsehen oder Supermarkt, dem „Kindermarketing für ungesunde Produkte“ gesetzlich strenger zu regulieren. Klöckner erklärte zwar, dass Lebensmittelwerbung, die auf Kinder abziele, stärker in den Blick genommen werden müsse und „weitergehende Beschränkungen notwendig“ seien. Sie verwies jedoch auf den Zentralverband der deutschen Werbewirtschaft und forderte ihn auf, die freiwilligen Verhaltensregeln zu verschärfen.Der Ruf nach strengerer gesetzlicher Regelung kam gestern auch von der Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv): Seiner Meinung nach sei die freiwillige Selbstverpflichtungen der Wirtschaft im Bereich Kindermarketing „weitestgehend“ wirkungslos, denn Lebensmittel mit viel Zucker, Fett oder Salz würden weiterhin an Kinder vermarktet. Das sei das Fazit des von ihm beauftragten Berichts „Lebensmittel mit Kinderoptik und deren Bewerbung“ der LMU München. „Doch gerade unausgewogene, hoch verarbeitete Produkte bringen oft höhere Gewinnmargen als gesunde Lebensmittel. Es ist deshalb klar, dass Selbstverpflichtungen nicht funktionieren können“, erklärte Klaus Müller, vzbv-Vorstand.