Köln – Irgendwas ist immer: Eigentlich brauchen Verschwörungstheoretiker keinen konkreten Anlass für ihre bizarren Ideen von Mondlandungen, die nur im Filmstudio stattgefunden haben, von der Gemeinschaft der Illuminaten, die die internationale Politik kontrolliert oder Nazi-Kolonien auf der Mondrückseite.
Doch ein April-Scherz von wetteronline.de hat jetzt wieder einmal Anhänger der seit 2004 in Deutschland besonders beliebten Chemtrail-„Theorie“ auf den Plan gerufen. Um die seit Jahren tobende Fehde um die Deutungshoheit über Kondensstreifen am Himmel zu befeuern. Chemtrail-Anhänger glauben nämlich, dass Homomutatus, so der Fachbegriff für die weißen Spuren, die Flugzeuge hinter sich herziehen, nicht, wie Physiker und Meteorologen wissen, aus Wassertröpfchen bestehen, sondern aus giftigen Chemikalien.
Das Internetportal hat diesen Mythos aufs Korn genommen und am 1. April einen Artikel mit der Schlagzeile "Kondensstreifen enthalten Oxidan – Forscher weisen Chemtrails nach" veröffentlicht. In den sozialen Medien löste der Beitrag eine lebhafte Diskussion mit mehreren hundert Kommentaren aus.
mimikama.at erhält vermehrt Anfragen zum Thema Chemtrails
„Die Wahrheit wurde in einen Aprilscherz verpackt, das darf doch nicht wahr sein!“, empört sich ein Facebook-User, eine Nutzerin „ist fassungslos über diesen äußerst geschmacklosen Aprilscherz! Gerade IHR (also die Meteorologen von wetteronline.de) müsst doch bemerken, dass der Himmel und das Sonnenlicht sehr häufig durch die verbleibenden Kondensstreifen verschleiert wird. Diese künstliche Verschleierung (…) kann nicht gut für die Natur und den Mensch sein …"
Auch der österreichische Verein Mimikama, der sich die Aufklärung von Gerüchten in Sozialen Medien auf die Fahne geschrieben hat, meldet auf seinem Portal mimikama.at, dass er seit dem Aprilscherz vermehrt Anfragen zum Thema Chemtrails erhalte. Anlässlich der aktuellen Diskussion hat Mimikama nun einen alten Beitrag veröffentlicht, der sehr umfassend über den Ursprung mehrerer Fotos in diversen Blogs aufgeklärt, die angeblich Beweise für das Ausbringen von Chemtrails zeigen.
„Bis heute gibt es nicht einen glaubhaften Beweis für die Chemtrail-Theorie. Auch die Bilderflut der Blogs tragen dazu nichts bei, sondern zeigen eher auf, dass gewisse alternative Medien nur eines im Sinn haben: Angst zu erzeugen, um Klicks zu bekommen".
Was war Inhalt des wetteronline.de-Aprilscherzes?
In dem Artikel "Kondensstreifen enthalten Oxidan – Forscher weisen Chemtrails nach", vermeldeten die Wetterexperten die vermeintliche Sensation, dass „Forschern der Nachweis der heimtückischen Chemikalie Dihydrogenmonoxid in den Kondensfahnen von Jets gelungen ist. Schon geringe Mengen der farb- und geruchlosen Substanz tödlich sein können." Anhand des Datums und mit etwas chemischem Hintergrundwissen – Oxidan ist die chemische Bezeichnung für Wasser – ließ sich die Meldung schnell als Aprilscherz enttarnen.
Was bedeutet Chemtrail?
Chemtrail ist eine Kombination der englischen Begriffe „chemicals“ (Chemikalien) und „contrails“ (Kondensstreifen) und bedeutet so viel wie Chemikalienstreifen oder Giftwolken. Das Wort wird im Zusammenhang mit der seit den 90er Jahren in den USA verbreiteten Verschwörungstheorie für eine spezielle Art von Kondensstreifen, die zu verschiedenen, der Natur und Menschheit schadenden Zwecken eingesetzt werden. Die deutsche Chemtrails-Bewegung wurde 2004 im Wesentlichen von dem Artikel „Die Zerstörung des Himmel“ inspiriert. Autor und Gabriel Stetter stellt darin die These auf, die amerikanische Regierung überziehe uns mit Chemtrails, um das Kyoto-Protokoll gegen die Klimaerwärmung nicht unterzeichnen zu müssen.
An was glauben die „Chemtrail“-Anhänger?
Sie behaupten, die Menschheit sollte vergiftet werden. Oder verdummt. Oder unfruchtbar gemacht. Wie? Mit Chemikalien, die aus mit Sprühanlagen ausgerüsteten Passagiermaschinen heimlich verbreitet werden, uns als weiße Streifen am Himmel erscheinen und sich unterschiedlich schnell auflösen. Manche verschwinden sofort wieder. Andere jedoch würden verdächtig lange am Horizont verweilen und sich dann langsam zu breiten, milchigen Schlieren zerfransen oder zu dicken Wolken verdichten.
Wer steckt dahinter?
Einige Verschwörungstheoretiker behaupten Chemtrails wären das Werk einer geheimen Welt-, der US-Regierung oder Nato. Andere vermuten dahinter das Militär, die Pharmaindustrie oder eben die Illuminaten. Auf den einschlägigen Internetseiten, wie etwa der deutschen Bürgerinitiative „Sauberer Himmel" oder in der im Ehlers Verlag erscheinenden Öko-Zeitschrift „raum&zeit" findet man eine lange Liste von angeblich an der Verschwörung beteiligten Organisationen. Zu welchem Zweck würden Chemtrails angeblich eingesetzt? Um der Überbevölkerung der Welt in den Griff zu bekommen werden wir von geheimen Mächten vergiftet – mit vermeintlichen Nanopartikeln, die Atemwegserkrankungen auslösen, sagen die einen. Die Sprühflieger manipulieren das Wetter, wettern die anderen - um der Erderwärmung entgegenzuwirken oder künstliche Dürren im Feindesland auszulösen.
Das sagen Meteorologen und andere Experten
Tatsächlich sprühen Flugzeuge hier und da Substanzen in die Atmosphäre. Und in der Tat halten Kondensstreifen heute länger am Himmel als früher. So berieseln Flugzeughersteller ihre Flieger in der Luft, um ihr Verhalten unter Vereisung zu studieren. Russische und chinesische Flieger "impfen" Wolken mit Metallsalzen, um sie vor wichtigen Ereignissen abregnen zu lassen, damit Militärparaden oder Olympische Spiele nicht ins Wasser fallen.
Und Militär- und Raumfahrt-Ingenieure experimentieren seit Jahrzehnten mit künstlichen Wolken. Doch all diese Techniken sind laut Experten nicht für großflächige Manipulation geeignet - ebenso wenig Passagierflugzeuge, die zu hoch fliegen, um das Wetter beeinflussen zu können. Und warum sich Kondensstreifen heutzutage länger am Himmel halten als früher, auch dafür gibt es eine simple, aber wissenschaftlich erwiesene Erklärung: Flugzeuge fliegen heute höher und ihre Motoren geben mehr Wasserdampf ab.
Steckt hinter den Mutmaßungen also kein wahrer Kern?
Kondensstreifen bestehen aus Wassertröpfchen, die aus den Abgasen der Triebwerke kondensieren. Ihre unterschiedlichen Ausformungen hängen mit der schwankenden Luftfeuchtigkeit zusammen, sagen Meteorologen. Laut derer es weder für das Ausbringen von Chemikalien noch für auffällig geänderte Kondensstreifen wissenschaftliche Belege gebe. Was auch das deutsche Umweltbundesamt, diverse Nichtregierungsorganisationen und andere Expertengremien bestätigen.