- Erst war die Verdopplungszeit das Maß aller Dinge, dann der R-Wert und nun ein neuer Faktor.
- Fast jede Woche steht eine andere Kennzahl zur Pandemie im Mittelpunkt. Das ist nicht Schuld der Politiker oder Wissenschaftler.
- Welcher Wert gilt? Worauf muss man achten? Wir geben einen Überblick.
Es war die gelernte Physikerin Angela Merkel höchstselbst, die dem Publikum am 15. April die Bedeutung der Reproduktionszahl erklärte. Schon ein Wert von 1,1 oder 1,2, also nur eine kleine Erhöhung, so die Kanzlerin, würde innerhalb von Wochen die Kapazität der deutschen Krankenhäuser überfordern. Seitdem diskutierte die gesamte Republik über diese Kennzahl.
Vielleicht war dieser Auftritt nicht ganz so glücklich, weil Merkel vergaß, hinzuzufügen, dass diese ominöse Reproduktionszahl nicht das einzige Maß war, um den Stand der Ausbreitung des Coronavirus zu bestimmen. Tatsächlich präsentierten die Gesundheitsbehörden, an der Spitze das bundeseigene Robert Koch-Institut (RKI), noch etliche andere Zahlen. Und das hat gute Gründe. „Die Welt ist eben bunt“, heißt es im Institut ganz unwissenschaftlich.
Verdopplungszeit als erster entscheidender Wert
Angefangen hatte es mit der Zahl der schieren Neuinfektionen, die Anfang März steil nach oben ging. Werte von mehr als 5000 Fälle wurden bis Mitte März erreicht. Um die Wucht der Ausbreitung abzuschätzen, wurde damals die Verdopplungszeit zum entscheidenden Wert. Alles wurde darangesetzt, die Kurve der Fallzahlen „abzuflachen“, wie es hieß. Steigt die Verdopplungszeit, so hat das auf die Kurve der Neuinfektionen einen dämpfenden Einfluss. Die Kanzlerin und führende Virologen empfahlen als Richtschnur einen Verdopplungswert von zehn Tagen. Erst danach könnte man nach einer Verzögerung von mindestens sechs Tagen über Lockerungsmaßnahmen nachdenken. Denn so viel Zeit vergeht zwischen der Infektion und dem möglichen Ausbruch ernster Symptome und dem dann nötigen Test.
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Allerdings: Je flacher die Kurve wird, desto weniger aussagekräftig ist die Verdopplungszeit. Auch das versäumten die Gesundheitspolitiker mitzuteilen. Zudem verfälschen die Zunahme von Tests und Meldeverzug das Ergebnis. Lag die Zahl der Tests am Anfang bei höchstens 80 000 pro Woche, sind es derzeit nach Angaben des RKI rund 350 000 bis 400 000. In der vorvergangenen Woche wurde sogar der Rekord von fast 470 000 Laboruntersuchungen erreicht, wie aus einem internen Lagebericht von Innen- und Gesundheitsministerium hervorgeht. Mehr Tests führen zu einer höheren Fallzahl und einer vermeintlich kürzeren Verdopplungszeit.
Dann kam die Reproduktionszahl
Behörden und Wissenschaftler nahmen folglich recht schnell Abstand von dieser Kennzahl. Stattdessen wurde die Diskussion von der Reproduktionszahl bestimmt. Die sagt, wie viele Personen ein Infizierter anstecken kann. Der magische Wert ist die Zahl eins, dann wächst die Zahl der Infizierten konstant. Das ist beherrschbar. Schon kleine Abweichungen auf 1,1 oder 1,2 haben verheerende Auswirkungen. Darauf hat die Kanzlerin hingewiesen. Inzwischen werden Werte von 0,7 erreicht.
Auch bei der R-Zahl wird das Ansteckungsverhalten der Vergangenheit abgebildet. Es werden die Neuinfektionen der vergangenen vier Tage mit denen früherer Zeiträume verglichen, wobei auch die Inkubationszeit berücksichtigt wird. Doch auch hier ist die Gefahr, dass die nicht oder erst mit Verzögerung erfassten Fälle das Ergebnis verfälschen können.
Fälle pro 100.000 Einwohner
Die neue Zahl der kumulierten Fälle der vergangenen sieben Tage pro 100.000 Einwohner ist ein recht simples Maß. Die Ministerpräsidenten und die Kanzlerin haben es als Maßstab festgelegt, um auf regionale Unterschiede Rücksicht zu nehmen. So soll nur dann ein Beschränkungskonzept greifen, die Behörden also schärfere Maßnahmen ergreifen, wenn der Wert oberhalb von 50 liegt. So wird die Krankheit räumlich differenzierter bekämpft.