Der Einzug von Viktoria Köln in die zweite Runde des DFB-Pokals ist nicht nur sportlich ein Coup. Er verschafft dem Drittligisten nach dem Tod von Mäzen Franz-Josef Wernze auch wichtige Zusatzeinnahmen.
Pokal-Coup von Viktoria KölnEin Sieg für den Boss im Himmel
Als der wilde Jubel sich gelegt hatte, wurde Franz Wunderlich sentimental und sendete einen Gruß nach oben. „Dieser Sieg ist für dich, Big Boss“, rief der Sportvorstand des FC Viktoria Köln mit feuchten Augen und gen Himmel gestrecktem Zeigefinger. Gemeint war Franz-Josef Wernze, der im April verstorbene Mäzen des Fußball-Drittligisten. Wernzes millionenschwere Zuwendungen hatten es in all den Jahren überhaupt erst möglich gemacht, dass der 2010 wieder zum Leben erweckte Club aus dem Arbeiterstadtteil Höhenberg Festtage wie diesen 12. August 2023 erleben durfte.
Der 3:2 (0:1)-Sieg gegen den Bundesligisten Werder Bremen geht nicht nur als faustdicke Überraschung in die erste Runde des DFB-Pokals 2023/24 ein. Er ist auch unter finanziellen Gesichtspunkten ein Segen für den Drittligisten. Durch den Einzug in die zweite Runde erhält der FC Viktoria zusätzlich zur Startprämie in Höhe von 215.600 Euro weitere 431.200 Euro vom Deutschen Fußball-Bund. Eine überragende Zusatzeinnahme, die wohl beiseitegelegt werden soll, anstatt sie in den Kader zu stecken, der aus Sparzwängen deutlich geschrumpft ist.
Denn seitdem Franz-Josef Wernze nicht mehr da ist, ist der FC Viktoria zu einem nachhaltigeren Umgang mit seinem Geld verpflichtet. Es geht darum, Zeit zu gewinnen bei der komplizierten Suche nach potenten Geldgebern, die dem gesamten Verein eine Perspektive sichern sollen. Teure Namen gehören im Sportpark Höhenberg der Vergangenheit an. Stattdessen setzt der Club verstärkt auf Spieler, denen der große Durchbruch verwehrt geblieben ist. Und auf Talente.
In Donny Bogicevic und David Philipp schrieben am Samstag zwei Spieler Höhenberger Pokal-Geschichte, die genau dieses Profil erfüllen. Bogicevic, der mit seinem Abstauber-Siegtor in der vierten Minute der Nachspielzeit die Tribünen des Sportparks erzittern ließ, war erst zu dieser Saison vom Südwest-Regionalligisten TSV Steinbach Haiger gekommen. Der 21-Jährige erlebt sensationelle erste Tage in Höhenberg. Schon beim 3:1-Sieg zum Liga-Auftakt gegen den SC Verl hatte der offensive Mittelfeldspieler mit einem Slalomtor von sich reden gemacht. „Es ist unglaublich, unbeschreiblich. Gänsehaut“, zeigte sich der Deutsch-Kroate nach seinem neuerlichen Streich überwältigt.
Mann des Spiels war jedoch David Philipp. Ausgerechnet, könnte man sagen. Der Doppeltorschütze zum 1:1 (72.) und 2:2 (78.) hatte einst in Bremen den Sprung in die Bundesliga verpasst, obwohl er in der Werder-Jugend ein Tor nach dem anderen erzielte. „Solche Geschichten“, sagte Philipp nach dem pikanten Wiedersehen mit einem Schmunzeln, „schreibt nur der Fußball.“ Von „Genugtuung“ wollte er nicht sprechen. „Das ist vielleicht das falsche Wort.“ Der gebürtig aus Hamburg stammende 23-Jährige beschrieb seine Motivation lieber wie folgt: „Vor so einem Spiel nimmt man sich natürlich vor, zu beweisen, dass es ein Fehler war, dass man ziehen gelassen wurde.“
Was am Ende dabei herauskam, fühlte sich für den ehemaligen Bremer wie ein Traum an. „Wenn man von so einem Spiel träumt, dann träumt man von so einem Spielverlauf“, schilderte David Philipp, der den Coup „noch gar nicht so richtig greifen“ konnte. „Dafür ist zu viel Adrenalin im Spiel. Ich glaube, ich werde erst in drei, vier Tagen realisieren, was passiert ist.“ Auf das angekündigte Siegerbier musste Philipp zunächst aber weitgehend verzichten. Das ZDF hatte sich kurzerhand gemeldet, um den Höhenberger Pokal-Helden ins „Sportstudio“ einzuladen. Und so ging es für Philipp mit Familie und Freunden nach Mainz.
Niclas Füllkrug schimpft über die Defensive von Werder Bremen
Im Rechtsrheinischen wurde dagegen bis in die Nacht hinein gefeiert. „Es ist Wahnsinn, was die Mannschaft geleistet hat. Das war mit das Emotionalste, was ich in meiner Fußballer-Laufbahn erlebt habe“, jubelte der Sportliche Leiter Stephan Küsters. Auch Olaf Janßen war nach der ebenso mutigen wie mitreißenden zweiten Halbzeit seiner Elf hin und weg: „Das ist ein besonderer Tag“, schwärmte Viktorias Trainer nach dem zweiten Einzug in die zweite Runde nach 2015, der Erinnerungen hervorrief an die damalige Überraschung gegen Union Berlin. „Es war ein Pokalspiel mit einem Verlauf, wie man sich ihn wünscht. Dass wir das Siegtor mit dem Schlusspfiff erzielen – mehr geht nicht.“
Auf der Gegenseite herrschte Frust pur. „Wir sind unserem Ruf wieder gerecht geworden und verteidigen schlecht“, schimpfte Nationalstürmer Niclas Füllkrug über das desolate Bremer Abwehrverhalten bei allen drei Gegentoren. Trotz rund 80-minütiger Unterzahl – Amos Pieper war wegen einer Notbremse an Luca Marseiler früh mit Rot vom Platz gestellt worden – hatte der Bundesligist durch Marvin Ducksch (43.) und Füllkrug (77./Foulelfmeter) zweimal vorlegen können. Dennoch stand am Ende das zweite Bremer Erstrunden-Aus in den vergangenen drei Jahren.
Während Werder-Coach Ole Werner einen „bitteren Nachmittag“ erst verdauen musste, träumte sein Gegenüber bereits von einem Stadtduell in der zweiten Runde, die am 1. Oktober ausgelost wird und am 31. Oktober/1. November über die Bühne geht. „Der 1. FC Köln wäre ein extrem cooler Gegner“, meinte der einstige FC-Profi Olaf Janßen. Steffen Baumgart hat am Samstag jedenfalls schon mal in Höhenberg vorbeigeschaut. Er dürfte gestaunt haben, was die neue Viktoria auch ohne Mike Wunderlich und Marcel Risse zu leisten imstande ist