Rundschau-SerieWie ein Mentalberater die Kölner Haie 2002 auf Meistermission schickte
Köln – Chris G. Hamilton war professioneller Tennisspieler. Eine Begegnung mit Legende Arthur Ashe inspirierte den Briten mit jamaikanischen Wurzeln dazu, sich mit den mentalen Aspekten im Profisport zu beschäftigen. Hamilton arbeitete unter anderem mit den Ex-Tennisstars Monica Seles und Rainer Schüttler. 2002 fand er über die Kölner Haie den Einstieg in den Mannschaftssport. Inzwischen war der 67-Jährige unter anderem für fast alle DEL-Teams tätig – zuletzt für Meister-Hai Niklas Sundblad in Schwenningen. Der Rundschau berichtete Hamilton nun, wie er den Gewinn der bislang letzten Deutschen Meisterschaft vor 20 Jahren im April 2002 wahrnahm und worin er seine Aufgabe sah.
Der Mentalberater
„Ich bin kein Trainer, weil ich niemanden belehre. Auch kein Psychologe. Die beginnen mit dem Verstand, ich mit dem Herzen. Ich beschäftige mich mit Emotionen, Energien, mit Gruppendynamik und dem Geist des Spiels. Ich bin Berater für die persönliche innere Leistung. Die äußere Leistung, die man sieht, ist nämlich nur der Spiegel der inneren Leistungsfähigkeit.“
Der Weg zu den Haien
„Negative Gefühle erzeugen negative Gedanken. Die erzeugen negatives Verhalten, was wiederum zu negativen Ergebnissen führt. So war das auch 2002 bei den Kölner Haien. Der erste Kontakt kam schon über Lance Nethery zustande. So lernte ich auch Rich Chernomaz kennen, der sehr aufgeschlossen und offen war. Als er nach Netherys Entlassung zum Trainer befördert wurde, fragte er mich, ob ich ihn unterstützen könnte.“
Die Herausforderung
„Die Herausforderung war, es hinzubekommen, dass sich das Team gegenseitig vertraut. Wenn man möchte, dass die Spieler für das Team kämpfen, muss man zuerst persönliche Beziehungen untereinander schaffen. Cherno und ich beraumten Einzelgespräche mit allen Spielern an, sagten aber nicht, wer zu welchem Zeitpunkt dran war, sodass die Spieler den ganzen Tag zusammen in der Kabine saßen und gezwungen waren, sich miteinander zu beschäftigen. Dazu gab es ein oder mehrere Fässchen Kölsch. Cherno kümmerte sich um die Eishockey-Dinge, ich wollte herausfinden, was für ein Typ Mensch jeder Spieler war, welche unveränderbaren Eigenschaften jeder hatte. Hinterher gab ich jedem eine Karte, auf der ich den Typ Mensch notiert hatte. Der Ruhepol im Team war Mirko Lüdemann, kein großer Redner. Ich konnte sehen, dass er mir gegenüber skeptisch war. Nach seinem Gespräch mit mir war er in Eile und vergaß, seine Karte mitzunehmen. Nach dem Titelgewinn fragte er mich: „,Hammer’, warum habe ich eigentlich keine Karte erhalten?“ Das hatte ihn wirklich beschäftigt, er dachte, ich hätte etwas gegen ihn (lacht). Die Geschichte zeigt, dass ihm meine Arbeit trotz seiner Skepsis etwas bedeutet hatte.“
Die Mission
„Vor dem letzten Spiel vor der Olympia-Pause in Düsseldorf Ende Januar haben wir eine Mission vereinbart. In einem Gruppenmeeting fragte ich jeden einzelnen, warum er hier sei. Der erste war Alex Hicks, der aufstand und meinte: „Ich will die Meisterschaft gewinnen.“ Der nächste war Corey Millen, der richtig aggressiv sagte: „Ich will den Titel, ist das klar? Ich bin nicht hier, um nur mitzuspielen!“ Dann war der junge Collin Danielsmeier an der Reihe: „Mir wurde gesagt, dass das eine Meistermannschaft ist, und ich will Teil einer Meistermannschaft sein!“ Jeder einzelne von ihnen wollte die Meisterschaft gewinnen. Cherno hatte mir vorher gesagt, dass das Team das Potenzial für den Titel hätte. Also blickte ich zu ihm und sagte: „Okay, das ist jetzt unsere Mission!“ Wenn man die Fähigkeit mit dem Willen kombiniert, dann ist das eine beschlossene Sache. Wir haben das nicht öffentlich formuliert, weil wir es sonst nicht geschafft hätten. Außerdem haben wir ein großes Blatt Papier genommen, auf die rechte Seite den Meisterpokal gezeichnet und auf die linke Seite ein Boot. Dazwischen die Dinge geschrieben, die wir brauchten, also zum Beispiel zunächst die Zahl der benötigten Siege für die Playoff-Qualifikation.
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Dann haben wir jeden dazu aufgerufen, sich selbst mit ins Boot zu nehmen. Als alle drin waren, stand Dwayne Norris auf und malte einen schwarzen Kopf an die Spitze des Bootes. Das war ich, und das war der Moment, in dem ich wusste, dass es funktionieren würde. Es passte gut, dass wir nach dem Erfolg in Düsseldorf auf dem Partyboot mit den Fans zurück nach Köln fuhren. Wir feierten nicht den Derbysieg – sondern dass wir alle im selben Boot saßen und auf einer Mission waren.“
Rogles und die Barons
„Vor dem Halbfinale gegen München bemerkten wir, dass unser Torwart Chris Rogles seltsam nervös war. Er war im Jahr zuvor mit Kassel im Halbfinale an den Barons gescheitert und gab sich ein wenig die Schuld dafür. Ich sagte ihm: „Du hast andere Mitspieler, einen anderen Coach, du bist ein anderer Spieler, hast dich entwickelt und daraus gelernt. Du bist jetzt in einer ganz anderen Situation!“ Im fünften Spiel fing er den Puck hinter seinem Körper und hielt drei Penaltys. Das war unglaublich.“
Die Meisterschaft
„In der Kabine vor dem entscheidenden Finale gegen Mannheim saß ein Spieler in der Kabine, dessen Name ich nicht nenne. Er konnte physisch nicht mehr aufstehen, weil er so aufgeregt war. Ich erinnerte ihn daran, dass der Titel für uns seit unserem Boot-Meeting eine beschlossene Sache war. Ich sagte: „Geh raus und hol dir deine Meisterschaft ab! Den ersten Schritt hast du schon erledigt.“ Er kam auf mich zu und fragte: „Welchen ersten Schritt?“ „Du bist aufgestanden!“ Er war aufgestanden, ohne es zu merken. Wir lagen vor dem Schlussdrittel 0:1 zurück. Ich überzeugte Cherno, etwas zu tun, was Trainer eigentlich nicht tun sollten: seinem Team den Titel zu versprechen. Er tat es, und sofort gingen die Schultern hoch und die Brust raus. Dasselbe sagte ich draußen zum Mannheimer Sportdirektor: Es ist beschlossene Sache, dass wir gewinnen werden. Drei Minuten waren gespielt, als Hicks ausglich, fünf Minuten vor Schluss machte Norris das 2:1. Es war unglaublich, dass genau die Jungs, die im Meeting vorangegangen und Führungsstärke gezeigt hatten, die Mission zu Ende gebracht haben. Was wir geschafft haben, ist fantastisch. Das lässt sich nicht wiederholen.“