Interview mit Viktoria Köln-Chef Andreas Rettig„Da dürften wir Pioniere sein“
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Mit der Verpflichtung von Andreas Rettig (58) als neuem starken Mann hat der FC Viktoria Köln für großes Aufsehen gesorgt.
Im Gespräch mit Tobias Carspecken spricht der frühere Geschäftsführer der Deutschen Fußball Liga und langjährige Bundesliga-Manager über seine Ziele mit dem Drittligisten.
Herr Rettig, dem neuen FC-Trainer Friedhelm Funkel ist während der Corona-Pandemie die Decke auf den Kopf gefallen. Was sind Ihre Beweggründe, nach einer anderthalbjährigen Auszeit bei Viktoria Köln einzusteigen?
Zunächst einmal möchte ich betonen, dass ich auch während der vergangenen anderthalb Jahre nicht untätig war. Letztlich haben aber meine innere Unruhe, mein Gestaltungswille und meine langjährige Verbundenheit zur Viktoria dazu geführt, dass ich die Zukunft des Clubs mitgestalten will. Ich kenne die handelnden Personen bei der Viktoria seit vielen Jahren und habe das Gefühl, dass ich mit ihnen vertrauensvoll und mit Freude zusammenarbeiten kann.
Schreckt Sie der Gang runter in die Drittklassigkeit dabei nicht ab?
Ich habe meine Entscheidungen noch nie von einer Spielklasse oder Liga abhängig gemacht. Als ich mich damals für den FC Augsburg entschieden habe, spielte der Club auch noch drittklassig. Für mich zählen andere Punkte: Jobzufriedenheit und die Frage, mit welchen Menschen ich es zu tun habe. Daher ist mir die Entscheidung auch leicht gefallen.
Was haben Sie mit der Viktoria sportlich vor?
Die Qualifikation für die neue Super League (lacht).
Spaß bei Seite: Wie viele Jahre geben Sie sich für den anvisierten Aufstieg in die Zweite Bundesliga?
Der sportliche Erfolg ist sicherlich wichtig, aber nicht um jeden Preis. Daher wird es wichtig sein, den Verein perspektivisch im wirtschaftlichen Bereich auf mehreren Schultern zu verteilen. Darüber hinaus müssen wir uns infrastrukturell und organisatorisch weiterentwickeln, um damit die Grundlage für die nächsten sportlichen Ziele zu legen.
Zur Person
Andreas Rettig (58) übernimmt zum 1. Juni vorerst für vier Jahre den Vorsitz der Geschäftsführung beim Drittligisten FC Viktoria Köln. Zuletzt war der gebürtige Leverkusener bis September 2019 vier Jahre lang als kaufmännischer Geschäftsleiter des Zweitligisten FC St. Pauli tätig. Von 2013 bis 2015 war der gelernte Industriekaufmann Geschäftsführer der Deutschen Fußball Liga, zuvor war er Manager bei den Bundesligisten FC Augsburg, 1. FC Köln und SC Freiburg. Zu Beginn seiner Funktionärs-Laufbahn arbeitete Rettig von 1989 bis 1998 in unterschiedlichen Positionen bei Bayer 04 Leverkusen. Zu aktiven Zeiten spielte der Rechtsaußen in den 1980er-Jahren für den SC Viktoria Köln und den SC Brück. (tca)
Sie möchten die Viktoria als nachhaltigen Proficlub positionieren. Was schwebt Ihnen da genau vor?
Das Thema ESG – Environment, Social und Governance (Umwelt, Soziales und Unternehmensführung, d. Red.) – wird zukünftig eine große Bedeutung bei uns haben. Hierbei handelt es sich um die drei wichtigsten Faktoren bei der Beurteilung gesellschaftlicher Relevanz.
Was bedeutet das auf die Viktoria bezogen?
Beim Thema Umwelt heißt das, dass wir schauen, wie wir uns beim Erhalt der Merheimer Heide, in der unser Stadion liegt, einbringen können. Im sozialen Bereich gehen wir auf unsere Spieler, Funktionäre und Mitarbeiter zu. Sie werden zukünftig in ihren Verträgen eine Gemeinwohl-Klausel finden. Da dürften wir übrigens Pioniere sein.
Was wird damit geregelt?
Dass sich alle während ihrer Tätigkeit bei uns gesellschaftlich und sozial engagieren. Wir werden da einen bunten Strauß an Vorschlägen machen, sodass jeder im Laufe eines Jahres seinen Beitrag leisten kann.
Welche Ideen haben Sie bei der Unternehmensführung?
Ich bin Mitglied der Arbeitsgruppe „Sports Government Kodex“, die sich mit solchen Themen beschäftigt. Ich möchte da selbst vorangehen. Deshalb habe ich zum Beispiel in meinen Vertrag Erfolgsboni nicht nur an sportlichen Erfolgen, sondern auch am Erreichen von Nachhaltigkeitszielen orientiert.
Auf Ihrer Agenda steht auch das Thema Inklusion.
Es ist noch sehr früh, um dazu konkret etwas zu sagen. Um ein erstes Zeichen zu setzen, werden wir am Mittwoch im Drittliga-Spiel in Lotte gegen den KFC Uerdingen mit einem besonderen Aufdruck auf unseren Trikots auflaufen. Das geschieht anlässlich des Europäischen Protesttags zur Gleichstellung von Menschen mit Behinderung und in enger Abstimmung mit der Aktion Mensch, die das Engagement rund um den Protesttag am 5. Mai in Deutschland bündelt. Im Anschluss werden wir weitere Maßnahmen angehen, um Menschen mit Behinderung bei ihrer Forderung nach besseren Möglichkeiten zu unterstützen.
Sie kämpfen also um ein besseres Image des Vereins. Als Mäzen-Club wird die Viktoria von vielen Fußballfans kritisch beäugt.
Hier werden leider oft die Begriffe Investor, Sponsor oder Mäzen durcheinandergebracht. Nur so viel zu Herrn Wernze: Er ist kein Investor, der auf einen Return of Invest abzielt. Seine Rendite ist eine emotionale. Er verfolgt bei der Viktoria einen eher altruistischen Ansatz.
Dennoch ist die Viktoria seit Jahren in sehr hohem Maße von den Geldern von Franz-Josef Wernze abhängig. Wie wollen Sie den Verein auch mit Blick auf den gesundheitlich angeschlagenen Zustand Wernzes finanziell unabhängiger aufstellen?
Herr Wernze ist ein erfolgreicher Unternehmer (Chef der Steuerberatungsgesellschaft ETL, d. Red.) und weiß, wie wichtig Nachfolgeregelungen sind. Gute Managementqualität zeichnet sich dadurch aus, Strukturen und Organisationen zu schaffen, die personenunabhängig funktionieren.
Trotz bereits erzielter Fortschritte hinkt die Viktoria bei der Infrastruktur deutlich hinterher. Genießt der geplante Bau des Trainingszentrums am Pohlstadtsweg in Neubrück höchste Priorität?
In der aktuellen Corona-Zeit muss jede Investition sorgfältig überprüft werden. Damit verschieben sich auch Prioritäten. Klar ist: Wir müssen in die Infrastruktur investieren, um wettbewerbsfähig zu werden.
Sie waren als DFL-Chef einer der mächtigsten Männer im deutschen Fußball. Wie beurteilen Sie das Zerwürfnis in der Spitze des DFB und den sich abzeichnenden Rücktritt von Präsident Fritz Keller?
Der DFB gibt ein desaströses Bild in der Öffentlichkeit ab. Dass sich mehr als 400 Mitarbeiter per offenem Brief zum zweiten Mal in den vergangenen drei Monaten an das Präsidium wenden, ist ein Hilferuf. Die Kultur des Misstrauens in diesem Hause muss sich schleunigst ändern. Sonst wird auch die Nachfolgerin oder der Nachfolger scheitern.