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Interview mit FC-Chef Wehrle„Köln ist für mich zu einer zweiten Heimat geworden“

Lesezeit 7 Minuten
FC-Chef Alexander Wehrle

Ende einer Ära am Geißbockheim: Alexander Wehrle (47) legt sein Amt als kaufmännischer Geschäftsführer des FC nieder. 

Köln – Alexander Wehrle ist im Urlaubsmodus. Der scheidende Geschäftsführer des 1. FC Köln trägt Sonnenbrille, Hawaii-Shirt und große Kopfhörer, als er sich von seinem Hotel-Balkon auf den Kanaren zum Abschieds-Interview zuschalten lässt. Im Gespräch mit Tobias Carspecken blickt der Schwabe auf seine neunjährige Amtszeit am Geißbockheim zurück.

Herr Wehrle, was fühlen Sie in diesen Tagen?

Wenn man sein Büro räumt, Abschiedsbesuche absolviert und vieles auf sich wirken lässt, was in neun Jahren passiert ist, dann ist das schon sehr emotional. Deswegen war es mir auch wichtig, diese Zeit in einem langsamen Abschied emotional verarbeiten zu können und nicht von heute auf morgen zu gehen.

Wie weit ist der Prozess?

Der Prozess ist fortgeschritten. Ich war ja schon beim Auswärtsspiel in Fürth nicht mehr dabei. Da ich bei Spielen sonst immer dabei war, war das schon ein ungewöhnlicher Moment. Aktuell bin ich im Urlaub, nach der Rückkehr nehme ich Abschied von den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern am Geißbockheim sowie von der Mannschaft. Das wird nochmal emotional. Dann liegt noch eine Woche dazwischen, bevor ich in Stuttgart anfange.

Wie verlief die bisherige Abschiednahme?

Ich hatte in den vergangenen Wochen und Monaten die Möglichkeit, mich von Weggefährten und wichtigen Ansprechpartnern persönlich zu verabschieden. Den einen oder anderen Partner habe ich mit Philipp Türoff (neuer kaufmännischer FC-Geschäftsführer, Anm. d. Red) gemeinsam besucht. Zudem hatten wir eine abschließende Beiratssitzung, auf der ich mich verabschiedet habe.

Was bedeutet Ihnen Köln nach neun Jahren?

Köln ist für mich zu einer zweiten Heimat geworden. Ich schätze die Mentalität und die Offenheit der Menschen, dass jeder herzlich willkommen ist. Feststellen konnte ich aber auch eine Ernsthaftigkeit, die den Kölnern ja nun nicht gerade nachgesagt wird. Ich werde mit Sicherheit auch in Zukunft häufiger in Köln sein als in jeder anderen Stadt in Deutschland. Meine Wohnung hier werde ich behalten.

Haben Sie es zu Dienstbeginn für möglich gehalten, so lange zu bleiben?

Nein, absolut nicht. Das war für mich damals unvorstellbar. Ich wäre damals schon froh gewesen, meinen Vertrag erfüllen zu können. Mehr als neun Jahre sind im Profifußball eine sehr lange Zeit – und in Köln war es ja auch eine sehr intensive Zeit für mich persönlich.

Sie sind im Januar 2013 als Vorstandsreferent des VfB Stuttgart gekommen. Wie dankbar sind Sie dem FC, diese Chance erhalten zu haben?

Ich bin sehr dankbar, weil es eine Riesenchance für mich war, solch eine Position bekleiden zu können – und dann noch bei einem so großen Traditionsverein, auch wenn der FC damals in der Zweiten Liga gespielt hat. Es war aber auch ein Stück weit ein Risiko für mich, weil ich nicht wusste, ob ich diese Position überhaupt so ausfüllen kann. Die Ausgangsposition war extrem herausfordernd. Wir waren auf Platz neun in der Zweiten Liga und befanden uns in keiner guten wirtschaftlichen Lage.

Sie haben in all den Jahren mit verschiedenen Vorständen, Sportchefs und Trainern zusammengearbeitet. Ist die Anpassungsfähigkeit eine Ihrer größten Stärken?

Man muss sich schon treu bleiben. Das heißt, dass ich alle Entscheidungen im Sinne des 1. FC Köln getroffen habe – und nicht im Sinne einzelner Personen. Denn der Verein muss immer über allem stehen. Sicherlich ist es eine meiner Eigenschaften, mich mit unterschiedlichsten Charakteren positiv auseinandersetzen zu können. Vom Grundsatz her mag ich einfach Menschen und sehe erstmal das Positive in ihnen.

Was war Ihr schönster Moment?

Mit Sicherheit das Tor zum 2:0-Sieg von Yuya Osako am 20. Mai 2017 im Heimspiel gegen den FSV Mainz 05, mit dem der Einzug in den Europapokal perfekt gemacht wurde – der größte Erfolg des FC seit 25 Jahren. Für mich persönlich war es auch deshalb ein besonderer Tag, weil ich den Verein, die Stadt und die Menschen noch besser verstehen konnte, nachdem die Ringe zwei Tage gesperrt waren. Ich war zu dem Zeitpunkt zwar schon vier Jahre in der Stadt, konnte die Emotionen und die Wucht, die der FC in Köln auslöst, anschließend aber noch deutlicher nachvollziehen.

Was war Ihr Tiefpunkt?

Das 2:2 in der Saison 2017/18 auf Schalke, als wir am 14. Spieltag den dritten Punkt erzielt haben – und ich wusste, dass wir mit Peter Stöger nicht weiter zusammenarbeiten werden. Es war brutal, im Mai den Einzug in den Europapokal zu feiern und ein paar Monate später mit drei Punkten dazustehen.

In welchem Zustand übergeben Sie den Club?

Trotz der Pandemie und den unfassbaren Umsatzverlusten von 85 Millionen Euro sind wir durch die getroffenen Maßnahmen wirtschaftlich einigermaßen stabil. Sportlich sind wir wettbewerbsfähig. Zudem haben wir neue Themenfelder angeschoben wie Digitalisierung, Start-ups, E-Sport, Internationalisierung und Innovationen. Es ist wichtig, dieses Fundament weiterzuentwickeln. Ich wünsche mir, dass meine Nachfolger das gut bewerkstelligen.

Wie lange bekommt der FC die Pandemie-Folgen zu spüren?

Wegen der erhaltenen Landesbürgschaft, des Verkaufs von Genussrechten und des Vorgriffs auf zukünftige Einnahmen wird der FC die Corona-Auswirkungen sicherlich noch in den nächsten ein, zwei Spielzeiten merken. Dennoch ist es wegen der Vertragsausgestaltung so, dass der FC absolut wettbewerbsfähig in die nächste Spielzeit gehen und dann auch wieder positive Ergebnisse aus dem operativen Geschäft erzielen kann.

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Ihre beiden Großprojekte – der Ausbau des Geißbockheims und des Rhein-Energie-Stadions – konnten bislang nicht realisiert werden. Hat dies eine Rolle gespielt bei Ihrer Entscheidung, den FC zu verlassen?

Das war nicht entscheidend. Ich finde es aber extrem bedauerlich, dass einzelne Politiker nicht verlässlich waren – nach sieben Jahren Verfahrensarbeit, einem von uns immer transparent gestalteten Flächennutzungsplanverfahren und einer von uns immer angestrebten Bürgerbeteiligung. Dennoch habe ich auch in den vergangenen Wochen und Monaten noch darum gekämpft, Kompromisslinien zu finden, die jetzt weiter erörtert werden. Ich bin sehr zuversichtlich, dass wir zeitnah eine Entscheidung für das Leistungszentrum am Geißbockheim bekommen werden.

Warum gehen Sie dann?

Nach neun Jahren tut es dem Arbeitgeber, aber auch mir persönlich gut, neue Impulse zuzulassen und sich neuen Herausforderungen zu stellen. Dazu gehört, sich mit anderen interessanten Aufgaben auseinanderzusetzen. Durch den bevorstehenden Abgang von Thomas Hitzlsperger als Vorstandsvorsitzender des VfB Stuttgart war dieser Moment jetzt gekommen. Planen lässt sich so etwas jedoch nicht. Ich habe FC-Präsident Dr. Werner Wolf über jeden einzelnen Schritt immer offen und transparent informiert.

Sie haben das FC-Angebot abgelehnt, Ihren 2023 auslaufenden Vertrag um ein Jahr zu verlängern. Wären Sie bei längerer Laufzeit geblieben?

Das ist ja eine hypothetische Frage. Wichtig ist, dass wir eine Lösung gefunden haben, mit der beide Seiten gut leben können. Und dass ich auch in Zukunft noch mit vielen Menschen ein Kölsch trinken kann, wenn ich nach Köln komme (schmunzelt).

Welche Rolle hat Ihr belastetes Verhältnis zum Vorstand gespielt?

Wir haben viele Dinge inhaltlich kontrovers diskutiert. Ich erwarte aber auch, dass man unterschiedliche Meinungen und unterschiedliche strategische Zielsetzungen kontrovers diskutieren kann. Dennoch haben wir immer im Sinne des FC zusammengearbeitet.

Sie kehren am 21. März zum abstiegsbedrohten VfB Stuttgart zurück. Wie gefährlich ist die Lage dort?

Ich war in den vergangenen Tagen mit den Akteuren beim VfB natürlich intensiver im Austausch. Grundsätzlich bin ich ein positiv denkender Mensch. Der VfB hat noch alles in der eigenen Hand, um am Ende den Klassenerhalt zu sichern.

Worum geht es kurzfristig?

Ich habe einen Vierjahresvertrag bis zum 30. Juni 2026 unterschrieben und gemeinsam mit dem Aufsichtsrat eine klare Vorstellung, wie wir den VfB Stuttgart entwickeln wollen. Natürlich gerne in der Ersten Liga. Die strategische Ausrichtung für einen Traditionsclub wie den VfB Stuttgart gilt es aber ligaunabhängig zu gestalten.

Am 34. Spieltag treffen Stuttgart und Köln direkt aufeinander. Ein Graus für Sie?

Ich wünsche mir natürlich, dass der FC am 34. Spieltag schon für Europa qualifiziert ist und der VfB den Klassenerhalt schon perfekt gemacht hat. Letztendlich entscheidet sich eine Saison zwar am 34. Spieltag, aber davor gab es schon 33 Spiele, die die Saison entsprechend beeinflusst haben. Von daher werde ich am 34. Spieltag immer sportlich unterwegs sein.

Was bedeutet es für Sie, in Ihre Heimat zurückzugehen?

Das bedeutet mir viel. Meine Eltern leben 20 Kilometer von Stuttgart entfernt und sind auch schon älter. Ich werde die Zeit genießen, die ich jetzt häufiger mit meinen Eltern verbringen kann, ebenso mit Freunden.

Wie sehr hat das gefehlt?

Gerade was die Familie angeht, war das manchmal schon schwierig. Wenn zum Beispiel Krankheiten dazwischen kamen, wegen denen ich gerne innerhalb weniger Stunden zu Hause gewesen wäre, was aber nicht ging. Von daher freue ich mich nun umso mehr, in die Heimat zurückzukehren.