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EM-Finale der FrauenAlexandra Popp ist das Sinnbild des deutschen Erfolges

Lesezeit 5 Minuten
Popp jubelt gegen Frankreich

Alexandra Popp nach ihrem 2:1 Siegtreffer im EM-Halbfinale gegen Frankreich.

Milton-Keynes – Am Ende hatte die Anführerin mit der Regenbogenbinde nicht einmal beim Interview ihre Ruhe. Alexandra Popp stand nach dem schwer erkämpften EM-Halbfinalsieg gegen Frankreich (2:1) noch vor der Werbewand, um als „Spielerin des Spiels“ erste mediale Verpflichtungen zu erfüllen, als ein Pulk von Teamkolleginnen über den halben Platz gerannt kam.

In Windeseile war die 31-Jährige umzingelt. Um sie herum hüpften und tanzten die Mitspielerinnen, schwangen Leibchen und Handtücher. Als Symbol, das an diesem rauschhaften Abend alle zusammengehörten. Sie feierten einer Fußballerin, die zum Sinnbild einer Gemeinschaft geworden ist, die mit dem Einzug ins Finale alle überrascht. Auch sich selbst.

Kapitänin mit Wucht,Wille und Widerstandskraft

Ohne die in allen fünf Partien erfolgreiche Kapitänin würde Deutschland jetzt nicht das Endspiel gegen England (Sonntag 18 Uhr/ARD) bestreiten. Ihre Wucht, ihr Willen, ihre Widerstandkraft halten den Traum vom neunten-EM-Titel am Leben. „Ich glaube, wir haben ganz, ganz vielen Leuten gezeigt, was wir draufhaben“, erklärte sie in ihrem verschwitzten Trikot.

FC-Trainer attestiert DFB-Frauen einen „riesen Job“

Steffen Baumgart hat der Frauen-Nationalmannschaft nach dem Einzug ins Finale der Europameisterschaft ein großes Lob ausgesprochen. Der Trainer des 1. FC Köln attestierte der DFB-Auswahl einen „riesen Job“ und eine „sehr gute mannschaftliche Leistung“. Besonders beeindruckt ist Baumgart (Foto) vom Zusammenhalt der Spielerinnen von Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg: „Es zeichnet den deutschen Fußball aus, dass auch die Frauen-Nationalelf über das Mannschaftliche kommt und Spiele wie das Halbfinale gegen Frankreich mit viel Einsatz und Willen noch zu ihren Gunsten dreht.“ Den Einzug ins Endspiel stufte Baumgart als verdient ein: „Die Mannschaft hat sich mit guten Leistungen ins Finale gespielt. Das kann sie jetzt krönen.“ Im Traumfinale gegen Gastgeber England gehe es darum, „nochmal alles rauszuhauen“. Baumgart traut dem deutschen Team den ganz großen Coup in Wembley zu: „Wer die Mannschaft beobachtet hat, der hat gesehen, dass sie bereits zusammengewachsen war und sich von Spiel zu Spiel gesteigert hat. Das ist schön zu sehen. Ich traue der Mannschaft sehr viel zu.“ (tca)

All die Komplimente, die auf die Angeiferin nach ihren Länderspieltreffern 58 und 59 herabregneten, leitete sie direkt eine Etage tiefer in die Kabine des Stadium MK: „Ich bin schon seit zehn Jahren bei der Frauen-Nationalmannschaft dabei – und so einen Teamspirit, so ein Teamgefüge habe ich ganz ehrlich noch nie erlebt.“

Keine guten Vorzeichen für das Turnier

Das sagt sich nicht einfach so. Und doch: Dass die Französinnen sich bei dieser EM auf dem „Friedhof der Illusionen“, wiederfanden, wie die „L’Equipe“ eine Spur zu martialisch urteilte, lag vor allem am deutschen Leuchtturm.

Dabei schienen dieses Turnier und die Torjägerin zuvor schlechter zusammenzupassen als England und gutes Essen. Vor der EM 2013 in Schweden opferte sie sich für den VfL Wolfsburg auf, als sie mit einem Bänderriss im Sprunggelenk im Champions-League-Finale auflief.

Nach Knorpelabriss im Frühjahr 2021 verpasste Popp fast erneut die EM fast

Vor der EM 2017 in den Niederlanden zog sie sich in einem Trainingsspiel einen Meniskusriss zu. Und wäre die EM in England nicht um ein Jahr pandemiebedingt verschoben worden, hätte sie wieder gefehlt.

Nach einem im Frühjahr 2021 erlittenen Knorpelabriss an der rechten Kniescheibe war die Reha von Rückschläge und Selbstzweifeln geprägt. Ein Gedanke trieb sie an, wenn sie mal wieder allein durchs Wasser stampfe: „Ich habe noch keine verdammte EM gespielt, und ich will diese EM jetzt spielen.“

Covid-Infektion im Trainingslager

Als sie sich dann im Trainingslager in Herzogenaurach – als einzige Spielerin – eine Covid-Infektion einfing, schienen endgültig höhere Mächte im Spiel.

Ralf Kellermann, heute als Sportlicher Leiter, früher als Trainer beim VfL Wolfsburg ein langer Begleiter, wertet es rückblickend als Schlüssel für ihren Erfolg, „dass sie ihre Rolle angenommen hat“.

Überzeugt auch als Jokerin

Nämlich erst mal nur von der Bank aus dem Team zu helfen. Als hätte es zehn Monate Auszeit im Verein und 17 Monate im DFB-Dress nie gegeben, hechtete sie als Einwechselspielerin beim Auftakt gegen Dänemark (4:0) die Kugel mit einem Flugkopfball ins Tor. Sie schlug die Hände auf den Rasen, Tränen kullerten über ihre Wangen.

Wenn jemand den Leistungssport in allen Gefühlslagen ausgeleuchtet hat, dann die119-fache Nationalspielerin, die sich nach der Corona-Erkrankung von Lea Schüller bereits gegen Spanien (2:0) in der Startelf wiederfand. Und wieder traf.

Lauf auch dank Mitspielerinnen

Dieser Lauf hielt an. Aber auch nur, weil es Mitspielerinnen wie Svenja Huth gibt, die in Milton Keynes ihr den Ball auf Fuß und Kopf servierten. „Ich profitiere extrem von den Mädels, so dass ich Möglichkeiten überhaupt bekomme, diese Bälle zu versenken“, bedankte sich Popp.

Ihre lange Auszeit, verriet die ausgebildete Tierpflegerin, habe auch etwas Gutes gebracht: Sie habe das Gefühl, mehr erleben und genießen zu können: „Und – ja – den Fußball selbst noch mehr schätze als zuvor.“

Finale ist Belohnung für ihre Leidenszeit

Es ist eben keine Selbstverständlichkeit, gesund zu sein. Das flirrende Finale auf dem heiligen Rasen gegen den Gastgeber wirkt wie eine Belohnung für die Leidenszeit. Aber dafür macht sich die deutsche Nummer elf keinen Druck.

Erst recht nicht, über ein Wettschießen mit der englischen Stürmerin Beth Mead, die ebenfalls bei sechs EM-Toren steht. „Es ist jetzt nicht mein erstes Ziel zu sagen, ich will unbedingt Torschützenkönigin werden. Das erste Ziel ist ganz klar, den Europameistertitel zu holen.“ Das i-Tüpfelchen draufzusetzen, schön wär’s, sagte sie.

Voss-Tecklenburg langjährige Wegbegleiterin

Ihre Comeback-Geschichte klingt fast zu kitschig. „Seit sie Fußball spielt, geht sie über Grenzen“, betonte Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg. Die gebürtige Duisburgerin kennt die in Gevelsberg aufgewachsene Popp seit deren Jugend, als deren Familie in privaten Schwierigkeiten steckte.

Voss-Tecklenburg hat die prägende Anfangszeit mit ihr beim FCR 2001 Duisburg nie vergessen, aber die 54-Jährige war selbst unsicher, ob die beim Doublesieger Wolfsburg häufig zwischen allen Positionen hin und her geschobene Allrounderin wieder als Mittelstürmerin funktionieren würde.

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„Dass sie so schnell das Stürmer-Gen zurückfindet, ist einfach schön“, erklärte Voss-Tecklenburg. Popp ergänzte gerne: „Ich war sehr froh, dass Martina mich in die Spitze gestellt hat. So konnte ich zeigen, was ich vorne noch draufhabe.“ Ganz Fußball-Deutschland jubelte am späten Mittwochabend mit. (fh)