Eingeschränkte ErleichterungWie der 1.FC Köln die Relegation überstehen will
Köln – Für Jonas Hector war auch nach nervenaufreibenden 95 Minuten nichts vorbei. Der Kapitän des 1. FC Köln ließ sich mit dem Schlusspfiff von Schiedsrichter Daniel Siebert erst einmal an Ort und Stelle auf den Rasen des Rheinenergiestadions fallen und streckte mit geschlossenen Augen und der Spielführer-Binde in der linken Hand alle Viere von sich. Ein Bild der Erschöpfung und Erleichterung nach einem dramatischen Kraftakt. Und doch auch ein Moment, dem genügend Spannung innewohnte, um auszudrücken, dass es noch nicht zu Ende ist.
Tatsächlich dauerte es nur einen Augenblick, bis Hector wieder aufgestanden war und sich hinter dem Tor an der Bande kurz sammelte. Auf den 30-Jährigen warteten die nächsten Aufgaben. Erst die ungeliebten Interviews und dann die Relegation zwischen 1. und 2. Bundesliga. Die Entscheidungsspiele gegen Holstein Kiel hat sich der FC am Pfingstsamstag durch seinen 1:0 (0:0)-Heimsieg mit einem Kopfballtor von Sebastiaan Bornauw in der 86. Minute des 34. Spieltags der Saison 2020/21 verdient. Auf den allerletzten Drücker also – und dank der Schützenhilfe des Erzrivalen Mönchengladbach.
Irgendwie musste es für die Kölner in diesem so schwierigen Jahr am Ende so kommen. Die Frage nach dem Warum beantwortete der Zittersieg über bis zur letzten Sekunde des Spiels erstaunlich widerborstige Absteiger aus Gelsenkirchen. Der FC tat sich erst offensiv schwer und vergab dann reihenweise größte Chancen. Natürlich annullierte auch der Kölner Keller den Geißböcken wieder ein Tor. Salih Özcan griff bei einem Freistoß von Jonas Hector aus dem Abseits ins Spiel ein, weil er Salif Sané regelkonform blockte. Den Ball, den Sebastian Andersson in der 71. Minute filigran am langen Pfosten ins Netz spitzelte, hätten weder Özcan noch Sané erreichen können – selbst wenn beide eine Leiter zur Hand gehabt hätten.
Chance und Drucksituation zugleich
Siebert entschied trotzdem kleinlich auf Abseits und wird am Ende des Spiels erleichtert gewesen sein, dass Bornauw eine Flanke von Jan Thielmann aus sechs Metern zur Kölner Erlösung vorbei am überragenden Schalker Keeper Ralf Fährmann ins kurze Ecke wuchtete. „Das war das wichtigste Tor meiner Karriere“, jubelte der 21-jährige Innenverteidiger aus Belgien.
Ein Tor, das die Hoffnungen des FC auf ein weiteres Erstliga-Jahr am Leben erhalten hat und ihm die Möglichkeit gibt, am Mittwoch (18.30 Uhr) in Köln und am Samstag (18 Uhr/ beide DAZN) in Kiel den letzten entscheidenden Schritt gehen zu können. „Ich sehe die Relegation in erster Linie als Chance für uns. Wir haben es selbst in der Hand, das in zwei Spielen zu regeln. Es ist wichtig, das so zu sehen. Gleichzeitig ist es eine Drucksituation, die die Mannschaft in dieser Saison schon vielfach erlebt und in denen sie dann Leistung abgeliefert hat “, erklärte Sportchef Horst Heldt am Montag.
Jonas Hector hatte die Gemütslage der Kölner schon am Samstag treffend zusammengefasst. Was Torhüter Timo Horn als „Achterbahn der Gefühle“ bezeichnete, empfand der Kapitän als Erleichterung mit Einschränkung: „Ich weiß nicht genau, wie ich mit der Gefühlslage umgehen soll. Irgendwo bin ich happy, aber es ist schade, dass es nicht direkt gereicht hat“, verwies er auf den Bielefelder Sieg in Stuttgart und ordnete alles gleich fein säuberlich ein: „Jetzt müssen wir mit der Situation leben, sie so annehmen und die beiden Spiele für uns entscheiden.“
Andersson fraglich
Hector wird dabei wieder eine tragende Rolle zukommen. Nach seiner schmerzhaften Risswunde am Fuß kehrte er gegen die Schalker zurück auf den Platz und ging in jeder Szene voran. Nicht immer wie gewünscht, aber am Ende als Vorbild und entscheidet. Hector vergab zwar drei der vielen Kölner Großchancen („Ich bin kein klassischer Torjäger), bereitete Bornauws Treffer aber mit Übersicht und Spielintelligenz mustergültig vor. „Wir sind sehr glücklich, dass er wieder spielen konnte. Jonas lebt diesen Club“, lobte Friedhelm Funkel.
Der FC-Coach begegnete den Strapazen des Showdowns, in dem er seiner Mannschaft bis Montagnachmittag frei gab und selbst komplett abschaltete. Der 67-Jährige wusste vor dem Training nicht einmal, wie es um sein Personal vor dem ersten Duell mit Kiel steht. Wenig überraschend stand ab 15 Uhr Sebastian Andersson nicht mit auf dem Platz. Der Einsatz des Torjägers am Mittwoch ist aufgrund seiner Knieproblematik fraglich: „Ich möchte nicht ganz ausschließen, dass Sebastian dabei ist. Die Vergangenheit hat zwar gezeigt, dass er ein bisschen länger braucht, aber manchmal gibt es auch überraschende Wendungen, dass es auf einmal viel besser ist“, sagte Funkel. Dafür kann der Coach wieder auf die am Samstag gelbgesperrten Ellyes Skhiri und Ismail Jakobs zurückgreifen. Jakobs dürfte zusätzlich motiviert sein. Zusammen mit Salih Özcan berief Bundestrainer Stefan Kuntz ihn in den deutschen Kader für die U21-EM ab kommenden Montag.
Den Kielern fehlen dagegen am Mittwoch mit Alexander Mühling und Jonas Meffert zwei Stammspieler gesperrt. Für Friedhelm Funkel genauso wenig ein Argument Holstein geschwächt zu sehen, wie die vielen Spiele der „Störche“ nach der Quarantäne oder die tiefe Enttäuschung nach dem verpassten direkten Aufstieg. „Wir können nicht davon ausgehen, dass die Kieler niedergeschlagen sind. Sie werden eine Jetzt-erst-recht-Haltung zeigen“, warnte der FC-Trainer. Ob diese Haltung am Mittwoch von Fans beobachtet werden kann, soll am Dienstag endgültig geklärt sein. Die Kölner Kommunalpolitik hatte die Idee ins Gespräch gebracht, 500 Zuschauer ins Rheinenergiestadion zu lassen.
Kommentar: Aus einer Position der Stärke
Geschafft! Aber eben auch noch nicht ganz. Der 1. FC Köln darf sich also zum ersten Mal in seiner Historie mit dem Wesen der Relegation beschäftigen. Ganz sicher mit einem Gefühl großer Erleichterung, denn die Geißböcke dürfen Platz 16 nach einer für sie komplizierten Saison inklusive Trainerwechsel als Erfolg verbuchen. Oder besser gesagt als Zwischenerfolg. Die beiden Spiele gegen Holstein Kiel bedeuten ja nur die Möglichkeit, Erstligist bleiben zu können. Der FC geht aber auf jeden Fall aus einer Position der Stärke in die Relegation. Nicht etwa, weil er als Bundesligist der Favorit sein muss, sondern weil er am letzten Spieltag aus einer schwierigen Ausgangsposition heraus etwas gewonnen hat. Die Kölner haben den Druck ausgehalten und verdient gewonnen. Die Relegation ist der Lohn für harte Arbeit und die Überzeugung, es schaffen zu können. Die Aufgabe von Friedhelm Funkel und seinem Trainerteam liegt darin, dass sich die Mannschaft die starke Position auch bewusst macht. Der FC trifft auf einen mental angeschlagenen Gegner, der an den letzten beiden Zweitliga-Spieltagen erst einmal alles verloren hat, was er sich vorher trotz zweimaliger Quarantäne aufgebaut hat. Ganz zu schweigen von den körperlichen Strapazen, die die Kieler nach neun Spielen in vier Wochen mit in die Relegation schleppen.
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Auf dem Papier spricht alles für den FC. Genau darin liegt die große Gefahr. Immer, wenn die Kölner sich in dieser Saison in einer Situation befanden, die Hoffnung schürte, rissen sie alles wieder ein. Es gehört offenbar zum wechselhaften Wesen des FC-Jahrgangs 2020/21, sich in Schwierigkeiten zu bringen und selbst wieder daraus zu befreien. Es ist also an der Zeit Konstanz an den Tag zu legen. Am Mittwoch und Samstag steht die Zukunft des Clubs und jedes Einzelnen auf dem Spiel. An solchen Tagen ist Seriosität und Professionalität gefragt.