Steffen Baumgart ist nach zwei Wochen Urlaub aufgeräumt und voller Tatendrang. Tobias Carspecken und Martin Sauerborn haben sich mit dem FC-Trainer getroffen. Im Interview spricht Baumgart über die WM und die Belastungen im Herbst.
FC-Trainer Baumgart im Interview„Auch mir ist Frische verlorengegangen“
Herr Baumgart, Sie gelten als positiv Fußball-Verrückter. Wie verfolgen Sie die umstrittene WM in Katar?
Ich bin keiner, der sich 90 Minuten vor den Fernseher setzt und versucht, jedes Spiel für sich zu analysieren. Im Urlaub in Australien habe ich zum Beispiel gar nichts gesehen. Ich finde das Niveau der WM – was das Spielerische und das Tempo angeht – sehr gut.
Was nehmen Sie mit?
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Das, was wir mitnehmen sollten, hat gar nichts mit Fußball zu tun: Wir sollten aufhören, Spieler zu instrumentalisieren. Bei dieser WM wurde aus deutscher Sicht ganz viel über Politik geredet. Wir Sportler sollten uns nicht vor den Karren spannen lassen. Das heißt nicht, dass wir keine Haltung einnehmen dürfen. Und ich habe noch nie erlebt, dass ein Land so wenig hinter seiner Nationalmannschaft steht, wie es bei uns der Fall ist. Das ist sehr traurig und macht mich nachdenklich.
Und sportlich?
Der Fußball ist, was die Leistung angeht, sehr eng zusammengerückt und hat sich weiterentwickelt. Deshalb sollte das Anspruchsdenken einzelner Länder korrigiert werden. Es sollte anerkannt werden, dass mittlerweile auf der ganzen Welt gut ausgebildet und gespielt wird. Es gibt nicht mehr „nur“ die Südamerikaner, die Fußball spielen können. Und Europa ist nicht der Mittelpunkt der Fußball-Welt.
Was sagt es über den Fußball aus, wenn es ein Team wie Marokko bis ins Halbfinale schafft?
Fußballerisch war das sicher nicht die beste Mannschaft. Sie stehen defensiv sehr gut und haben das nötige Quäntchen Glück.
Welche Rolle spielt das Kollektiv bei Marokko?
Das Kollektiv spielt bei jeder Mannschaft eine wichtige Rolle, die weit kommt. Der einzelne Star wird für den Fußball immer weniger entscheidend.
Wie stehen Sie zur Ausweitung der Nachspielzeit bei der WM in Katar?
Die Netto-Spielzeit im Fußball liegt bei weit unter 60 Minuten. Daher finde ich eine zehnminütige Nachspielzeit schwer erklärbar. Zieht eine Auswechslung, ein erzieltes Tor, eine Verletzung eine Nachspielzeit von jeweils einer Minute nach sich? Dann sollten wir lieber wie im Eishockey oder Handball die Zeit anhalten. Dann verstehen das auch alle. Das wäre eine Neuerung, die Sinn macht.
Kommen wir zum FC. Hinter Ihrer Mannschaft liegt ein intensives Halbjahr. Wie haben Sie die zweiwöchige Trainingspause genutzt?
Es war wichtig, mal runterzufahren und durchzuatmen. Diesen komprimierten Spielplan hat es so ja noch nie gegeben. Bei einer normalen Halbserie hätten wir jetzt noch ein Conference League- und drei Bundesligaspiele zu absolvieren. Stattdessen wurde alles zusammengepresst. Wer verletzt war, hat nicht nur ein, zwei Spiele verpasst, sondern gleich vier oder fünf. Wir waren gar nicht in der Lage, mal Luft zu holen. Das hat man den Spielern zum Ende hin angemerkt. Nicht vom Willen her. Sondern, weil die körperliche und geistige Frische gefehlt hat. Nicht nur bei uns, sondern auch bei anderen Teams.
Teil 2 des Interviews
Am Samstag lesen Sie in der Print- und Online-Ausgabe die Fortsetzung. In Teil zwei des Interviews spricht der FC-Cheftrainer in der Samstagausgabe über die Stürmersuche, Anthony Modeste, Verantwortung und das Weihnachtsfest im Hause Baumgart.
Welchen Eindruck macht Ihre Mannschaft aktuell auf Sie?
Die Jungs sind nach der Pause mit großer Freude dabei. Weil sie sich wieder in einem normalen Trainingsbetrieb befinden.
Wie haben Sie persönlich die Terminhatz in den vielen Englischen Wochen empfunden?
Auch mir ist Frische verloren gegangen. Ich hatte nicht mehr das Gefühl, etwas vermitteln zu können. Wir haben die Abläufe nur wiederholt, aber nicht mehr an ihnen gearbeitet. Das war sehr energieraubend. Ich hoffe, man hat das nach außen nicht gemerkt. Das war schon an der Grenze. Das muss ich ehrlich sagen.
Welche Erfahrungen waren für Sie am prägendsten?
Vor kurzem habe ich mal wieder von jemandem gehört, dass wir den Fußball wieder in den Mittelpunkt rücken müssen. Das ist richtig. Wir sollten nicht vergessen, dass der Fußball im Mittelpunkt steht. Und nicht die Organisation, die ihn regelt. Sonst fehlt das Wesentliche.
Sie spielen auf das penible Regelwerk der Uefa an, das Sie in der Conference League am eigenen Leib erfahren mussten?
Es fällt mir schwer, mich auf Schienen zu bewegen. Wenn Leute mir vorgeben, was ich zu tun und zu lassen habe – das liegt mir nicht.
Welche sportlichen Erfahrungswerte sind hängengeblieben?
Wir sind ein Entwicklungsverein. Wenn wir aber nicht mehr die Zeit haben, zu entwickeln, wird es auf Dauer schwierig. Ich habe nach Hoffenheim (1:1/12. Spieltag) gesagt: Es war zwar ein sehr gutes Spiel, aber es wird uns mit dieser Leistung komplett auf die Füße fallen. So ist es auch gekommen. Das haben wir nicht mehr aufgeholt. Wir haben gegen Leverkusen (1:2/14.) eine unserer besten Leistungen gezeigt. Es hat am Ende aber an den Kleinigkeiten gefehlt, um dieses Spiel auch zu gewinnen.
Was nehmen Sie für die Rückrunde mit?
Ich freue mich darauf, mit den Jungs wieder in einem normalen Rhythmus zu arbeiten. Und hoffe, dass sich die Ergebnisse dann auch wieder in unsere Richtung drehen.
Sind Sie mit der bisherigen Belastungssteuerung zufrieden gewesen?
Die Steuerung hat funktioniert. Wir hatten mit ungewöhnlich vielen schweren Verletzungen zu kämpfen. Aber nur mit einer einzigen muskulären. Bei Benno Schmitz (zog sich angeschlagen im letzten Spiel vor der Winterpause bei Hertha BSC eine Muskelverletzung zu, d. Red.) waren wir uns dem Risiko bewusst. Normalerweise hätten wir das auch gar nicht gemacht.
Wie fällt das sportliche Fazit bislang aus?
Gladbach (2:5) und Mainz (0:5) mal ausgeklammert, waren die Leistungen in allen Spielen in Ordnung. Ergebnistechnisch hat einiges gefehlt. Im DFB-Pokal sind wir in Regensburg am Ende unglücklich ausgeschieden – gegen einen formstarken Gegner, der bereits im Zweitliga-Betrieb stand. In der Conference League waren wir bis zum letzten Augenblick dabei. Es war eine ganz enge Kiste. Alles mit einer Mannschaft, die gar nicht auf die Teilnahme an einem internationalen Wettbewerb ausgerichtet ist.
Rotation war ein großes Thema. Werden Sie in der Rückrunde weniger rotieren?
Das Rotieren in der bisherigen Größenordnung wird so nicht mehr vorkommen. Das liegt am Lauf der Dinge, weil wir nur noch in einem Wettbewerb vertreten und wieder in einem normalen Rhythmus sind. Wir werden mit der Mannschaft auflaufen, die vom Gefühl her die stärkste ist. Man darf aber nicht vergessen, dass wir einen ausgeglichenen Kader haben, bei dem es immer mal wieder zu Wechseln kommen kann. Denis Huseinbasic rückt immer mehr in die Startelf, Linton Maina hat sich in den Fokus gespielt, Dejan Ljubicic wird nach seiner Verletzung wieder kommen. Und vielleicht kommt ja noch ein neuer Stürmer.
Ist die Rückkehr zu langen Trainingswochen die große Chance für den FC?
Das ist ja das, was ich will. Ich fühle mich immer noch als Trainer. Für mich ist es wichtig, die Jungs auszubilden und tagtäglich mit ihnen zu arbeiten. Sich nicht nur hinzusetzen, die Aufstellung zu machen und sie laufen zu lassen. Das kann ich aus meiner Sicht am besten in einer normalen Trainingswoche. Indem ich im Training ständig dabei bin. Indem ich wieder da bin, anstatt damit beschäftigt zu sein, meine Energie wiederzufinden. Die Jungs haben mich vor ein paar Tagen gefragt: „Wann war eigentlich die letzte Einheit, in der der Trainer tiefer reingegangen ist?“ Das kann ich jetzt wieder. Und das macht mich glücklich. Ich freue mich, wieder Trainer sein zu dürfen.
Was steht bei der Aus- und Weiterentwicklung im Fokus?
Wir werden das Training wieder individueller gestalten, in kleineren Gruppen arbeiten. Auch die Vor- und Nachbereitung im Videobereich wird wieder stärker kommen. Um wirklich jeden Einzelnen wieder den Tick besser zu machen.