Der Wiederaufbau entwickelt sich zu einem zähen Marathon, auch die politische und juristische Aufarbeitung der Katastrophe ist noch lange nicht abgeschlossen.
Zwei Jahre nach der FlutVon Normalität in den Dörfern entlang der Ahr kann noch nicht die Rede sein
Fast zwei Jahre sind seit der wohl größten Naturkatastrophe in Nordrhein-Westfalen und dem nördlichen Rheinland-Pfalz mit mindestens 185 Toten vergangen. In manchen Orten wie Dernau waren 90 Prozent der Gebäude beschädigt. Der Wiederaufbau wird wohl noch viele Jahre dauern.
Die Deutsche Bahn beispielsweise schätzt, dass die Wiederherstellung der zerstörten Ahrtalbahnstrecke von Walporzheim bis Ahrbrück noch bis Ende 2025 dauern wird. Ahr-Landrätin Cornelia Weigand beschreibt die augenblickliche Stimmung so: „Viele Leute sind einfach sehr, sehr erschöpft, weil jeder – auch Nachbarn und Freunde – mit dem eigenen Aufbau zu tun hat und man sich nur bedingt gegenseitig unterstützen kann. Weil sie alle denselben Kampf kämpfen.“
Verfüllung des Kraters in Blessem dauert noch drei Jahre
Auch in den Katastrophengebieten in Nordrhein-Westfalen sind die Spuren der Verwüstung noch sichtbar. Aber hier kommt der Wiederaufbau gut voran, heißt es vor Ort. Die strafrechtliche Aufarbeitung der Katastrophe, die nach Meinung der britischen Hochwasser-Forscherin Hannah Cloke ein „monumentales Systemversagen“ offengelegt habe, dauert bis heute an.
Das Bild der eingestürzten Kiesgrube in Erftstadt-Blessem hat sich im Rheinland tief ins kollektive Gedächtnis eingebrannt. Es grenzt immer noch an ein Wunder, dass damals niemand ums Leben kam, als nach extremen Regenfällen der Hochwasserdamm der Kiesgrube brach. In dem riesigen Krater, der dadurch entstand, versank der Ortsrand und mit ihm mehrere Häuser. Die Verfüllung des Kraters soll nach Informationen dieser Zeitung noch drei Jahre dauern. 370.000 Kubikmeter Material müssen dazu noch eingebracht werden. Entstehen soll eine sogenannte Sekundäraue, die bei Hochwasser der Erft geflutet werden kann. Die benachbarte Kiesgrube liegt seit der Katastrophe still.
Drei Minister mussten ihren Hut nehmen
Die Staatsanwaltschaft Köln ermittelt gegen den Eigentümer und früheren Besitzer sowie elf weitere Personen wegen des Verdachts des fahrlässigen Herbeiführens einer Überschwemmung durch Unterlassen, der Baugefährdung sowie Verstoßes gegen das Bundesberggesetz. Der Unternehmer hatte die Grube erst selbst betrieben und sie später an die Rheinischen Baustoffwerke, eine RWE-Tochter, verpachtet.
Zudem richten sich die Ermittlungen gegen fünf Mitarbeiter beziehungsweise ehemalige Mitarbeiter der Rheinischen Baustoffwerke sowie gegen fünf zum Teil ehemalige Mitarbeiter der Bezirksregierung Arnsberg, die für die Genehmigung des Kiesabbaus zuständig war, und gegen den Geschäftsführer eines geotechnischen Beratungsunternehmens.
Die Staatsanwaltschaft erwartet noch ein Gutachten zur Einsturzursache der Grube. Zudem laufen sowohl bei der Staatsanwaltschaft Bonn als auch in Köln Prüfungen hinsichtlich etwaiger Versäumnisse zuständiger Stellen im Zusammenhang mit der Flut. Auch diese Prüfungen dauern noch an.
Folgen hatte die Katastrophe für drei Minister, die für ihr Fehlverhalten den Hut nehmen mussten. Zuerst traf es die damalige NRW-Umweltministerin Ursula Heinen-Esser (CDU) und ihre frühere Amtskollegin aus Rheinland-Pfalz, Anne Spiegel (Grüne), die es in der Katastrophe vorzogen, Familienurlaub zu machen. Im weiteren Verlauf der parlamentarischen Untersuchungen erwischte es auch den rheinland-pfälzischen Innenminister Roger Lewentz (SPD).
Einsatzleitung völlig überfordert, überlastet und unterbesetzt
Bei den Zeugenbefragungen im parlamentarischen Untersuchungsausschuss in Mainz wurde deutlich, dass die Einsatzleitung im Kreis Ahrweiler „völlig überfordert, überlastet und personell unterbesetzt“ war. Aber auch im Lagezentrum des Innenministeriums wurden in der Flutnacht Videos aus Polizeihubschraubern von um ihr Leben kämpfenden Menschen im Ahrtal offenbar nicht ausgewertet.
Im Fokus strafrechtlicher Ermittlungen stehen allein der damalige Landrat des Kreises Ahrweiler, Jürgen Pföhler (CDU) und ein ehrenamtliches Mitglied seiner Einsatzleitung wegen des Anfangsverdachts der fahrlässigen Tötung und der fahrlässigen Körperverletzung im Amt — jeweils begangen durch Unterlassen, weil sie nicht rechtzeitig gewarnt und evakuiert hätten. Die Staatsanwaltschaft Koblenz bat wegen der sehr aufwendigen Ermittlungen noch um Geduld. Am Jahresende sollen die Ergebnisse vorliegen.
SPD vermisst im Untersuchungsausschuss noch viele Akten
Auch in den Flutgebieten in NRW unterblieben Warnungen. Nicht nur das: Im Untersuchungsausschuss kam heraus, dass ein Modellsystem zur Hochwasservorhersage nicht genutzt werden konnte, weil die einzige Person, die es betreuen konnte, im Urlaub war. Und NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) räumte im März 2022 bei seiner Befragung im Ausschuss als Fehler ein, dass er keinen Landeskrisenstab einberufen habe.
In Mainz hat der Untersuchungsausschuss seine Zeugenbefragung abgeschlossen, zum Jahresende will er seinen Abschlussbericht vorlegen. In NRW stehen noch drei Sitzungen an. Sehr zum Bedauern von CDU-Ausschusssprecher Thomas Schnelle: „Gerne hätten wird den Abschlussbericht vor dem zweiten Jahrestag vorgelegt, zumal seit Februar alle Tatsachen und Untersuchungen auf dem Tisch liegen“, sagte er auf Anfrage der Rundschau. Die SPD aber habe mit immer neuen Forderungen nach weiteren Untersuchungskomplexen den Zeitplan zunichte gemacht.
SPD-Obmann René Schneider wies die Kritik zurück: „Für unseren Abschlussbericht fehlen uns noch Unmengen von Akten aus dem Ministerium von Ina Scharrenbach. Bis zum Urteil des Verfassungsgerichtshofs in diesem Fall möchten wir als SPD die Zeit nutzen, um bislang weniger beachtete Themen zu beleuchten. Wie war die psychosoziale Beratung? Wie gut lief die Abwicklung mit den Versicherungen? Was passierte an den Talsperren? Wir hoffen, am Ende weitere wertvolle Verbesserungsvorschläge machen zu können für künftige Katastrophenfälle.“
Milliardenschäden durch Sturmtief Bernd
Das von Sturmtief „Bernd“ ausgelöste Hochwasser hatte Mitte Juli 2021 in Deutschland riesige Schäden verursacht. Für die Versicherungswirtschaft war es die bislang folgenschwerste Naturkatastrophe in Deutschland. Nach Angaben des Gesamtverbandes der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) summieren sich die versicherten Sachschäden auf 8,4 Milliarden Euro; 6,7 Milliarden seien bisher ausgezahlt worden.
1,3 Milliarden Euro Schaden entstand am Netz der Deutschen Bahn. Betroffen waren 600 Kilometer Schienen, 50 Brücken, 40 Stellwerke, 180 Bahnübergänge und 100 Bahnhöfe. Rund 90 Prozent der Strecken sind wieder befahrbar.
50 Millionen Euro kostete die Wiederherstellung der zerstörten Autobahnen im südlichen Rheinland.
3,1 Milliarden Euro sind in Nordrhein-Westfalen bisher an Wiederaufbauhilfen bewilligt worden, davon knapp 716 Millionen an privat Geschädigte.
1,041 Milliarden Euro sind in Rheinland-Pfalz bisher an Wiederaufbauhilfen an Privatpersonen und Firmen bewilligt worden. Knapp 500 Anträge sind noch in der Bearbeitung.