Leverkusen – Vertrauen verloren, Aktienkurs eingebrochen, ein gigantischer Verlust – gleich zu Beginn zeigte sich Werner Baumann durchaus selbstkritisch. Mit der Entwicklung könne niemand bei Bayer zufrieden sein, sagte der Vorstandschef am Dienstag auf der Hauptversammlung. Die Anteilseigner nicht, die Führung auch nicht. „Dafür tragen wir die Verantwortung“, so Baumann.
Mit dem Aktionärstreffen war der Konzern Pandemie-bedingt ein zweites Mal ins Netz umgezogen – und hatte ein paar Verbesserungen eingeführt, um so mehr Austausch mit seinen Anteilseignern zu ermöglichen. Wer wollte, konnte – freilich maximal zwei Minuten lange – Videos zeigen lassen. Auch Nachfragen waren in der Versammlung selbst möglich: Gegen 15.30 Uhr, fünfeinhalb Stunden nach Beginn der Veranstaltung, die wieder aus dem Bay-Komm übertragen wurde, beendete Norbert Winkeljohann die Frage-Phase.
Gut vor der Kamera
Der seit vorigen Mai amtierende Vorsitzende des Bayer-Aufsichtsrats machte vor der Kamera eine durchaus gute Figur. Auch Werner Baumann gelang es, seine Nachrichten für die Aktionäre positiv zu verpacken. Dabei waren sie zum großen Teil ja gar nicht gut. Dennoch wirkte der Vorstandschef nicht so distanziert wie sonst.
Kritik hagelte es trotzdem, und zwar wiederum durchaus nicht nur von den organisierten Konzern-Kritikern wie der „Coordination gegen Bayer-Gefahren“, die im Vorfeld der Hauptversammlung eine Menge Gegenanträge gestellt und aus diesen die Forderung abgeleitet hatte, weder den Vorstand, noch den Aufsichtsrat zu entlasten. Diesmal stand die „Coordination“ damit jedoch wieder auf verlorenem Posten.
Die Aktie enttäuscht weiterhin
Aber auch ein profilierter Kleinaktionärsvertreter wie Marc Tüngler hatte einiges auszusetzen am Zustand des Konzerns. Mit Blick darauf, dass die Papiere der einst als viel weniger wertvoll erachteten Chemie- und Kunststoff-Ausgliederungen Lanxess und Covestro seit Monaten höher notieren als die Bayer-Aktie, sagte der Sprecher der Deutschen Schutzgemeinschaft für Wertpapierbesitzer: „Der Kurs ist alles, nur nicht schön.“
In dem malt sich nicht nur das noch längst nicht gelöste Glyphosat-Problem ab. Auch die enormen Wertberichtigungen in der Agrochemie-Sparte machen den Anlegern große Sorgen. Für Glyphosat, aber auch diverse andere juristische Auseinandersetzungen werden im Lauf dieses Jahres rund acht Milliarden Euro abfließen, rechnete Finanzvorstand Wolfgang Nickl auf Geheiß eines Aktionärs zusammen.
Auch PCB wird teuer
So habe sich Bayer bei einer weiteren Monsanto-Altlast auf teure Vergleiche einlassen müssen: Rund 2500 Gemeinden in den USA hatten PCB im Wasser gefunden und Klage erhoben, so Nickl. Die Einigungen kosten Bayer bisher rund 820 Millionen Euro. Auch Probleme mit dem Unkrautvernichter Dicamba, für den Bayer zwischendurch sogar die Zulassung verlor und so im Wettbewerb zuletzt gehörig ins Hintertreffen geriet, hätten auf dem juristischen Parkett Geld gekostet, resümierte Nickl: etwa 400 Millionen Euro insgesamt. Dazu kommen rund 1,35 Milliarden, die Bayer an die rund 39 000 Frauen auszahlt, die nach dem Einsatz der Hormonspirale Essure gesundheitliche Probleme und geklagt hatten.
Bayer beklagt bisher 24 Corona-Tote
Sabine Schaab ist eine von bisher 24 Bayer-Beschäftigten, die im Zusammenhang mit der Covid-19-Pandemie verstorben sind. Insgesamt habe der Konzern bisher 7061 Corona-Infektionen in der Belegschaft weltweit gehabt, sagte Vorstandschef Werner Baumann am Dienstag. Sabine Schaab war im Betriebsrat der Wuppertaler Niederlassung und hatte einen Sitz in Bayers Aufsichtsrat. Dessen seit vorigen Mai amtierender Vorsitzender Norbert Winkeljohann gedachte im Rahmen der Hauptversammlung auch der Frau, die vorigen August mit 54 Jahren gestorben war.
Ihre Funktion im Aufsichtsrat hat im September Andrea Sacher übernommen, die Vize-Vorsitzende des Betriebsrats bei Bayer in Berlin. Die 39-Jährige ist auch Vize-Vorsitzende des Gesamtbetriebsrats von Bayer, der von Oliver Zühlke geführt wird. (tk)
Der Glyphosat-Komplex und die wirtschaftlichen Begleiterscheinungen der Monsanto-Übernahme erzürnen viele Aktionäre. Doch das irritiert den Vorstand nicht mehr allzu sehr. „Wir haben keinen Anlass, personelle Konsequenzen zu ziehen“, so Baumann mit Blick auf den Kauf von Monsanto und als Antwort auf eine entsprechende Frage. Chefaufseher Winkeljohann bekräftigte, dass Baumann seinen voriges Jahr einstimmig bis Ende April 2024 verlängerten Vertrag erfüllen werde. Über seine Nachfolge werde man sich rechtzeitig Gedanken machen.
Die Steuermoral im Visier
Viele Fragen gab es auch zur Steuermoral des Konzerns, die zudem auf der kleinen Kundgebung vor der Bayer-Zentrale thematisiert wurde. Dem Vorwurf, durch das Verschieben von Gewinnen und geschickte innere Geschäftsbeziehungen Steuern nicht dort abzuführen, wo sie eigentlich nicht hingehören, sondern da, wo die Sätze besonders niedrig sind, widersprachen Baumann und Nickl.
Und gaben in diesem Zusammenhang auch Auskunft zu Töchtern in Zypern oder den Niederlanden, wo Bayer eine Tochterfirma hat, die intern Investitionsmittel an die Produktionseinheiten vergibt. Die in den Niederlanden als Steuerspar-Idee gängigen Patent-Boxen, die aus dem eigenen Haus Lizenzgebühren fordern und so die Gewinne schmälern nutze Bayer nicht.