Troisdorf – Der Ölprinz in Bad Segeberg – verschoben auf das kommende Jahr. Auch in Elspe fallen die Karl-May-Festspiele 2020 Corona zum Opfer. Und die Karl-May-Festtage in Radebeul, dem letzten Wohnort des Autors, finden erst 2021 wieder statt. Ein Sommer ganz ohne Karl May? Für Andreas Hardt aus Spich undenkbar. Und so stellten er und seine Mitstreiter vom digitalen Fan-Magazin „Wild-West-Reporter“ einen virtuellen Festspielsommer auf die Beine. Ab Samstag lesen mehr als 50 Mitwirkende Karl May vor der Kamera: zu Hause am Kamin, am Seeufer oder am Schreibtisch. Jeden zweiten Tag sind die Filme ab 19.45 Uhr auf der Internetseite der Reporter zu sehen.
Ein echter Landvermesser
Im Jahr 2006 haben Andreas Hardt und Heinz-Gerd Stricker die Internetseite „Wild-West-Reporter“ gestartet.
„Aus Spaß an der Freud“ belieferten sie seither die Fangemeinde mit Reportagen und Interviews, betont Andreas Hardt. Es gebe weder Werbung auf der Seite, noch verfolge man wirtschaftliche Interessen. Auch die Lesung werde ohne Werbung oder Paywall auskommen.
Seit einem Jahr erst ist Sven Damköhler mit von der Partie. „Unser Neuzugang ist ein echter Landvermesser“, hieß es damals stolz auf der Homepage: Als Landvermesser kam schließlich auch Old Shatterhand in den Wilden Westen.
www.wild-west-reporter.com
Mit einem Blick in die privaten Telefonbücher starteten die Macher das Projekt: Für ihre Internetseite pflegen Hardt, Heinz-Gerd Stricker, Malte Glessmann und Sven Damköhler beste Kontakte zu vielen Karl-May-Darstellern, die zwischen 1980 und 2019 bei Festspielen auftraten; über Interviews und Reportagen halten sie Kontakt zu Bühnen und Fans gleichermaßen.
Claus Wilcke und Volker Brandt haben zugesagt
Mit 28 Akteuren hatten die vier geplant, den Roman „Old Firehand“ wollten sie präsentieren. Auf die überwältigende Resonanz reagierte Hardt mit einer Erweiterung des Programms. Auch die beiden kürzeren Werke „Old Cursing Dry“ und „Ein amerikanisches Doppelduell“ werden nun in vier bis fünf Seiten langen „Portionen“ gelesen. Zudem sitzt eine Hand voll möglicher Akteure „auf der Reservebank“. Honorare gibt es nicht, alle beteiligen sich so ehrenamtlich wie die Wild-West-Reporter.
Viel Schlaf bekam zuletzt keiner aus dem Quartett. Bis tief in die Nacht wird gearbeitet. Nach den Anfragen und dem Einrichten der technischen Plattform sind nun die ersten eingehenden Videos zu bearbeiten, ein kurzes Intro und eine Ansage vorzubereiten. Schauspielgrößen wie Claus Wilcke und Volker Brandt haben zugesagt – und darauf hingewiesen, dass sie mit der Technik nicht klarkämen.
600.000 Besucher auf deutschsprachigen Bühnen
Und so machte sich Bankkaufmann Hardt auf den Weg nach München und Wuppertal, um die Kamera zu bedienen. „Manchmal müssen wir auch improvisieren“, nicht immer zum Schlechteren: Nach einer kurzfristigen Absage rückte vor wenigen Tagen erst mit Mathieu Carrière ein weiteres prominentes Gesicht auf die Liste der Darsteller.
Gespannt darf man sein, welche Resonanz die außergewöhnliche Lesung im Netz finden wird. Karl-May-Festspiele jedenfalls, meist auf Naturbühnen und im Freien, erleben seit etlichen Jahren wachsenden Zuspruch. „Deutlich mehr als 300.000 Besucher“ sind es laut Hardt allein in Bad Segeberg, 600.000 dürften es insgesamt auf den deutschsprachigen Bühnen sein, schätzt der 52-Jährige. Woher das Interesse wohl rührt? „In der digitalen Welt ist das etwas Reales“, so seine Vermutung: Pferde und deren Geruch, Pulverdampf, Hitze, Dreck und Schweiß. Aber im Zweifelsfall auch der Dauerregen, den Darsteller und Zuschauer gemeinsam ertragen müssen.
Das alles faszinierte Andreas Hardt schon als Kind, später als Jugendlichen. Als Familienvater erlebt er nun die dritte Karl-May-Phase – „und jetzt endgültig“.