Troisdorfer Pfarrer geht nach Bonn„Es hat sich gelohnt, die Kirche zu öffnen“
- Der Pfarrer Dietmar Pistorius geht nach 20 Jahren in Troisdorf als Superintendent nach Bonn.
- Im Interview spricht er über die Zeit in Troisdorf und seine Projekte wie den Komplettumbau von Kirche und Gemeinde.
- Außerdem verrät er, was ihn zukünftig in Bonn erwartet.
Troisodrf/Bonn – 20 Jahre lang war Dietmar Pistorius Gemeindepfarrer an der Johanneskirche in Troisdorf. Im dritten Anlauf wurde er nun in Bonn zum Superintendenten gewählt. Dieter Krantz sprach mit ihm über seine Zeit in Troisdorf und neue Ziele in Bonn.
Sie haben zum dritten Mal für das Amt eines Superintendenten kandidiert. Mit welchen Gefühlen gingen Sie in die Wahlsynode?
Pistorius: Es war wesentlich entspannter; eine Bewerbung, wie andere sich auch auf eine andere Stelle bewerben. Ohne das Gefühl zu haben: „Da hast du jetzt jahrelang drauf hingearbeitet.“ Sehr frei und offen bin ich da reingegangen. Mit dem Wissen, dass es gute Gründe geben könnte, mich zu wählen oder auch nicht zu wählen. Und im Wissen darum, dass ich mit dem, was ich hier und auch im Kirchenkreis An Sieg und Rhein bewirken kann und bewirkt habe, gut leben kann und das gerne gemacht habe.
Und mit welchen Empfindungen gehen Sie nun nach Bonn?
Die Gefühle sind ganz ambivalent. Es überwiegt die Freude auf die Arbeit in Bonn. Es ist biografisch gut gesetzt, jetzt zu sagen, ich beginne auch noch mal mit etwas Neuem. Ich stoße auf einen Kirchenkreis, in dem ich willkommen bin, wo viele Menschen Lust darauf haben, mit mir Kirche zu gestalten und weiter zu entwickeln. Und auf der anderen Seite ist das natürlich mit Wehmut besetzt: die vielen letzten Male; viele Dinge, wo es ein bisschen wehtut, sie loszulassen.
Das größte Projekt Ihrer Zeit in Troisdorf war sicherlich der Komplettumbau von Kirche und Gemeinde hier. Wie bewerten Sie das in der Rückschau?
Als Glücksfall. Es war gerade am Anfang über einige Strecken wirklich hartes Brot, das nicht zu kauen gewesen wäre, wenn es nicht so viele Menschen gegeben hätte, die mitgedacht, mitgezogen und mich unterstützt haben. Denn wenn man in einer Institution, in der vieles lange Zeit festgesetzt ist, anfängt, Dinge anders zu machen, dann erntet man nicht nur Lob dafür. Gerade in den ersten Jahren gab es zum Teil heftige Widerstände bis hin zu Flugschriften gegen den neuen Pfarrer und den Umbau der Kirche. Aber ich glaube, es hat sich gelohnt, die Kirche zu öffnen und hin zu gestalten auf Menschen, die vielleicht nur ein diffuses Interesse haben und keine Lust, sich zu binden in Gruppen und Kreisen. Auf Menschen, die vielleicht nur Lust haben, punktuell was zu erleben in der Kirche.
Sie haben viele neue Formate an den Start gebracht. Daraufhin ist ja die Kirche auch umgebaut worden. Braucht moderne Kirche das?
Die Überlegung, die Kirche umzubauen, war ja ein Beschluss, der vor meiner Zeit vom Presbyterium gefasst wurde. Hier haben andere den Acker gepflügt, ich durfte dann ernten und mit diesem wunderbaren Kirchenraum Kirche gestalten. Und ich durfte an die Menschen anknüpfen, die gesagt haben: „Wir wollen einen Aufbruch.“ Natürlich wird vieles von dem, was hier geschehen ist, auf mich gebucht, aber das verzerrt es etwas. Es standen andere an der Wiege als ich. Ich wurde am Pfingstmontag 2000 eingeführt, und Dienstag kamen die Bagger.
Noch einmal nachgehakt: War es notwendig?
Ich behaupte, die Kirche braucht neue Formate. Und sie wird es in Zukunft noch viel stärker brauchen. Weil wir einen sehr starken Wandel in unserer Gesellschaft und Kultur haben, der viel weiter zurückreicht. Vor ziemlich genau 100 Jahren hat die Weimarer Reichsverfassung die negative Religionsfreiheit eingeführt; seither muss kein Mensch mehr zur Kirche gehören. Aus bestimmten Entwicklungen wie Kriegserfahrungen hat die Kirche als Institution das nicht so zu spüren bekommen. Aber jetzt. Das heißt, wir müssen uns verabschieden von einer Haltung, die sagt: „Na ja, es wird schon laufen.“ Wir sind dafür verantwortlich, dass Menschen Relevanz für ihr Leben und für die Gesellschaft in Kirche und den Formen von Religiosität erkennen, die wir anbieten. Da wird der traditionelle Gottesdienst immer ein Markenzeichen sein, aber es wird nicht ausreichen.
Zur Person
Dietmar Pistorius tritt am 1. März seinen Dienst als Superintendent in Bonn an. Am Aschermittwoch wird er mit einem Gottesdienst in der Johanneskirche in Troisdorf verabschiedet.
Geboren 1965 in Trier, absolvierte Dietmar Pistorius ein freiwilliges soziales Jahr in der Evangelischen Kirchengemeinde Hermeskeil im Hunsrück. Er studierte Theologie in Wuppertal und Heidelberg, außerdem Kulturmanagement an der Fernuniversität Hagen. Stationen in Heidelberg und Bonn folgten, im Jahr 2000 wurde er zum Gemeindepfarrer an der Johanneskirche berufen.
Der verheiratete Vater von vier Kindern gehört als 1. Stellvertreter der Skriba zum Synodalvorstand; er ist Vorsitzender des Ausschusses für Erwachsenenbildung. Im evangelischen Kirchenkreis und war er unter anderem verantwortlich für die Steuerung der Projekte „Pfarrstellenrahmenplan“, „Personalplanungskonzept“ und „Kirchenkreiskonzeption“.
Zweimal kandidierte er bei der Wahl zum Superintendenten des Kirchenkreises; 2011 unterlag er gegen Reinhard Bartha, 2016 erhielt Almut van Niekerk mehr Stimmen der Kreissynodalen. (dk)
Stoßen Sie auch in Bonn auf ein „gepflügtes Feld“, wie Sie eben gesagt haben, oder müssen Sie da noch dicke Bretter bohren?
Ich bin ja auch mit diesem Profil angetreten und glaube, dass es von vielen Menschen eine Affinität dazu gibt. Dass es gerade deshalb für einige interessant war zu sagen: „Den gucken wir uns an.“ Und im Endeffekt auch: „Den wählen wir.“ Stadtgesellschaft und Kirche dort sind sehr aufeinander bezogen. Man begegnet sich mit großer Offenheit und in großem Interesse.
Thema Ökumene: Wie weit ist die gekommen in Troisdorf? Die ökumenische Nacht der Kirchen gab es 2017 zum letzten Mal.
Wenn man gut miteinander arbeiten kann, dann kann man auch gut Ökumene gestalten; das passiert hier in Troisdorf an vielen Ecken und Enden. Das findet aber nicht immer so die große Öffentlichkeit wie die Nacht der Kirchen. Derzeit liegt es an den in beiden Konfessionen zur Verfügung stehenden Ressourcen und internen Prozessen, dass die Ökumene weniger in Großveranstaltungen als in vielen kleinen Aktivitäten gestaltet wird.
Das heißt, die Katholiken sind sehr mit Priestermangel und der Organisation der Seelsorgebereiche beschäftigt?
Genau, und mit Neubauprojekten, und und und. Umgekehrt gilt das ja für uns auch: Wir sind in den Gesprächen darüber, wie die Zukunft der evangelischen Kirche in Troisdorf aussieht, die bisher in zwei Gemeinden organisiert ist. Wir haben das Projekt mit dem neuen Gemeindezentrum im Blick gehabt. Das betrifft aber die großen, öffentlich wahrnehmbaren Geschichten. Wir haben an vielen Stellen unwahrscheinlich intensiv ökumenisch gearbeitet.
Würden Sie ein paar Beispiele nennen?
Wenn man nur die Flüchtlingsarbeit nimmt. Was die Kirchen da gemeinsam geleistet haben! Oder bei so etwas wie dem Lotsenpunkt. Wir haben über Jahre im ökumenischen Arbeitskreis zusammengesessen und tun das auch heute noch; an sehr praktischen Dingen haben wir zusammen gearbeitet. So dass ich unter dem Strich sage, die Ökumene steht sehr gut. Und wenn die Menschen ihre Strukturfragen gelöst haben, werden sie sicher fragen: „Was können wir noch als große wahrnehmbare ökumenische Akzente setzen?“ Ein Kleinod ist das ökumenische Filmforum, das über 15 Jahre in der Stadtkirche stattgefunden hat.
Sie haben die Zukunft der beiden evangelischen Gemeinden in der Stadt Troisdorf angesprochen. Gibt es da einen Prozess hin zur Fusion?
Eine Fusion steht aktuell nicht auf der Agenda, aber ich schließe es nicht aus, dass es in der Zukunft irgendwann nur eine Gemeinde in Troisdorf geben wird. Klar ist, dass auch für Troisdorf, und das wird unmittelbar die evangelische Kirchengemeinde in der Stadt schon treffen, die Pfarrstelle um eine halbe Stelle reduziert wird. Wenn man weniger Ressourcen hat, ist es notwendig zu überlegen: Wie gehen wir damit um? Da sind die Presbyterien miteinander im Gespräch, ohne Druck oder eine zeitlich terminierte Agenda.
Kontakt zur Moscheegemeinde hat es auch gegeben. Wie steht der? Hat er sich verändert?
Der Kontakt zur Moschee ist bei Pfarrer Ingo Zöllich angesiedelt, der ja auch für den Kirchenkreis der Islambeauftragte ist. Ich selbst hatte in meinen Anfangsjahren und um das Ereignis des 11. September herum sehr intensive Kontakte zur Moschee. Wir haben viele Veranstaltungen gemeinsam gemacht, wechselseitige Einladungen ausgesprochen. Das habe ich persönlich dann aber nicht mehr so weiter verfolgt.
Es gibt aber keine Entfremdung?
Nein, nein. Aktuell bietet Ingo Zöllich zum Beispiel eine Begegnung an zwischen Konfirmandinnen und Konfirmanden und Jugendlichen aus der Moscheegemeinde. Sie gehen in die Moschee, und Jugendliche werden in die Johanneskirche einladen.
Das jüngste Thema ist das Stadthaus. Noch ein großes Bauprojekt, das Sie jetzt Ihrem Nachfolger oder Ihrer Nachfolgerin hinterlassen. Wie steht es denn da?
Stand der Dinge ist, dass die Gemeinde das Projekt weiter verfolgt. Es ist nicht „mein“ Ding und geht nicht mit mir weg. Die Notwendigkeit bleibt, das Haus zu erneuern. Und der Ansatz bleibt, es als etwas zu bauen, das sich öffnet zur Stadtgesellschaft hin. Es ist sicher misslich, dass ich jetzt aus dem laufenden Prozess rausgehe. Aber wir haben für die Kontinuität einen externen Projektsteurer im Boot.
Was wird Ihr erstes Großprojekt in Bonn sein? Gibt es da schon eines?
Ich bin mit vielen Ideen und Vorschlägen in die Synode gegangen. Und ich bin willens, alle auch umzusetzen. Ich bin allerdings jetzt erst einmal gespannt darauf, zu erfahren: Was ist denn in der Synode und bei den Menschen in Bonn auf fruchtbaren Boden gefallen? Wo möchten die gerne anknüpfen? Eines der Grundthemen, die ich dort vorgestellt habe, ist, dass mir eine Kultur der Beteiligung an der Gestaltung Kirche wichtig ist. Und zwar über den Kreis unserer Gremienstruktur hinaus.
Also nicht nur Presbyterien, Hauptamtliche und ein kleiner Kreis von Ehrenamtlichen?
Genau, da werden wir hingucken, wie eine Leitungsstruktur aussehen kann, die integriert. Es gibt sehr viel mehr Menschen, Kompetenzen, Interessen, die hilfreich wären, Kirche zu gestalten auf die Zukunft hin.
Was bedeutet es für Sie privat? Werden Sie nach Bonn umziehen?
Da es eine kreiskirchliche Pfarrstelle ist, verbindet sich damit die Residenzpflicht. Das ist jetzt gerade das spannende Projekt: Wo werden wir leben? Da es keine Gemeindepfarrstelle ist, gibt es kein Pfarrhaus, das zur Verfügung gestellt wird. Da sind wir auf den freien Bonner Wohnungsmarkt geworfen.
Was bedeutet es für Ihre Familie?
Zwei Kinder sind aus dem Haus, die Dritte macht im Sommer Abitur, und unser Sohn hat dann noch zwei Jahre Schule. Meiner Frau kommt es entgegen, die arbeitet an der Bonner Musikschule, insofern verkürzt das ihre Arbeitswege.
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Was werden Sie vermissen?
Als Superintendent bin ich nicht mehr Gemeindepfarrer, habe nicht meinen Ort, an dem ich regelmäßig auch Gottesdienste feiere mit den Menschen, mit denen ich sonst verbunden bin.
Was würden Sie am liebsten mitnehmen?
Es hat in all dieser Zeit immer ein unwahrscheinlich engagiertes und offenes Presbyterium gegeben. Das immer bereit war, neue Wege zu gehen und auch Rückschläge hinzunehmen. Es gibt eine engagierte Mitarbeiterschaft, sei es Kantorin Brigitte Rauscher oder die Jugendleiter, die Mitarbeiter im Büro. Ohne sie wäre das nicht möglich gewesen. Und das Dritte ist die Gemeinde an sich, das sind die unzähligen Ehrenamtlichen. Es gab immer Menschen, die Ideen hatten und an mich herangetragen haben. Und das ist vielleicht doch etwas, das ich mir zugute halte. Sie sind nie auf jemanden gestoßen, der gesagt hat: „Interessiert mich nicht.“ Die Leute kamen mit ihren Interessen zu mir, und wir haben zusammen überlegt:„Wie könnte das denn gestaltet werden?“ Dieses Engagement ist ein großer Schatz in all den Jahren gewesen.