Sankt Augustin – Der Duft von frischer Minze zog durch den Gemeinschaftsraum des Marokkanischen Kulturvereins Sankt Augustin, der seine Gäste mit Tee willkommen hieß. Dieses Begegnungstreffen war eine Premiere: Bislang nämlich war der Verein nicht in der Öffentlichkeit präsent. Das will der neue Vorstand ändern, in dem eine jüngere Generation den Ton angibt. Als Vorsitzender stellte sich nun der 38-jährige Ismail Ben-Haddou vor. Sein Vater hatte 2003 zu den Gründungsmitgliedern des Vereins gezählt.
Rainer Gleß, der erste Beigeordnete von Sankt Augustin, habe ihn ermuntert, sich stärker zu exponieren und zu vernetzen, sagte Ben-Haddou, der an der Fachhochschule Köln studiert hat, verheiratet und Vater von drei Töchtern ist. „Wir möchten einen offenen und transparenten Kontakt mit Ihnen“, erklärte der Geschäftsmann seinen deutschen Gästen. Während die marokkanisches süßes Mandelgebäck genossen, deutete Ben-Haddou eine bittere Geschichte an. „Aus unseren Reihen sind Menschen in das Fahrwasser des Extremismus gelangt, ohne dass wir sie abhalten konnten – weil wir es nicht bemerkt haben“, erzählte der Vorsitzende.
Verfassungsschutz beobachtete
So geriet, wie Dr. Peter Enzenberger vom Kommunalen Integrationszentrum des Rhein-Sieg-Kreises auf Anfrage später erklärte, der Verein unter Beobachtung des Verfassungsschutzes: Am Freitagsgebet hätten zwei Menschen teilgenommen, die anschließend nach Syrien ausgereist seien, um sich dem IS anzuschließen. Der Verein, der später davon Kenntnis erhielt, sei „aus allen Wolken gefallen“.
„Natürlich haben wir die Bedeutung unserer Rolle erkannt und darauf reagiert“, sagte Ben-Haddou. „Unsere Freitagspredigt wird immer von einer zweiten Person ins Deutsche übersetzt.“ Er selbst habe im vergangenen Jahr bei der Landeszentrale für politische Bildung an der Fortbildung für Imame und Multiplikatoren gegen gewaltbereiten Salafismus teilgenommen. „Ich plane, ähnliche Seminare in Sankt Augustin anzubieten.“ Und so will der Verein in seinem Zentrum nicht nur die muslimische Tradition weiterleben. Die Hilfe für Geflüchtete gehört zum Programm; denn auch für Syrer, Afghanen und Libyer ist die Adresse Am Engelsgraben eine Anlaufstelle.
Einerseits gibt es hier Arabischkurse für 100 Kinder, andererseits will man nun auch Deutschkurse für Zugewanderte sowie Computerseminare anbieten. Längst platzt das Zentrum mit seinen zwei Räumen aus allen Nähten. Deshalb hat der Verein nun die leerstehende Gaststätte „Zum Engel“ erworben; dafür wurden drei Jahre lang Spenden gesammelt.
Auf 140 Mitglieder ist der Verein angewachsen, wie Ben-Haddou erklärte. „Letztlich bilden wir, die wir hier geboren und aufgewachsen sind, eine neue Kultur, die mit der deutschen Rechtsordnung harmoniert.“ Als einzigartig lobte Antje Dinstühler, Leiterin des Kommunalen Integrationszentrums, die Kommunikations-Offensive des Vereins. Die Zusammenarbeit sei „sehr vertrauensvoll“, und man wolle den Verein dabei unterstützen, seine Strukturen auf eine professionelle Basis zu stellen. Ein Vorbild sei dabei die Kurdische Gemeinschaft im Rhein-Sieg-Kreis.
Solch einen Kontakt auf Augenhöhe wie mit den Marokkanern in Sankt Augustin wünsche man sich auch von Milli Görus und Ditib, betonte Polizeioberkommissar Jürgen Weißberg, Kontaktbeamter für muslimische Organisationen im Rhein-Sieg-Kreis. „Es ist bemerkenswert, dass Sie auf die Menschen zugehen, das nimmt sicher einiges von möglichen Vorurteilen oder Bedenken“, erklärte ein Zuhörer. Ein anderer empfahl, „positive Präsenz auch in Niederpleis zu zeigen, damit Sie nicht als Fremdkörper angesehen werden“.
Kinderflohmarkt geplant
Solchen Befürchtungen will der Verein mit einem Tag der offenen Tür begegnen. Auch ein Kinderflohmarkt sei geplant. Einen Informationsflyer des Kreises zum Thema Ramadan, der über die Verhältnismäßigkeit des Fastens und seine Vereinbarkeit mit dem deutschen Arbeitsalltag reflektiere, werde der Verein ebenfalls mitunterzeichnen, erläuterte Enzenberger.
An diesem Nachmittag allerdings zelebrierten die Gastgeber marokkanische Esskultur, wobei die Schöpferinnen des köstlichen Büffets unsichtbar blieben. Aber durchaus denkbar sei, dass auch die Frauen demnächst bei solchen Treffen präsent seien, womöglich in leitender Funktion, erklärte Beisitzer Brahim El Abdaoui auf Nachfrage.