Es sei bestimmt kein gutes Gefühl, immer zu denken, „dass Dir jemand zu Hause auflauert“, heißt es in einem Brief an einen Bürgermeister.
PolitikEingeschüchtert, angefeindet, bedroht – Politiker in Rhein-Sieg sind immer häufiger Hass ausgesetzt
In einem anonymen Brief, der am Dienstag per Post ans Hennefer Rathaus geschickt wurde, wurde Bürgermeister Mario Dahm offen Gewalt angedroht –weil der Stadtrat die Hundesteuer um zwei Euro im Monat erhöht hat. Bei der Mahnwache gegen Rechtsextreme zitierte der Bürgermeister aus dem Schreiben.
„Es ist bestimmt kein gutes Gefühl, immer zu denken, dass Dir jemand an irgendeiner Hausecke, in der Tiefgarage oder hinter jedem Strauch, ob zu Hause oder in der Stadt, auflauert und ein ‚persönliches Gespräch‘, das im Krankenhaus endet, sucht. Gerade jetzt in der Karnevalszeit ist es besonders gefährlich“, heißt es darin.
Brief ist nicht erste Gewaltandrohung gegen Hennefer Bürgermeister
Er lasse sich nicht einschüchtern, erklärte Dahm bei der Mahnwache, sagte aber auch: „Wir müssen aufpassen, wo unsere Demokratie hinsteuert.“ Im Gespräch mit der Redaktion bekräftigte Hennefs Bürgermeister seine Einstellung erneut. Und er berichtete, dieser Brief sei nicht die erste Gewaltandrohung gegen ihn: „Es ist schon häufiger vorgekommen.“
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Die Polizei sei bereits zuvor einmal im Rathaus gewesen, habe Präventionsstrategien vorgestellt. Vieles davon sei für ihn nicht infrage gekommen, sagt Dahm: „Wenn man als Bürgermeister Angst hat, unter Leute zu gehen, dann kann man den Job nicht machen.“ Gleichzeitig wisse er natürlich, dass es bereits Anschläge auf Amtskollegen und -kolleginnen gegeben habe.
In der Bürgermeisterrunde, die einmal im Monat im Rhein-Sieg-Kreis zusammenkomme, werde die Problematik erörtert. Er sei kein Einzelfall. Auch Verwaltungsangestellte und in der Lokalpolitik Engagierte würden bedroht und beschimpft. Daher sei die Stadt Hennef dem NRW-weiten Netzwerk „Sicher im Dienst“ beigetreten, auch die Ratsmitglieder seien eingebunden worden, „damit sie merken, sie sind nicht allein. Man findet ja eh kaum noch Leute, die das Ehrenamt ausüben wollen, weil sie unschöne Entscheidungen treffen müssen“, so Dahm.
Ruppichteroths Bürgermeister brauchte bei öffentlichen Veranstaltungen Polizeischutz
Ruppichteroths Bürgermeister Mario Loskill kann die Gefühlslage seines Amtskollegen gut nachempfinden. 2016 sei er per Mail von einem Rechtsradikalen bedroht werden, musste sich bei öffentlichen Veranstaltungen zur Unterbringung Geflüchteter von der Polizei zu seinem Auto eskortieren lassen. „Die Androhungen haben mich schwer mitgenommen“, sagt Loskill rückblickend.
Generell würden die Anfeindungen immer mehr ins Persönliche gehen. So sei seine Frau im vergangenen Jahr inmitten der Debatte um die Grundsteuererhöhung im Supermarkt angefeindet worden. „Unsere Familie hat darunter gelitten, das hat uns belastet, ging uns nahe“, schildert Loskill.
So schlimme Drohungen wie seine Amtskollegen hat Niederkassels neugewählter Bürgermeister Matthias Großgarten (SPD) bislang nicht erhalten. Doch auch er beobachtet, dass sich die überwiegend ehrenamtlich tätigen Politikerinnen und Politiker immer häufiger Anfeindungen und Beschimpfungen ausgesetzt sehen – mit unmittelbaren Folgen für die politische Kultur.
„Unser Ziel ist es ja, unsere politischen Entscheidungen und die Gründe für unser Handeln zu kommunizieren und in den Diskurs mit den Bürgerinnen und Bürgern zu gehen“, sagt Großgarten. „Doch aus Furcht vor Anfeindungen und Bedrohungen überlegen sich viele Politikerinnen und Politiker immer häufiger, wie intensiv sie noch kommunizieren.“
Ehrenamtler in der Lokalpolitik zu finden, wird immer schwieriger
Auch die Bereitschaft politisch Interessierter, sich politisch intensiver zu engagieren, etwa bei den im kommenden Jahr anstehenden Kommunalwahlen, dürfte angesichts von Shitstorms und Beleidigungen zurückgehen, befürchtet er. „Jeder, der über so ein Engagement nachdenkt, muss nur zehn Sekunden entsprechende Posts bei Facebook lesen, dann war es das mit der Idee vom politischen Engagement.“
„Wir merken schon länger, wie schwierig es ist, Ehrenamtler für politische Arbeit beziehungsweise für die Übernahme von politischen Mandaten zu finden“, bestätigt auch Dano Himmelrath, Mitglied des Kreistags und Vorsitzender der Niederkasseler CDU-Ratsfraktion. Er hat sich nach eigenen Angaben als Fußballer, der von Hunderten gegnerischer Fans auch schon mal ausgepfiffen, beleidigt oder mit Bierbechern beworfen wurde, ein dickes Fell zugelegt. „Das beschränkt sich ja aufs Spiel“, sagt Himmelrath.
„Wenn man aber jetzt mit seiner siebenjährigen Tochter an der Hand durch einen Einkaufsmarkt geht und von jemanden angesprochen wird, was man doch für ein ‚dreckiges Arschloch‘ sei, und dass man sich ‚auf Kosten des Volkes die Taschen vollmacht‘, so hat das eine andere Qualität und das macht dann auch etwas mit einem.“ Er sei froh, dass seine Familie bei Facebook nicht sonderlich aktiv sei und vieles deshalb gar nicht mitbekomme. „Sonst müsste ich mir wohl ein anderes Ehrenamt suchen.“
„Wanted“-Plakate mit den Gesichtern Troisdorfer Politiker hingen im Supermarkt
Morddrohungen habe sie noch nicht erhalten, berichtet Angelika Blauen, für die Troisdorfer Grünen seit Jahrzehnten im Stadtrat aktiv. „Aber es gibt Vorstufen“, sagt sie, spricht vom „Hass, der sich über uns entlädt.“ Regelrecht bombardiert mit Schmähbriefen wurden auch Angehörige anderer Fraktionen, berichtet Blauen. Zur Prüfung sei nun die Staatsanwaltschaft eingeschaltet.
Als „bedrohlich“ empfand die Grünen-Politikerin Plakate, die eines Tages in einem Troisdorfer Supermarkt hingen. „Wanted“ hatte der Urheber über die Fotos einzelner Ratsmitglieder geschrieben. Beschimpft wurde Blauen im Wahlkampf 2020 in einem Brief, den sie eines Tages in ihrem privaten Briefkasten fand. „Da hatte ich Angst“, gibt sie zu.
Vor allem aber ist Angelika Blauen in Sorge um die Zukunft der Demokratie. „Wenn das so weitergeht, findet man niemanden mehr, der sich für diese ehrenamtliche Tätigkeit bereiterklärt“, befürchtet sie. Sie habe „Angst, dass vernünftige Leute nicht mehr dazu bereit sind“. Dabei lebe die Demokratie auch von der Arbeit vor Ort. „Politik ist immer Kompromiss“ betont sie. „Und dazu sind, glaube ich, ganz viele nicht mehr bereit.“