Ruppichteroth – Der steile Anstieg zur Burg Herrnstein führt über grob behauene Steine durch einen Bogen mit hölzernem Tor, vorbei an gusseisernen Kanonen und über eine enge Wendeltreppe den Turm hinauf. Ein Ambiente wie im Märchen. Maximilian Graf von Nesselrode bittet zum Tee in den Forstbetrieb. Auf dem runden Tisch in seinem Büro stapeln sich Papiere. Der Schriftkram lässt ihn seufzen: „Da muss ich besser werden.“ Nach dem frühen Tod seines Vaters mit 64 Jahren hat der damals erst 32-Jährige die Nachfolge angetreten. So, wie es vorgesehen war. Wie lebt es sich mit diesem großen Erbe als Burgherr in der 18. Generation?
Auf dem Anwesen aufgewachsen
Sicher, ein großes modernes Einfamilienhaus wäre in vielem bequemer, sagt der vierfache Vater mit leisem Lächeln. „Man müsste die Kinder nicht so viel suchen.“ Doch der denkmalgeschützte, trutzige Bau als Wohnsitz sei einfach „besonders, auf seine Weise schön“. Vor sechs Jahren, nach dem Tod seines Vaters Adolf Graf von Nesselrode, kam er zurück dorthin, wo er aufwuchs mit seinen drei Geschwistern; hier spielte er im Park rund um die Burg und im Wald, mit den beiden Hunden. Er ging zur Grundschule nach Winterscheid, kickte beim ansässigen Turn- und Sportverein. Eine recht normale Jugend und doch außergewöhnlich: „Wo gibt es schon eine 800 Meter lange Eisbahn zum Schlittschuhlaufen?“
Besichtigung der Außenanlagen möglich
Burg Herrnstein ist benannt nach den Herren „vam Steyne“, die den Bau auf einem Bergsporn über dem Bröltal initiierten. Durch die Heirat von Sophia vom Stein gelangte die Burg Ende des 14. Jahrhunderts an die Herren von Nesselrode zu Ehrenstein.
Die Außenanlagen der Burg können jeden ersten Samstag im Monat ab 11 Uhr besichtigt werden. Am 2. und 16. Dezember wird zudem jeweils von 9 bis 13 Uhr Wildfleisch aus den eigenen Wäldern verkauft. (coh)
Seit 1435 leben die von Nesselrodes im Bröltal. Zum Familienbesitz gehört nicht nur das mittelalterliche, seit der Grundsteinlegung Mitte des 14. Jahrhunderts mehrfach umgebaute Haupthaus und etliche frühere Stallungen und Gesindewohnungen; der „junge Graf“, wie der hoch aufgeschossene, stets stilvoll gekleidete Max von Nesselrode in Ruppichteroth genannt wird, besitzt auch viel Wald, der sich über die Grenze der Gemeinde Ruppichteroth hinaus erstreckt.
Dessen Bewirtschaftung sei kein Selbstzweck, sondern stehe für die Nachhaltigkeit, „mit den Vorräten hauszuhalten, die man hat“. Das langsame Wachstum eines Baumes erlaube es nicht, den Umsatz schlagartig in die Höhe zu schrauben: „Wir können es uns nicht erlauben, alles abzuschneiden.“ Die Burg sei „identitätsstiftender Familienmittelpunkt“, sagt er, das Wissen, „woher man kommt“, biete feste Wurzeln, ebenso wie der katholische Glaube. Den Adel in Deutschland gibt es zwar schon seit 100 Jahren nicht mehr, dessen Kräfte aber wirken fort. Zum Beispiel die Verantwortung für den anvertrauten Besitz. Der Sohn wird als Erbe vom Vater ausgewählt, dürfe allerdings überlegen, ob er der nächste in der Reihe sein wolle, erläutert von Nesselrode.
„Die Fortsetzung dieser Arbeit wäre ungleich schwieriger, wenn man den Betrieb in jeder Generation klein schneidet.“ Die Nachfolge zu regeln ohne Familienzwist, das sei eine Herausforderung. Seine Geschwister, ein Bruder und zwei Schwestern, ebenfalls alle mit sehr guter Ausbildung, hätten die Entscheidung akzeptiert. „Wir haben es gut gemeistert, im Vertrauen, dass der Herrgott hilft.“
Familientradition fortführen
Der junge Mann will die Familientradition fortführen, „auch wenn das vielleicht antiquiert wirkt“. Ein Sohn soll erben, nicht seine Töchter, „weil das ungerecht wäre im Rückblick auf all die Generationen von Frauen, denen das ebenfalls verwehrt war“, sagt er nach kurzem Überlegen. Es klopft an der Tür. „Ja“, ruft er kurz, es klingt ein wenig barsch. Die Rolle des Patriarchen, er füllt sie aus, auch wenn sie nicht so ganz zu seinem jungenhaften Gesicht passen will, zu den Locken, die sich ungeordnet kringeln. Stimmig ist aber sein Outfit, Budapester Schuhe im Büro, Weste und Janker, feste Gummistiefel im Gelände, bei der Jagd. Er sei „ konservativ, im hoffentlich besten Sinne“, so Max von Nesselrode. Er könnte auch in Bonn, Köln oder im Ausland leben, hat aber mit dem Jet-Set der ehemals Adeligen ebenso wenig zu tun wie seine Frau, die ebenfalls aus einer Familie mit vielen Kindern und „langem Namen“ kommt, so umschreibt er den de jure abgeschafften Stand.
„Sie half mir beim Melken“
Als sie ihm erstmals auffiel bei einer Feier („Sie tanzte ausnehmend gut“), kannte er ihre Herkunft nicht. Später, als Jungverliebte, besuchte sie ihn auf einem Bauernhof, wo er neben dem Jura-Studium seine Ausbildung zum Landwirt machte: „Sie setzte sich neben mich und half beim Melken. Wer macht das schon, auch mit kurzem Namen?“ Dass seine Frau, eine Betriebswirtin, ihre Karriere hintanstellte für die Familie, das rechnet er ihr hoch an. Acht, sechs, vier und zwei Jahre alt sind die Kinder. „Wenn sie hätte weiterarbeiten wollen in Köln, hätten wir eine andere Lösung für die Kinderbetreuung gefunden.“
Dass das Paar dereinst auf Burg Herrnstein leben würde, das aber war nicht verhandelbar nach der Entscheidung des Vaters, der im Ort der „gütige Graf“ genannt wurde. „Mich gab's nur so.“
Mit Ruhe wolle er den Forstbetrieb mit seinen knapp 20 Angestellten weiterführen und auch das zweite noch vom Vater erworbene Landgut in Mecklenburg. Er wolle „Dinge gern anschieben“, baute ein Stromkraftwerk mit Turbine und Fischtreppe an der Bröl, plant eine Holzhackschnitzelheizung als Ersatz für die bestehende Ölheizung, eine Werkstatt für die Kinder, eine Wachtel-Voliere sowie – als größtes Projekt – Sanierung und Umbau des denkmalgeschützten Hofs unterhalb der Burg. „Auf die Baugenehmigung hat die Familie 45 Jahre gewartet.“
Fehlt ihm etwas? „Vielleicht der Sport.“ Er müsse Gymnastik machen, für den Rücken, sitze aber zu viel im Büro. Unvermittelt springt der Brandlbracken-Rüde Enzo auf den Schoß seines Herrchens – als wäre es das Normalste der Welt. Jedenfalls heute scheint es schon wieder nichts werden mit dem Sport.