Im Schutz der Nacht hat Oksana Lytvyniok vier Tage nach Kriegsausbruch mit ihren beiden Töchtern Kiew verlassen. In Wesseling sind sie angekommen.
UkrainekriegWie eine Familie ein neues Zuhause in Wesseling gefunden hat
„Der Donnerstag war ein ganz normaler Arbeitstag in Kiew gewesen“, beschreibt Oksana Lytvyniok (42) den 24. Februar 2022. Als Buchhalterin einer großen Firma habe sie online von zu Hause gearbeitet, als die Sirenen heulten und auch sie in den Keller musste. Das Unfassbare war passiert: „Kiew stand unter Beschuss.“ Es sei ganz schrecklich gewesen, sagt Oksana Lytvyniok.
Im Schutz der Nacht ist sie mit ihren beiden Töchtern vier Tage später raus aus Kiew. „Wir wollten zu Verwandten in die Westukraine“, berichtet sie. Ihr Mann habe sie gefahren. „Es war eine unwirkliche Situation.“ Überall auf den Straßen hätten Männer mit Gewehren gestanden. „Sie trugen keine erkennbaren Uniformen, wir wussten nicht, ob sie Russen oder Ukrainer waren.“
Es sollte dauern, bis sie sich wieder sicher fühlen sollten
Die Straßen seien auch voller Militärfahrzeuge gewesen, auch sie ohne jeden Hinweis auf die Nationalität. Die Soldaten hätten alle Autos und Menschen kontrolliert. „Wir hatten schreckliche Angst, nicht mehr aus Kiew rauszukommen“, sagt die 42-Jährige. Um die Kontrollen zu umgehen, seien sie über Nebenstraßen und Feldwege gefahren.
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Da ahnten Oksana Lytvyniok und ihre Töchter Sofiia (14) und Yevhenia (12) nicht, wie lange es dauern sollte, bis sie sich wieder sicher fühlen, in einem richtigen Bett schlafen und eine warme Mahlzeit zu sich nehmen konnten.
In der Westukraine habe ihr Mann sie überredet, der Kinder zuliebe Richtung Westen zu flüchten. Der Stau vor der polnischen Grenze sei endlos lang gewesen. Eine letzte Umarmung, ein letzter Kuss – dann sei sie mit den Kindern zu Fuß weiter. Niemand habe gewusst, ob die Familie jemals wieder beieinander sein würde.
Von Polen haben sie es nach Berlin geschafft und von dort nach Frankfurt
Oksana Lytvyniok schaut dankbar zu ihren Gastgebern Erika und Dieter Weidenbrück. Ohne etwas über Mutter und Töchter zu wissen, haben die Eheleute die drei in ihrem Haus in Wesseling-Keldenich aufgenommen und allen so das Gefühl von Sicherheit gegeben.
„Wir sind drei Tage nur gelaufen“, berichtet Oksana Lytvyniok von ihrer Flucht. Nachts habe sie mit den Mädchen auf kalten Bahnhöfen geschlafen. „Das war gefährlich, aber immer noch besser, als es aus Angst vor den Bomben im Keller in Kiew aushalten zu müssen.“ Schließlich hätten sie es von Polen nach Berlin geschafft und von dort nach Frankfurt.
Purer Zufall war es, dass die drei dort in einen Zug nach Köln einstiegen. Und dann erinnerte sich Oksana Lytvyniok an ihre ehemalige Arbeitskollegin Margarita Suwzow, die vor zehn Jahren nach Deutschland gegangen war und in der Nähe von Köln wohnt. „Ich habe Margarita dann am Bahnhof in Köln angerufen sie gefragt, ob sie mir helfen kann.“
Und die Kollegin konnte und wollte helfen. Sie kam noch in der Nacht aus Wesseling zum Hauptbahnhof, um Mutter und Töchter abzuholen. Und Suwzow war vorbereitet. Gleich nach Kriegsausbruch hatte sie in ihrer Nachbarschaft herumgefragt, wer Flüchtlinge aus der Ukraine bei sich aufnehmen könnte.
So kamen Dieter und Erika Weidenbrück ins Spiel. „Wir haben da gar nicht lange nachdenken müssen“, versichert Dieter Weidenbrück. Die Einliegerwohnung habe leer gestanden, die Tochter studiere in Berlin.
Unvergesslich bleibt ihm und seiner Frau der 10. März 2022, als es gegen Mitternacht bei ihnen klingelte. Vor der Tür stand Oksana Lytvyniok mit ihren Kindern – völlig übermüdet, durchgefroren und am Ende ihrer Kräfte. Nach einer heißen Suppe haben sie sich direkt hingelegt.
Erst am nächsten Tag lernte sich die Gastgeber und ihre Gäste kennen. Fast ein Jahr ist inzwischen vergangen. „Sie gehören längst zu unserer Familie, und wir sind wirkliche Freunde geworden“, betont Dieter Weidenbrück. Er und seine Frau bewundern ihren Ehrgeiz, Fleiß und ihre Stärke.
„Diese Familie ist eine große Bereicherung in unserem Leben“, sagt der 65-Jährige. Schnell hätten die drei sich eingelebt und die deutsche Sprache gelernt. „Der Sprachunterricht ist gut und macht mir Freude“, sagt die Ukrainerin. Keinen der wöchentlichen Termine lässt sie ausfallen. „Ich möchte ja auch möglichst schnell wieder als Buchhalterin arbeiten können.“
Ihre Töchter besuchen die Realschule. Bereits zwei Wochen nach der Ankunft erhielten sie den Schulplatz. „Sie sollen den deutschen, aber auch den ukrainischen Schulabschluss machen“, wünscht sich ihre Mutter. Oft sitzen die Mädchen deswegen nach Schulschluss noch am Laptop, um online am Unterricht in der Ukraine teilzunehmen. „Und dort gibt es immer sehr viele Hausaufgaben“, sagen sie. „Ich weiß, dass ich den Mädchen eine ganze Menge abverlange“, betont Oksana Lytvyniok.
Wann es zurückgehen kann, ist nicht absehbar. „Der Traum wäre ein großes Fest in einer friedlichen und freien Ukraine“, sagt die 42-Jährige. Und dann würde sie ihren Gastgebern gern die Schönheit ihrer Heimat zeigen.