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MesserkriminalitätExperten in Rhein-Erft wollen junge Kriminelle härter bestrafen

Lesezeit 5 Minuten
Das Foto zeigt eine freie Tankstelle bei Nacht.

Diese Tankstelle in Elsdorf war innerhalb weniger Tage zwei Mal überfallen worden.

Messer spielen bei Straftaten zunehmend eine Rolle. Ein 15-Jähriger soll dieselbe Tankstelle in Elsdorf zweimal hintereinander überfallen haben.

„Mann mit Messer am Heider Bergsee.“ „Mann mit Messer überfällt Tankstelle.“ „Mann mit Messer raubt Passanten aus.“ „Mann mit Messer überfällt Seniorin.“

In zunehmenden Maße muss die Polizei im Rhein-Erft-Kreis inzwischen Strafanzeigen schreiben, bei denen Menschen von mit Messern bewaffneten Tätern bedroht werden. In ihrem Online-Portal hat die Kreispolizeibehörde im vergangenen Jahr 33 Messer-Meldungen veröffentlicht – viele in Verbindung mit Fahndungen und einer Täterbeschreibung. In 2024 waren es bis Ende August 16 Fälle. Die Täter raubten Passanten auf der Straße aus, überfielen Senioren und Geschäftsleute und verstärkt auch Tankstellen.

Experten gehen von rund zehn Intensivstraftätern im Kreis aus

Erst kürzlich hat die Polizei einen 15-Jährigen stellen können, der in Elsdorf möglicherweise schon zum wiederholten Mal Mitarbeitende von Tankstellen mit einem Messer bedroht und ausgeraubt haben soll. Der Jugendliche ist polizeibekannt und einer von durchschnittlich zehn Intensivtätern im Rhein-Erft-Kreis. Intensivtäter sind solche, die bereits mehrfach durch Straftaten wie Diebstähle, Raub und Körperverletzung aufgefallen sind.

Festgenommen wurde der 15-jährige Tankstellenräuber jedoch nur vorübergehend. „Sollten die Ermittlungen zu einem hinreichenden Tatverdacht gegen den Jugendlichen führen und dieser angeklagt werden, gelten für ihn die Vorschriften des Jugendgerichtsgesetz“, stellt die Staatsanwaltschaft Köln klar. Der Strafrahmen der „räuberischen Erpressung“ fände insofern keine Anwendung. Je nach richterlicher Entscheidung müsse der Minderjährige mit einer Erziehungsmaßnahme oder einer Jugendstrafe rechnen.

Carlo Contessa ist Heilerziehungspfleger und Gründer und Geschäftsführer der Stabil GmbH 2016. Ziel der Institution ist, Intensivtäter wieder auf die gerade Bahn zu bringen.

Carlo Contessa (47) ist Heilerziehungspfleger und Gründer und Geschäftsführer der Stabil GmbH 2016. Ziel der Institution ist, Intensivtäter wieder auf die gerade Bahn zu bringen.

„Am schlimmsten ist, dass die Täter kaum Konsequenzen ihres Handelns zu erwarten haben – nicht von den zuständigen Behörden und erst recht nicht im Elternhaus “, kritisiert Carlo Contessa. Der 47-Jährige kennt das Klientel der Kinder und Jugendlichen, die glauben, sich nur mit einem Messer Respekt und Anerkennung verschaffen zu können. Der Heilerziehungspfleger ist Gründer und Geschäftsführer der Stabil GmbH 2016 mit Geschäftssitz in Hürth.

Ziel der Institution ist, Intensivtätern – sogenannte Systemsprenger – wieder auf den richtigen Weg zu verhelfen. Eigenen Informationen zufolge schafft die Stabil GmbH das zu etwa 80 Prozent. Die Kosten übernehmen in der Regel die jeweiligen Jugendämter. Vor zwei Jahren sorgte eine Systemsprengerin in Kerpen für Schlagzeilen, deren Betreuungsplatz die Stadt monatlich 85.000 Euro kostete.

Er möchte Tiere verletzen und zusehen, wie sie sterben.
Carlo Contessa

Zu den Kosten sagt Contessa jedoch nichts. Aber Systemsprenger bräuchten eine 24-Stundenbetreuung an sieben Tagen pro Woche, so wie auch der Elfjährige, für dessen Betreuung ein Jugendamt aus Nordrhein-Westfalen bei der Stabil GmbH angefragt hat: „Er möchte Tiere verletzten und zusehen, wie sie sterben“, beschreibt Contessa den grausamen Wunsch dieses Kindes.

„Nicht die Quantität, sondern die Qualitäten der Gewalttaten haben sich durch die verstärkten Messerangriffe verändert“, sagt der Heilerziehungspfleger. Vielen reiche es, ein Messer nur dabei zu haben. Doch er kennt auch Kinder und Jugendliche, die Menschen bedroht und auch verletzt haben. Solche „Messer-Kids“ gebe es in allen Nationalitäten und in allen Schichten der Gesellschaft.

„Messerangriffe haben zugenommen“, bilanziert die Untersuchung des Landeskriminalamtes. Demnach habe es landesweit im vergangenen Jahr rund 3500 Messerangriffe im öffentlichen Raum, Partyhotspots und Gastronomie gegeben. Landesinnenminister Herbert Reul sprach vor ein paar Tagen von einer Zunahme im Vergleich zum Vorjahr um 43 Prozent. 15 Menschen seien nach einem Messerangriff in NRW gestorben. Auffällig sei, dass die Täter meistens männlich und jugendlich seien. Etwa die Hälfte der Tatverdächtigen sei unter 21 Jahre alt. Rund 45 Prozent der Tatverdächtigen haben laut Innenministerium keinen deutschen Pass.

„Vor allem fehlt es an Sanktionsmöglichkeiten für Straftäter unter 14 Jahren“, sagt der CDU-Landtagsabgeordnete Gregor Golland aus Brühl. Er wünscht sich eine offene Diskussion über wirksame Instrumente wie geschlossene Erziehungsanstalten. Der Politiker ist zwar nicht der Meinung, dass das Alter der vollen Strafmündigkeit von 18 Jahren herabgesetzt werden sollte. „Allerdings sollte ab 18 nach Erwachsenenstrafrecht geurteilt werden.“

Der Gerechtigkeit und den Opfern sind wir es schuldig, hier Sanktionen zu verhängen
Gregor Golland

Ursprünglich sei ja auch gedacht gewesen, dass Heranwachsende zwischen 18 und 21 Jahren nur in Ausnahmefällen und bei Reifeverzögerung nach Jugendstrafrecht verurteilt werden. „Heute ist das aber die Regel“, sagt Golland. Das passe nicht in eine Zeit, in der jungen Menschen immer mehr Verantwortung zugetraut werde, etwa bei der Absenkung des Wahlalters auf 16 Jahre. Und: Sogar 13-Jährige wüssten, dass man keine Menschen töten dürfe, sagt Golland. „Der Gerechtigkeit und den Opfern sind wir es schuldig, hier Sanktionen zu verhängen, auch um kriminelle Karrieren zu verhindern“.

Das sieht Contessa ganz genauso. „Doch Eltern oder Erziehungsberechtigte reagieren auf die Straftaten ihrer Kinder oft überfordert und enttäuscht, die Behörden verweisen auf den Jugendschutz.“ Er habe mittlerweile das Gefühl, dass die Kinder diese Situationen bewusst ausnutzten und in vielen Familien in dem Glauben heranwüchsen, dass sie die eigentlichen Chefs seien und das Sagen hätten.

Der stellvertretende Vorsitzender der CDU-Landtagsfraktion Gregor Golland.

Der stellvertretende Vorsitzender der CDU-Landtagsfraktion Gregor Golland.

„Kinder und Jugendliche brauchen klare Ansagen, klare Grenzen für deren Einhaltung man sich als Eltern oder Erziehungsberechtigte, aber auch als Gesellschaft einsetzen muss“, sagt Contessa. Das sei oft hart und anstrengend und fordere Diskussionen, Debatten und mitunter auch Tränen – aber genau das sei Erziehung.

Diese ganz klaren Ansagen wünscht sich Contessa auch von der Gesetzgebung. „Alles, was in irgendeiner Form eine Waffe sein könnte, gehört nicht in die Hände von Kindern und Jugendlichen.“ Dafür brauche es keine Waffenverbotszonen, sondern ganz klare Vorgaben und Verbote, die auch konsequent und dauerhaft kontrolliert werden.

Diese Kontrolle müsse schon an den Verkaufsstellen anfangen. Doch die Gesetze seien oft zu schwammig. „Wie kann es sein, dass etwa ein Cuttermesser gar nicht als Waffe gilt?“, fragt er. Auch damit könnten Menschen verletzt werden. Als Hausherr kann Contessa Cutter- beziehungsweise Teppichmesser zwar in seinen Einrichtungen verbieten. „Doch wenn die Jugend darauf besteht, müssen wir sie ihnen beim Verlassen der Häuser zurückgeben.“