Erftstadt-LiblarPflege-WG hat erste Bewohner – Alternative zum Pflegeheim
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Erftstadt-Liblar – Es sieht ein bisschen aus wie in einer zu groß geratenen Ferienwohnung. Ein großer, heller Raum, Wohn- und Esszimmer in einem, mit Sofa, Esstisch und Sitzecke und Blick ins Grüne durch die große Fensterfront. An einer Wand die Küchenzeile. Dazu für jeden ein eigener Raum, Schlafzimmer, Rückzugsgebiet, Zuhause. Wer hier einzieht, bleibt, solange es geht. Denn es ist eine Wohngemeinschaft für pflegebedürftige Menschen, die in Liblar im Quartier am Stadtgarten entstanden ist.
Geschäftsführer Oliver Radermacher lobt das „innovative Konzept“, das die Münch-Stift-APZ GmbH mit ihrem „Wohnen plus“ genannten Projekt umsetze. Es sei eine Alternative zum Pflegeheim und in dieser Form bisher einmalig. Betreut werden die Mieter vom ambulanten Pflegedienst, jeder in dem Ausmaß, das nötig ist. „Hier gibt es mehr Pflege als zu Hause, aber weniger als im Heim“, sagt Radermacher. Die Bewohner entschieden sich bewusst, hier einzuziehen.
Nach 60 Jahren aus eigener Wohnung ausgezogen
Einfach ist diese Entscheidung nicht. „Ich habe geweint, als ich aus meiner Wohnung ausgezogen bin“, gesteht Hans Joachim Spieckermann, mit fast 90 Jahren der WG-Senior. 60 Jahre habe er dort gewohnt, aber zuletzt sei er allein nicht mehr zurechtgekommen. An diesem Vormittag sitzt er mit Gertrud Janser am Tisch und puzzelt. Und wenn er keine Lust auf Gesellschaft hat? „Dann ziehe ich mich auf die Couch zurück“, sagt Spieckermann. Janser bestätigt: „Und dann lassen wir ihn in Ruhe.“
Zentral in Liblar entsteht das Quartier am Stadtgarten. Außer der Wohngemeinschaft gibt es neuen Raum für 48 vollstationäre Pflegeplätze, 14 Tagespflegeplätze und 27 Wohnungen für betreutes Wohnen. Im Gebäuderiegel zur Carl-Schurz-Straße werden im oberen Geschoss öffentlich geförderte Wohnungen gebaut, unten sollen unter anderem eine Praxis für Physiotherapie und ein Zahnarzt einziehen. Gleichzeitig modernisiert die Münch-Stiftung die Pflegeeinrichtung am Münchweg, in der es 110 vollstationäre Plätze und zwölf Kurzzeitpflegeplätze gibt. Die Münch-Stiftung APZ GmbH ist eine Tochter der Stiftung Marien-Hospital Erftstadt-Frauenthal.
Auf dem Gelände am Stadtgarten werden außerdem 18 Eigentumswohnungen errichtet. Ein Café, das zum Stadtgarten hin gelegen ist, steht jedermann offen, nicht nur den Quartiersbewohnern. (uj)
Zu fünft leben sie derzeit in der neuen Wohngemeinschaft, die es noch keine vier Wochen gibt, zwölf Mieter sollen es werden. Klingt nach reichlich Konfliktpotenzial, schon allein, wenn es ums Essen geht. Dann ist Sandra Werkmeister gefragt. Sie ist leitende Präsenskraft in der WG und, wie sie strahlend versichert, „sehr glücklich“ mit ihren neuen Aufgaben. Ein einziges Mal habe man sich bisher nicht einigen können: Vier Leute wollten Milchreis zum Mittagessen, einer auf keinen Fall. Er war dann rundum zufrieden mit einer Dose Hühnersuppe.
Unterschiedliche Pflegekosten
Zur Miete in der WG zahlen die Bewohner derzeit 250 Euro Haushaltsgeld im Monat. Die Kosten der Pflege sind unterschiedlich, Radermacher geht davon aus, dass gegenüber einem Platz im Heim 400 bis 500 Euro im Monat gespart werden.
Gemeinsam kochen, gemeinsam essen, gemeinsame Fernsehabende – das ist nicht unbedingt einfach für jemanden, der die vergangenen Jahre allein gelebt hat. Doch bisher ist das Urteil der WG-Bewohner einstimmig positiv.
Radermacher zeigt einen weiteren Vorteil der Wohngemeinschaft auf: Wenn es einem der Bewohner irgendwann im Laufe der nächsten Jahre schlechter gehe, sodass er ins Pflegeheim müsse, brauche er nicht weit umzuziehen, sondern bleibe in seiner vertrauten Umgebung.
Um der Familie die Last zu nehmen
Thomas Buschwa ist mit 47 Jahren das „Küken“ in der WG. Vor sechs Jahren erfuhr er, dass er Multiple Sklerose hat. Mittlerweile sitzt er im Rollstuhl. Von dem Projekt habe er in der Zeitung gelesen und sich gleich am nächsten Tag erkundigt. Sein Umzug nach Liblar war ein ungleich größerer Schritt als bei seinen Mitbewohnern: Buschwa ist verheiratet und hat zwei Töchter, 20 und 14 Jahre alt. „Ich habe eine Last von der Familie genommen“, begründet er seine Entscheidung.
„Es ist ein neuer Lebensabschnitt, und ich habe mich lange damit auseinandergesetzt“, erzählt Buschwa mit beeindruckender Offenheit. Er und seine Krankheit hätten immer im Mittelpunkt gestanden, jetzt solle die Familie ihr eigenes Leben führen. Tatsächlich sei er jetzt mobiler als früher, mit dem Elektrorollstuhl könne er zum Einkaufen fahren und auch zum Rathaus. Er ist im Behindertenbeirat der Stadt engagiert.
Das Zusammenleben mit den Älteren finde er bereichernd, er lerne viel von ihnen, sagt er. Und gibt doch zu, dass er es schön fände, wenn noch ein paar jüngere Leute einzögen.