Karlsruher Richter gehen weiterhin von versuchtem Mord aus. Möglicherweise fällt die Strafe in der Neuauflage anders aus.
Bundesgerichtshof kassiert UrteilProzess um fast verhungerte Alina aus Bergheim wird neu aufgerollt
Weit über den Kreis hinaus ging der Schock über die Nachricht, dass im August 2020 in Bergheim ein kleines Mädchen im Kreis seiner Familie fast verhungert wäre. Die Richter der 11. Großen Strafkammer am Kölner Landgericht hatten nach einem Prozess mit vielen emotionalen Zeugenaussagen die Mutter des Kindes wegen versuchten Mordes und der Misshandlung von Schutzbefohlenen zu einer Haftstrafe von neun Jahren verurteilt.
Als mitschuldig sahen sie den Lebensgefährten der Frau, den sie zu sieben Jahren Haft verurteilten. Das geringere Strafmaß ergab sich daraus, dass er erst relativ spät Teil der problematischen Familienkonstellation wurde.
Nun wird der Fall wohl noch einmal aufgerollt werden müssen: Der Bundesgerichtshof in Karlsruhe hob das Kölner Urteil vom 31. Mai 2021 auf und entschied, dass der Prozess vor einer anderen Schwurgerichtskammer des Landgerichtes neu verhandelt werden müsse. Das betrifft allerdings nur das Strafmaß, die festgestellte Schuld der Angeklagten wurde nicht in Frage gestellt.
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Die Karlsruher Richterinnen und Richter sahen eine Verdeckungsabsicht, im ursprünglichen Verfahren als strafschärfend gewertet, nicht als zweifelsfrei erwiesen. Das Landgericht hatte festgestellt, dass die beiden Angeklagten nicht nur grausam gehandelt hätten – und damit bereits das notwendige Mordmerkmal erfüllten – sondern auch den Tod in Kauf nahmen, um vorherige Misshandlungen zu vertuschen. Diesen Punkt sah der BGH anders.
Verteidiger hatten die Neuaufnahme des Verfahrens angestrebt
Das Landgericht teilte mit, dass bis zur Neuaufnahme des Verfahrens nach grober Schätzung etwa ein halbes Jahr vergehen werde. Noch liegen der Karlsruher Beschluss und die Gründe dafür in Köln aber nicht vor.
Die Verteidiger des Paares, Markus Gebhardt und Marius Meurer, hatten gegen die Entscheidung der Kölner Richter Revision eingelegt. Anders als das Gericht gingen sie bis zum Schluss nicht davon aus, dass die zum Zeitpunkt des Urteils 24-Jährige und ihr 23-jähriger Partner das Kind vorsätzlich gefährdeten.
„Man muss viel mehr annehmen, dass es aufgrund einer völligen Überforderung aus grober Fahrlässigkeit zu dieser Situation kam“, so Gebhardt: „Meine Mandantin hatte zu keinem Zeitpunkt die Absicht, ihre Tochter zu töten. Es ist eine tragische Geschichte, in der es auch um fehlende Unterstützung geht.“
Erhofft habe er sich, dass das Gericht nicht länger von versuchtem Mord ausgehe, doch auch eine Neuverhandlung des Strafmaßes sieht er positiv: „Alles, was dazu führt, dass sie eine angemessene Strafe bekommt, ist von Vorteil.“
Dass seine Mandantin alles andere als gute Voraussetzungen für eine fürsorgliche Mutter-Kind-Beziehung hatte, hatte das Verfahren deutlich gemacht. Nachdem sie mit 17 schwanger geworden war, war sie auf sich selbst gestellt gewesen. Angehörige, die sie als Zuschauer der Verhandlungen unterstützt hätten, zu denen sie jeweils aus der Untersuchungshaft vorgeführt wurde, waren nicht zu sehen.
Nach der Geburt des Mädchens war die junge Frau eine neue Beziehung eingegangen, aus der ein Sohn stammt. Die Kölner Richter gingen in ihrer Urteilsbegründung darauf ein, dass anzunehmen sei, dass mit der Geburt dieses Jungen, der einer intakten Beziehung entstammte, die Mutter begann, ihre kleine Tochter lästig zu finden.
Zum mutmaßlichen Tatzeitpunkt lebte die Frau mit einem anderen Mann zusammen
Die Mutter des jungen Mannes, die dem kleinen Mädchen eine liebevolle Ersatzoma geworden sein soll, hatte geschildert, dass die Kleine immer schon sehr dünn und zerbrechlich gewesen sei und nicht habe laufen wollen: „Ich glaube schon, dass sie mit ihr überfordert waren.“ Zum mutmaßlichen Tatzeitpunkt lebte die Mutter mit einem anderen Mann, dem Mitangeklagten, zusammen.
In der Kita soll die Mutter gesagt haben, das Kind vertrage nicht alles. Verschiedene Personen gaben zu Protokoll, dass die Mutter ihnen gesagt habe, das Kind sei wohl krank, daher dünn und oft schlapp. Ob die junge Mutter das selbst glaubte oder ob sie mit solchen Aussagen ihr Umfeld manipulieren und auf den Tod des Kindes vorbereiten wollte, war einer der strittigen Punkte im Verfahren.
Katholische Kita strich das Essen, weil die Mutter das Geld nicht bezahlt hatte
Diese Frage warf auch ein fragwürdiges Licht auf die Institutionen, deren Aufgabe der Schutz des Kindes gewesen wäre: etwa die katholische Kita, die dem auffallend dünnen Mädchen das Essen strich, nachdem die in sozial schwachen Verhältnissen lebende Mutter das Essensgeld nicht bezahlte hatte.
Oder auch die Familienhilfe: Einer früheren dortigen Mitarbeiterin zufolge hatte es keine kontinuierliche Betreuung der Familie gewesen, obwohl der Verdacht auf beginnende Kindeswohlgefährdung bestand. Nicht zu vergessen einer Kinderärztin: Nachdem die Mutter vereinbarte Vorsorgeuntersuchungen nicht wahrgenommen hatte, wollte die Ärztin der Familienhelferin zufolge Termine nur noch gegen ein Pfand von zehn Euro vereinbaren, wodurch sie schließlich ganz auf der Strecke blieben. (mit dpa)