Bergisch Gladbach – Zu blutigen Zusammenstößen zwischen SA-Männern und Kommunisten war es auch an der Strunde schon im Zusammenhang mit den Reichstagswahlen vom Sommer 1932 gekommen. Zuvor (14. Juni) hatte Reichspräsident Paul von Hindenburg auf Betreiben der Notstandsregierung von Papen, die die NSDAP beschwichtigen wollte, das erst am 13. April erlassene SA-Verbot wieder aufgehoben. Die Folge war erneutes Aufflammen von Straßenkämpfen.
Für den 17. Juli 1932 hatte die NSDAP einen sogenannten „Deutschen Tag“ beantragt, wie er an diesem Tag reichsweit an vielen Orten stattfinden sollte. Vorgesehen waren Kundgebungen unter Teilnahme von 1000 SA-Mitgliedern in Bensberg und Märsche unter Musikbegleitung durch das gesamte Bensberger und Gladbacher Gemeinde- und Stadtgebiet beginnend an der Refrath-Brücker Ortsgrenze.
Die SA-Leute wurden von weither herangekarrt, denn die örtlichen Mannschaftsstärken reichten für solche Propagandaaktionen bei weitem nicht aus. Dennoch kamen laut der SPD-nahen Rheinischen Zeitung statt der Tausendschaft nur „gut gezählt 280 Röhmsoldaten“ (nach SA-Führer Ernst Röhm benannt) zusammen. Gewalt war eingeplant und in wüsten Drohungen einzelner auch bereits angekündigt. So wurde die Marschroute des SA-Sturms 16 aus Mülheim unter anderem in provokanter Weise durch die Arbeitersiedlung Wapelsberg gelegt, wie der Historiker Hans-Gerd Dick schreibt, wo viele Kommunisten lebten, die den braunen Aufmarsch mit Barrikadenbau beantworteten. Die von der SA angestrebten Tätlichkeiten mit zahlreichen Schuss- und Stichverletzungen blieben nicht aus, fünf Kommunisten wurden verhaftet. Zuvor war es in Bensberg vor dem Schloss, in dem sich damals eine Obdachlosenunterkunft befand, zu einem Zusammenstoß mit einem kommunistischen Bewohner gekommen, der die SA aus einem Fenster mit Steinen und einem Blumenkasten beworfen hatte.
Mit Stahlruten auf Zuschauer eingeschlagen
An der Ecke Buchholzstraße/Mülheimer Straße vor dem heutigen Sporthotel Klever hatte sich eine Menschenmenge versammelt, die den braunen Strom mit eisigem Schweigen vorbeiziehen ließ, wie die Rheinische Zeitung berichtete, die höchst kritisch das Verhalten von Polizei und Landjägern (erstere städtisch, letztere Gendarmerie des Kreises) beurteilte. Die war nämlich vorab marschiert, statt den Zug an der Flanke vom Publikum zu trennen. So kam es sofort zu einem üblen Handgemenge, als der Sprechchor „Heil Hitler!“ mit dem Ruf „Heil Moskau“ beantwortet wurde. Mit Stahlruten, Schlagringen und Revolvern bewaffnet sei die SA in die Zuschauerreihen gesprungen und habe drauflos geprügelt. Die Angegriffenen wehrten sich teilweise mit dem Messer. Es gab ein halbes Dutzend Verletzte, unterem anderem einen Armschuss, drei Kopfverletzte und zahlreiche Stichwunden. Die Rheinische Zeitung kreidete den Ordnungskräften an, mit den Nazis zu sympathisieren und einseitig gegen die Zuschauer vorgegangen zu sein.
Nach Hitlers Machtübernahme sollten jetzt die alten Rechnungen beglichen und der kommunistische Erzfeind zerschlagen werden. Der Reichstagsbrand in der Nacht auf den 28. Februar bot die formale Handhabe für die Ausrufung des Ausnahmezustandes, der bis Ende des Dritten Reiches nicht mehr aufgehoben wurde. In Bensberg wurden nach Listen, die bereits seit dem 18. Februar in den örtlichen Polizeiverwaltungen und Bürgermeisterämtern vorbereitet worden waren, in der Nacht auf den 1. März elf Kommunisten verhaftet, in Gladbach, wo etliche rechtzeitig untertauchen konnten, drei. Einige kamen bis Mai wieder frei, andere erst im Dezember 1933 beziehungsweise März 1934 – nach einer „qualvollen Odyssee“ (so der Historiker Dr. Johann Paul) von der Ex-Polizeikaserne am Bonner Wall über den Klingelpütz und die Arbeitsanstalt Brauweiler bis zu den Konzentrationslagern Sonnenburg (Frankfurt/Oder) und Papenburg (Emsland).
Fortan operierte die KPD, deren Mandate nach den Reichstags- und Kommunalwahlen von den Nazis einkassiert wurden, im Untergrund. Das schlug sich in Aktionen nieder wie dem Aufpinseln eines Schriftzugs „Nieder mit Hitler“ auf die Landstraße bei Immekeppel vor der Reichstagswahl am 5. März, was mit der Verhaftung von vier Bensbergern und einem Odenthaler endete. Am Pfingstsonntag (4. Juni) verstreute ein als SA-Mann getarnter Radfahrer Flugblätter mit Anti-Nazi-Parolen im Königsforst. Am 22. Juni wurden 1000 Handzettel vor Gladbacher Fabriktore geworfen, was zur Einlieferung von 22 Kommunisten ins Zuchthaus Siegburg führte. Trotz dieser heftigen Aderlässe setzte die kommunistische Parteileitung diese Aktionen fort, offenbar um weiter Flagge in der Öffentlichkeit zu zeigen. Und die Nazis kochten vor Wut über diese Nadelstiche, die sie offenbar als öffentliche Gesichtsverluste empfanden. Sie warteten auf ihre Stunde.
Am 28. Juni wurde das Werkstor der Firma Zanders mit Flugzetteln über und über beklebt. Das war der Auslöser der ultimativen Kommunistenjagd. Polizei und SA verschleppten in der Nacht auf den 29. Juni 29 Kommunisten in die stillgelegte Ziegelei Stella-Werk in Heidkamp (Ecke Bensberger Str./Richard-Zanders-Str.), deren ehemaliger Direktor eine alter NS-Parteigenosse war. Dort schaltete und waltete die SA, von der Polizei unbehelligt, bis zum 3. Juli und prügelte aus den Verschleppten Geständnisse heraus. Die im Umkleide- und Kantinenraum eingesperrten Gefangenen wurden zum Verhör in das Portierhäuschen gebracht. Wer nicht pauschal unterschrieb, wurde „in den benachbarten Ringöfen bestialisch misshandelt“, so Paul.
Enthemmte SA-Schläger nutzten die Chance, mit ihren zum Teil persönlich bekannten politischen Gegnern blutig abzurechnen, schlugen und traten mit genagelten Stiefeln, Knüppeln und Kohlenschaufeln auf die Gefangenen ein. Auch Häftlinge aus der ersten Verhaftungswelle wurden aus dem Siegburger Zuchthaus nach Heidkamp zurückgeholt. Ein Häftling, den man (fälschlich) verdächtigte, die Flugblätter auf seiner Schreibmaschine geschrieben zu haben, wurde lebensgefährlich verletzt. Zynischer Kommentar eines SA-Schergen: „Wenn er kaputt geht, hängt ihn auf, es bekommt ihn ja dann keiner mehr zu sehen.“
Nach Auflösung des Lagers wurden die Gefangenen entweder wegen untergeschobener Vorwürfe der Planung eines Umsturzes beziehungsweise Waffenbesitzes zu langjährigen Haftstrafen verurteilt – oder freigelassen, wobei ihnen absolutes Stillschweigen über die Vorgänge im Lager eingeschärft wurde.
SA-Kommando auf Folter-Tournee
Die Exzesse ließen sich vor der Öffentlichkeit nicht verbergen. Angehörige erschienen vor der Fabrik und versuchten, Auskünfte zu erlangen oder den Gefangenen Essen zu bringen. NS-Gauleiter Josef Grohé besuchte daraufhin das Lager und ordnete umgehend seine Schließung an. Doch die Gräueltaten wurden andernorts eifrig nachgeahmt. Zuerst forderte der Bürgermeister von Porz den Hauptschläger und zwei seiner Folterknechte an, um auch dort Massenverhaftungen und den Aufbau eines „Schutzhaftlagers“ nach Muster des Stella-Werkes am Hochkreuz bei Eil zu organisieren, wo ab dem 15. Juli bis zu 65 Männer schwer misshandelt wurden. Danach trieb das Prügelkommando sein Unwesen im Gefängnis von Wipperfürth „in derartig viehischer Weise“, wie Paul anmerkt, dass die Anwohner sich beschwerten.