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„Ans Herz gewachsen“Wie Familien in Bergisch Gladbach den ersten Besuch aus Butscha erlebten

Lesezeit 4 Minuten
Eine Familie steht mit ihrer Gastschülerin aus Butscha hinter einem mit Schotter beladenen Förderwagen auf dem Lüderich.

Unbeschwert wie ein „normaler“ Familienausflug: Fabian, Annika und Kea Schüren mit ihrer elfjähgien Gastschülerin Emilia aus Butscha auf dem Bergbauweg am Lüderich.

Eine Gastfamilie telefonierte in Bergisch Gladbach mit dem Vater der Gastkinder im Schützengraben vor Bachmut.

Gemeinsam kurbeln Annika aus Bergisch Gladbach und Emilia aus Butscha an dem kleinen Metallkasten neben dem alten Förderturm: Dann ertönt die Sage vom Schatz im Lüderich. Die beiden Mädchen hören zu: eine Geschichte aus längst vergangenen Zeiten.

Geschichten aus den aktuellen Nachrichten sind hingegen für sie beide in der vergangenen Woche ganz greifbar nah geworden – denn Emilia hat wie 19 Mitschülerinnen und -schüler für eine Woche den Krieg daheim in der Ukraine hinter sich lassen können und in Familien in Bergisch Gladbach gelebt.

Wir waren überrascht wie unbeschwert die Kinder gleich miteinander umgegangen sind.
Kea Schüren, Gastmutter einer Schülerin aus Butscha

Über das Leben zu Hause möchte die elfjährige Emilia nicht so gerne sprechen, als sie am Wochenende mit ihrer Gastfamilie, der befreundeten Familie Köhler und ihrer Deutschlehrerin, die bei Köhlers wohnt, auf dem Rösrather Bergbauweg den Lüderich hinaufkraxelt.

Lieber spricht sie darüber, was sie mit Annika verbindet: „Sie tanzt auch wie ich“, sagt Emilia und erzählt davon, wie sie mit Annika beim Training von deren Tanzgruppe Strunde-Pänz war. „Aber bei uns ist das Training härter.“

Kinder und Erwachsene sitzen und stehen an einer Tisch-Bänke-Garnitur und machen Picknick.

Picknick: Die Schürens mit der befreundeten Familie Köhler (Jörg und Anke mit Josefina und Emilia) und deren Gästen aus Butscha Deutschlehrerin Tetiana Rybakova (r.) mit ihren Kinder Tolik und Maria (v.r.).

„Wir waren überrascht, wie unbeschwert die Kinder gleich miteinander umgegangen sind“, sagt Annikas Mutter Kea Schüren. „Wir wussten, dass keine traumatisierten Schüler kommen würden, hatten aber doch gedacht, sie seien etwas bedrückter“, bekennt die Mutter und freut sich, wie die Kinder Richtung Adventure-Golf-Halle am ehemaligen Hauptschacht des Erzbergwerks auf dem Lüderich wetzen. „Vielleicht war aber auch einfach nicht so viel Zeit zum Nachdenken“, sagt Kea Schüren.

Mann von Deutschlehrerin kämpft seit mehr als einem Jahr vor Bachmut

Das bunte Programm, das die Schule und der Partnerschaftsverein Bergisch Gladbach – Butscha von der Stadtrallye über den Köln-Bummel bis zum Kletterwaldbesuch organisiert haben, sei jedenfalls gut angekommen bei den 20 Kindern und Jugendlichen aus Butscha – und den Kindern ihrer Gladbacher Gastfamilien.

Auch Maria (11) und Tolik (15), die Kinder von Deutschlehrerin Tetiana Rybakova, klettern mit auf den alten Förderturm auf dem Lüderich, um von oben den Kölner Dom zu sehen. Mutter Tetiana freut sich. Ihr Mann ist bei der Armee, kämpft bei Bachmut. Im Juni hat sie ihn zuletzt ein paar Stunden getroffen. „Die Kinder noch länger nicht“, sagt sie.

Eine Gruppe von Erwachsenen und Kindern steht neben Seilscheiben eines Fördergerüst auf dessen oberster Plattform.

Auch auf den Förderturm am ehemaligen Hauptschacht des Erzbergwerks auf dem Lüderich durften die Familien Köhler und Schüren mit ihren Gästen aus Butscha klettern.

Jeden Tag telefoniert sie mit ihm. Und bei jedem Wählen schwingt die Sorge mit, dass etwas passiert sein könnte. Am ersten Abend in Bergisch Gladbach holt sie ihre Gastfamilie ans Handy: Im Videotelefonat ist ihr Mann zu sehen, müde, in Kampfkleidung hinter der Front. Er bedankt sich, dass seine Familie jetzt in Bergisch Gladbach sein darf. „Eine fast surreale Situation“, sagt Gastmutter Anke Köhler tief beeindruckt.

Das was früher Probleme waren, sind heute keine mehr. So lange wir nur am Leben sind.
Tetiana Rybakova, Lehrerin aus Butscha, deren Mann bei Bachmut kämpft

Für Tetiana Rybakova ist daheim kaum noch etwas wie vor dem Beginn des russischen Angriffs auf die Ukraine. Dabei ist sie manchmal von sich selbst überrascht: Dass sie die Flucht mit den Kindern allein gemeistert hat, nach der Rückkehr selbst die von russischen Soldaten total verwüstete und verdreckte Wohnung wieder instandgesetzt hat, hätte sie vorher kaum für möglich gehalten.

„Das, was früher Probleme waren, sind heute keine mehr“, sagt sie mit fester Stimme. Ärger über den neuen Stundenplan zum Schuljahresbeginn oder Stress im Job — für sie heute kein Anlass mehr, sich aufzuregen. „So lange wir nur am Leben sind.“

Vor einer Woche sind die drei als Fremde zu uns gekommen, jetzt gehen sie als Freunde.
Anke Köhler, Gastmutter und Lehrerin an der Friedrich-Fröbel-Schule in Moitzfeld

Die Partnerschaft mit Bergisch Gladbach bedeute den Menschen in Butscha sehr viel, sagt Tetiana Rybakova und will alles dafür tun, die Begegnungen weiter auszubauen. „Das ist auch für die Kinder so wichtig.“

Anke Köhler, selbst Lehrerin an der Friedrich-Fröbel-Schule, nickt. Sie ist froh, dass sie mit ihrer Familie die Gäste aus Butscha aufgenommen hat: „Vor einer Woche sind die drei als Fremde zu uns gekommen, jetzt gehen sie als Freunde“, sagt sie. „Sie sind uns alle sehr ans Herz gewachsen und immer wieder in unserer neuen Siebener-WG willkommen.“ Dabei sei „etwas Schönes gewachsen“, das man auch pflegen müsse: „Für eine gemeinsame Zukunft.“

Weitere Berichte vom Besuch der Schülergruppe aus Butscha finden Sie hier und hier auf unseren Internet-Seiten.