Wie sich Schüler aus Butscha und Bergisch Gladbach bei einer Stadtrallye näher kommen. Der Krieg ist nur scheinbar weit weg.
Schüler aus der Partnerstadt ButschaEine Auszeit vom Krieg – in Bergisch Gladbach
Violetta staunt. Am Abend erst ist sie mit 19 ihrer Schulkameraden aus dem ukrainischen Butscha nach Bergisch Gladbach gekommen: mehr als 2000 Kilometer, über zerschundene Straßen und durch Luftalarm in der Ukraine. Jetzt steht die 16-Jährige mit ihrer gleichaltrigen Gastschülerin Laura und zwei Freundinnen aus Butscha vor dem Gladbacher Rathaus – und darf einfach nur Spaß haben. Bei einer Stadtrallye. Den Krieg daheim in der Ukraine eine Woche lang einmal hinter sich lassen.
Erste Rallye-Aufgabe: Ein Bild vor dem Rathaus, ohne dabei den Boden zu berühren. Kein Problem für die 16-Jährigen. Violetta und Laura zählen auf Deutsch bis drei, dann springen alle vier Mädchen gemeinsam in die Luft.
Ob sie neugierig auf Bergisch Gladbach seien, hatte die Schulleiterin an der Integrierten Gesamtschule Paffrath, die den Besuch der Schülergruppe aus Butscha mit organisiert hat, am Morgen wissen wollen. Nach ihrer Frage schaute Angelika Wollny in strahlende Augen: „Jaaa“, antworteten die 20 Schülerinnen und Schüler aus Bergisch Gladbachs ukrainischer Partnerstadt.
Erster Eindruck der Gäste lässt die Gastgeber von der IGP staunen
Der erste Eindruck der Gäste von der IGP ließ unterdessen die Schulleiterin staunen. „Das wirkt nicht wie eine Schule, sondern wie eine kleine Stadt. So groß“, sagt Jurii und ein ukrainischer Mitschüler ergänzt: „. .… und so modern.“ – „Das hören wir nicht so oft“, räumt Schulleiterin Wollny ein und schaut zu ihren Kollegen Nicole Jakoby und Andreas Ruigk, die den Besuch der Schüler aus Butscha vorbereitet haben. Die IGP „so groß“? Dabei hat die Partnerschule in Butscha noch 300 Schüler mehr als die 1300 Kinder und Jugendlichen, die die IGP besuchen.
„Aber unsere Schule ist wirklich kleiner“, sagt Deutschlehrerin Tetiana Rybakova aus Butscha, die bereits beim jüngsten Bergisch Gladbacher Hilfskonvoi in Butscha übersetzt hat. Nun hat sie die Schülergruppe zusammen mit ihrer Kollegin Iryna Kukushkina nach Bergisch Gladbach begleitet.
Einige Teilnehmer sind noch kurz vor der Reise abgesprungen, weil ihre Familien ins Ausland geflüchtet sind. „Aber wir haben alle Plätze schnell wieder vergeben bekommen“, freut sich Tetsiana Rybakova. Als Schulleiterin Angelika Wollny vom 50-jährigen Jubiläum der IGP am Freitag spricht und alle Schüler schon mal zum 100. Schulgeburtstag in 50 Jahren einlädt, schluckt Tetsiana Rybakova: „So weit können wir nicht denken, wir planen immer nur Woche für Woche“, sagt die Lehrerin aus dem Land im Krieg.
Bei der Stadtrallye am Nachmittag ist der Krieg scheinbar weit weg. Laura, Violetta, Sofia und Sofia sollen ein Bild von der Jüngsten und der Ältesten machen. Rasch vergleichen die 16-Jährigen ihre Geburtsdaten, dann nimmt Sofia Laura in den Arm, Violetta drückt auf den Auslöser, zeigt das Foto. Sofia seufzt glücklich: „Best friends“ (Beste Freundinnen).
Jugendliche aus der Ukraine haben anderen Blick auf das Leben
Jetzt noch ein Foto an der Villa Zanders und auch die nächste Aufgabe ist geschafft. „Nicht da langgehen, da schläft jemand“, rät Laura und führt ihre Gäste weg von dem Mann, der neben der Villa auf einer Parkbank liegt. Die Mädchen aus der Ukraine nehmen kaum Notiz von ihm. In einer Stadt, in der jeden Tag Tote von der Front ankommen und bestattet werden, ist der Blick aufs Leben ein anderer.
Der Blick auf die Partnerstaft, die seit vorigem Jahr ihre beiden Städte verbindet, ist unterdessen auf beiden Seiten gleich: Als es darum geht, am Platz der Partnerstädte ein Foto zu schießen, formen die Mädchen mit Händen und Armen ein Herz um den Schildermast, auf dem auch ein Wegweiser Richtung Butscha zeigt.
Vor dem Krieg geflüchtet und vor vier Monaten nach Butscha zurückgekehrt
„Ach wie süß“, sagt Violetta. Bis vor anderthalb Jahren konnte sie noch kein Wort Deutsch. Dann überfiel Putins Armee die Ukraine, und ihre Mutter floh mit ihr, ihrer Schwester und dem Hund nach Deutschland. „Wir haben in Oelde gelebt, ich bin da zur Schule gegangen und habe Deutsch gelernt“, erzählt die 16-Jährige. „Bis vor vier Monaten, da sind wir zurück nach Butscha, weil mein Vater nicht raus darf .“ Wie alle Männer im wehrfähigen Alter erhält auch er keine Ausreisegenehmigung aus der Ukraine.
Noch rasch ein Foto an Lauras Lieblingsplatz in der Stadtmitte („Keine Frage, das ist der Buchladen“), dann sind die vier Mädchen mit den Rallyeaufgaben durch – und haben noch Zeit.
Was über 2000 Kilometer, Grenzen und einen Krieg hinweg verbindet
Wo sie hinwollen? Laura hat eine Ahnung, zeigt den Weg zum schwedischen Bekleidungsladen – und liegt genau richtig. „Hatten wir auch in Butscha“, sagt Violetta, „aber als der Krieg kam, hat H&M bei uns geschlossen.“ Laura freut sich schon auf den Abend, dann will sie Violetta mit zum Training bei der DLRG nehmen, in der sie sich engagiert.
„Und am Freitag wollen wir noch auf einen Pferdehof, ich weiß, dass sie Pferde sehr mag, aber dass es in Butscha im Moment nicht möglich ist, reiten zu gehen“, sagt Laura.
Auch über 2000 Kilometer, Grenzen und einen Krieg hinweg gibt es einiges, was 16-jährige Jugendliche einfach verbindet ...
Das weitere Programm
Nach einem Eis am Montagnachmittag und Zeit in den Gastfamilien, geht's für die Schülerinnen und Schüler aus Butscha und ihre Gastgeber am Dienstag nach Köln.
Am Mittwoch folgt ein Besuch bei Bürgermeister Frank Stein, am Donnerstag ein Ausflug in einen Klettergarten und am Freitag steht die Jubiläumsfeier zum 50. Geburtstag der Integrierten Gesamtschule Paffrath an.
Am Wochenende ist dann noch einmal Zeit in den Gastfamilien, bevor die Kinder und Jugendlichen aus Butscha am Montag die Heimreise in die Ukraine antreten.