Kirche hat EigenbedarfGeflüchtete Familie in Bensberg findet überraschend neue Wohnung

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Ein Reihenhaus in Bensberg.

Die Dienstwohnung der katholischen Kirchengemeinde St. Nikolaus wird ab September für einen Priester benötigt. Weil deshalb eine ukrainische Familie ausziehen muss, gibt es Ärger.

Die Flüchtlingsbeauftragte bezeichnet die Entwicklung als Glücksfall. Nachbarn kritisieren die Kirche, der Pfarrer weist Vorwürfe zurück.

Die verzweifelte Suche nach einer Wohnung für die ukrainische Familie Artemenko scheint einen erfolgreichen Abschluss zu finden. Alla Artemenko (40), Tochter Tatjana (17), Sohn David (13) und ihre Mutter (71) haben Aussicht auf eine 83 Quadratmeter große Wohnung in der Engelbertstraße, nur wenige hundert Meter Luftlinie von ihrer bisherigen Unterkunft entfernt. Unterschrieben ist der Vertrag aber wohl noch nicht.

Wie berichtet, muss die Familie die seit zwei Jahren genutzten Räume der katholischen Kirchengemeinde St. Nikolaus Bensberg verlassen, da diese für ihre Dienstwohnung Eigenbedarf angemeldet hat. Im September soll dort ein Priester einziehen, der das Seelsorgeteam verstärken soll.

Kirche verlängerte den befristeten Mietvertrag für die Familie nicht

Dass die Kirchengemeinde das von Anfang an befristete Mietverhältnis für die Flüchtlingsfamilie aus diesem Grund nicht verlängern will, hatte Anfang Juni die Nachbarschaft Stahlhutstraße und An der Kirche auf den Plan gerufen. In einem Offenen Brief, der von 24 Personen unterzeichnet wurde, forderten sie die Kirchengemeinde auf, ihre Entscheidung zu revidieren.

Die Nachbarn zeigten sich irritiert über die Vorgehensweise, die die gut integrierte Familie verängstigt habe, die nun eine Unterbringung in einem Container befürchte. Zudem konterkariere das Verhalten die kirchliche Flüchtlingsinitiative „Aktion Neue Nachbarn“, hieß es im Schreiben weiter.

Die Wohnungssuche hatte unerwartet schnell Erfolg

Der unerwartet schnelle Erfolg bei der Wohnungssuche steht im Zusammenhang mit Valentino Bruno. Der Bensberger Gastronom ist nicht nur im Ort für seine vielfältigen Benefizaktionen und seine Spendenbereitschaft bekannt, sondern in seinem italienischen Restaurant ist auch Alla Artemenko beschäftigt.

Diese habe irgendwann weinend vor ihm gesessen und ihm ihre Nöte erzählt, berichtet der Wirt. „Und wenn ich helfen kann, dann helfe ich“, sagt er lapidar. Und weil der Zufall wollte, dass seine Tochter im September aus ihrer Wohnung ausziehen will, habe er die dann frei werdenden Räume ins Spiel gebracht.

Die Flüchtlingsbeauftragte hält die Wohnung für einen Glücksfall

Für Mechthild Münzer, Flüchtlingsbeauftragte der Pfarrgemeinde, die auch die Familie Artemenko betreut, ein absoluter Glücksfall: „Etwas Besseres hätte uns gar nicht passieren können“, sagt sie auf Anfrage. Sie habe die Informationen zur Klärung der weiteren Formalitäten an die Organisation Habitat weitergegeben, die auch im Kreisgebiet Wohnraum für Geflüchtete aus der Ukraine vermittelt. Besichtigt habe sie die Wohnung zwar noch nicht, weil sie gerade im Urlaub sei, so Münzer. „Aber wenn die Familie mit der Wohnung zufrieden ist, dann bin ich das auch.“

Tochter Tatjana habe die Räume, die frisch renoviert sein sollen, in Augenschein genommen und für gut befunden, bestätigt Alla Artemenko. „Ich habe trotzdem weiter Angst und viel Stress“, sagt sie, weil sie noch nicht sicher sei, ob es wirklich klappe.

Aus Verzweiflung dachte Ukrainerin an Rückkehr in ihre Heimat

Sie habe in ihrer Verzweiflung schon daran gedacht, wieder in die Ukraine zurückzukehren – trotz des Krieges dort. Aber das Wichtigste sei für sie die Zukunft ihrer Kinder. Und dafür sei es wichtig, dass diese nicht wieder die Schule wechseln müssten, sondern in Ruhe ihre Abschlüsse machen könnten.

Die emotionale Seite ist dann auch der Grund, warum der protestierende Teil der Nachbarschaft nun nicht mit der Situation versöhnt ist. Auch dann nicht, sollte es mit der Wohnung wie geplant klappen. Rechtlich sei der Vorgang unstrittig. Doch die Leitung der Kirchengemeinde St. Nikolaus habe in der Angelegenheit menschlich versagt, meint Markus Eckstein, Sprecher der Nachbarschaftsinitiative.

Nachbarn werfen Kirche „menschliches Versagen“ vor

Mit der Familie sei nicht ein einziges Mal gesprochen worden, „allgemein menschlich zu erwartende Umgangsformen“ seien nicht gewahrt worden, heißt es in einem Schreiben an Pfarrer Elmar Kirchner, der die Gemeinde St. Nikolaus kommissarisch leitet. Man dringt daher auf ein Gespräch mit der Gemeindeleitung. Ein Treffen sei aber bisher trotz mehrfacher Versuche nicht zustande gekommen, kritisiert Eckstein.

Die Vorwürfe weist Pfarrer Kirchner zurück. „Wir haben uns da mächtig reingehängt; die Wohnung ist ja nicht vom Himmel gefallen“, sagt er und verweist darauf, dass er bereits Anfang Juni erklärt habe, dass sich die Kirchengemeinde um eine Bleibe für die Familie bemühe und sich auch bereits eine Lösung abzeichne. „Nun gibt es eine verbindliche Zusage und wir sind sehr froh, diese Lösung gefunden zu haben“, so Kirchner auf Nachfrage.

Pfarrer lobt Flüchtlingsbeauftragte für ihren Einsatz

Besonders die Flüchtlingsbeauftragte Mechthild Münzer habe „viel Gas gegeben“. Zudem habe man sich mit der Stadt darauf verständigt, dass die Familie Artemenko auch nach Ablauf des befristeten Mietvertrages noch bis Ende August in der Dienstwohnung bleiben könne.

Wie berichtet, hatte die Stadt die Nicht-Verlängerung des Mietvertrages zwar bedauert, gleichzeitig aber betont, wie dankbar sie der Kirchengemeinde sei, dass diese vor zwei Jahren bereitwillig Räume für Flüchtlinge zur Verfügung gestellt habe. Man sei dabei, so Kirchner, mit der Nachbarschaft „ein Gespräch zu klären“.

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