Picknick-SerieAn der Opladener Wupperwiese – Diskussion um Kürzungen im Kulturetat
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Leverkusen – An dieser Stelle finden Sie alle Teile der Serie.
Nicht nur an der Wupper lässt es sich prima picknicken – auch darüber. Unter der Picknickdecke, die wir auf der Brücke an den Opladener Wupperwiesen ausgebreitet haben, plätschert das Wasser.
Läuft jemand über die Brücke, lässt die Vibration den Kaffee in der Tasse leicht schaukeln. Also lieber setzen. Das fällt Henry Birwer leichter, als seinem Begleiter.
Der zweijährige Border Collie Bernie ist enttäuscht, dass er keinen Keks abbekommt und würde lieber weiterlaufen, doch sein Herrchen setzt sich und mit ein paar Streicheleinheiten lässt sich auch Bernie zu einem Zwischenstopp überreden.
Birwer ist ein durchaus bekanntes Gesicht in Opladen. „Eigentlich bin ich hier nur «les Henry»“, sagt der Musiker der gleichnamigen Bluesband. Musik ist sein Leben, er sammelt und handelt mit alten Gitarren. Und spielt sie natürlich selbst: „Im Oktober feiere ich mein 50-jähriges Bühnenjubiläum im Scala.“
Dass es das Scala gibt, darüber ist der Opladener sehr glücklich. Allerdings wundert er sich darüber, dass es dort meistens nur zu Comedyveranstaltungen voll wird. „Da treten so oft richtig gute Acts auf, und aus Leverkusen kommt kaum jemand da hin“, sagt Birwer.
In der Region würden die Angebote in Leverkusen häufig viel besser wahrgenommen. „Gerade auch bei den Jazztagen kommt ein Großteil des Publikums von außerhalb.“
Klar sei die Konkurrenzsituation mit Kulturveranstaltungen in Köln oder Düsseldorf sehr groß. „Aber das Gute liegt ja oft nah, nur kann sich das Leverkusener Publikum offenbar häufig schwer aufraffen.“
Die Serie
Auf der Picknickdecke haben wir in diesem Sommer viele nette Menschen getroffen, die uns erzählt haben, was sie in der Stadt bewegt. Die hellblaue Decke hat nun Grasflecken von unten und Kaffeeflecken von oben und kommt in die Waschmaschine – mit den Ferien endet auch der Picknick-Plausch.
Alle Folgen zum Nachlesen auf
www.ksta.de/picknicklev
Auch wenn es ihn selbst nicht betrifft, weil er keine Förderung aus dem Kulturetat der Stadt bekommt, ärgert „les Henry“ die aktuelle Diskussion um Kürzungen im Kulturbereich. Vor allem, weil er sie als ungerecht empfindet.
„In die Neue Bahnstadt wird viel Geld gesteckt, damit werden nur Großinvestoren begünstigt. Dafür müssen dann die Zwerge aus der Freien Kulturszene hinhalten. Das ist vom Ansatz her völlig falsch.“
Die Wupperwiesen
Entlang der Wupper kann man an einigen Stellen picknicken, als „Wupperwiesen“ ist der Grünzug bekannt, der sich ab der Düsseldorfer Straße flussaufwärts erstreckt. Es handelt sich um eine Auenlandschaft, die relativ naturnah gehalten werden soll. Tagsüber teilen sich Spaziergänger und Sonnenanbeter die Wiesen, vor allem an warmen Sommerabenden finden sich Gruppen von Jugendlichen ein. (stes)
Dass an einer Institution wie der Musikschule nicht gespart werden dürfe, sei für ihn vollkommen klar, beim Schloss Morsbroich habe er aber eine ambivalente Einstellung. „Mir scheinen viele Ausstellungen dort zu abgehoben. Ich finde man muss auch den kommerziellen Aspekt ein wenig beachten. Es muss ein gesunder Kompromiss gefunden werden aus künstlerischen Ambitionen und dem, worauf die Leute anspringen.“
Ein bisschen wie der Mix aus angesagter Comedy und anspruchsvoller Musik im Scala.
Als „Opladener Urgestein“ schätzt Birwer die aktive Kneipenszene im alten Stadtkern. Dass man hier keine vernünftige Kleidung mehr kaufen kann, sondern nur noch Billigläden existieren, nervt ihn. Noch mehr aber die neue Bahnhofsbrücke. „Die tut mir in den Augen weh.“ Sowohl optisch als auch funktional sei die Brücke ein Fehlgriff. Ein vernünftiger, behindertengerechter Tunnel hätte Birwer besser gefallen. „Da hieß es, man wolle Angsträume beseitigen, aber diese riesige Brücke ist auch ein Angstraum.“ Wer mitten drauf ist, könne auch nicht fliehen, wenn er im Dunkeln angegriffen werde.
„Mehr Licht“ – das wünscht sich auch Vitaly Ojogin für Opladen. „Sie wissen sicher, was ich meine.“ Er spielt auf die Flüchtlingssituation an. Er selbst fühle sich nicht bedroht, aber er kenne viele Familien, gerade mit kleinen Kindern, die sich seit einiger Zeit nicht mehr richtig wohlfühlen.
Er hat selbst eine Zuwanderungsgeschichte, kam 2002 als 17-Jähriger mit seiner Familie aus Usbekistan. „Ich bin sehr dankbar dafür, dass meine Eltern sich um meine Zukunft gekümmert haben und mich hierher mitgenommen haben“, erzählt der 31-Jährige.
Deswegen kann er nicht verstehen, warum einige der aktuell in Leverkusen aufgenommenen Flüchtlinge – nicht alle – sich hier „aufführen, als wären sie die Könige.“ Vielleicht sei das eine kulturelle Sache. Er habe damals viel Musik gemacht und sich direkt im Fußballverein angemeldet. „So habe ich schnell Freunde gefunden und innerhalb von drei Monaten gelernt, Deutsch zu sprechen.“
Rausgehen, die Sprache lernen, Leute kennenlernen, das sei für ihn das Wichtigste, wenn man in einem neuen Land ankommt. „Ich habe das früher auch bei Russen in meiner Schule beobachtet, die steckten immer zusammen in einer Gruppe und haben nur Russisch gesprochen“, erzählt Ojogin. So könne man in einem neuen Land nicht wirklich ankommen.
Dass er trotz eines vor Jahren gestellten Antrags noch immer keinen deutschen Pass bekommen hat, findet er nicht so schlimm, obwohl ihm der usbekische Ausweis am Flughafen schon manch prüfenden Blick beschert hat. „Es kommt ja darauf an, was für ein Mensch man ist, nicht, welchen Pass man hat.“ Und Ojogin ist von Herzen Opladener. Hier gefällt es ihm „viel besser als in jedem anderen Stadtteil.“
Wunderbare Natur
Zunächst hat er in Manfort gelebt, heute schätzt er die Möglichkeiten, die Opladen bietet und vor allem die Natur entlang der Wupper. Die Ruhe, die hier zumindest solange herrscht, bis die Abendstunden Scharen von Jugendlichen anziehen, tut ihm gut. Stress hat er schon im Job genug.
Der 31-Jährige ist Möbelverkäufer und Küchenplaner bei Smidt – „also jetzt Ostermann“, fügt er hinzu. Der Eigentümerwechsel ist eine große Umstellung. „Die Planung ist besser als vorher, aber es gibt ein neues Konzept, das ganze Programm ist anders, das muss man erstmal lernen.“ Und dann sind ja auch neue Kollegen dazu gekommen. Gibt das Ärger? „Na klar, immer!“ lacht Ojogin.
Das habe aber nicht unbedingt etwas mit den neuen Kollegen zu tun. „Es geht immer um den Umsatz, wer mehr verkauft, bekommt mehr Provision.“ Und dann kommt es eben auf den Charakter an: „Der eine ist hilfsbereit, der andere denkt sich: Was soll ich dem helfen, der ist mein Konkurrent.“
Es ist wie mit dem Pass: Ob alter oder neuer Kollege, am Ende zählt die Person, die dahinter steckt. Nicht das Etikett. (Linda Friese und Stefanie Schmidt)
Schlebuscher Wuppermannpark: Ein Zuhause mit Anschluss an den großen Nachbarn
In Schlebusch hat Nicole Kirsten das Beste aus beiden Welten gefunden. In Küppersteg aufgewachsen ist sie nach einem zweijährigen Abstecher nach Köln hier gelandet.
„Das Leben ist hier viel entspannter als in Köln, vor allem mit Kind“, sagt die Mutter der vierjährigen Antonia, die noch etwas schüchtern ist und sich auch mit Keksen nicht so recht auf die Picknickdecke im Schlebuscher Wuppermannpark locken lässt. Nicht nur entspannter als in Köln ist es hier, auch günstiger.
Die Nähe zu Köln
Als Nicole Kirsten ihren jetzigen Mann kennenlernte und der Wunsch nach einem Eigenheim aufkam, wurde die Kölner Innenstadt schnell von der Liste gestrichen. Angrenzende Gemeinden zog das Paar in Betracht – Hürth, Frechen – aber: „dazu hatte keiner von uns einen Bezug.“
Also doch Leverkusen. Nein: Schlebusch. Denn hier kommt auch wieder die große Nachbarstadt ins Spiel: „Wenn man mal einen freien Abend hat, ist man trotzdem schnell in Köln“, sagt Kirsten. In ihrer Nachbarschaft am Rande der Waldsiedlung wohnen viele ehemalige Kölner. „Das kommt auch irgendwie vom Herzen her“, sagt Kirsten.
Zwar ist man vom Bahnhof Mitte schneller am Dom, als mit der Linie 4. Aber durch die gemeinsame Stadtgrenze fühlt man sich in Schlebusch dennoch irgendwie näher dran. Wo die KVB hält, da ist ja praktisch noch Köln.
An Leverkusen schätzt Nicole Kirsten vor allem das Sportangebot, die ehemalige Leichtathletin und Volleyballspielerin ist im TSV Bayer Leverkusen aktiv, auch Antonia geht hier zum Turnen. „Jetzt beginnt die Zeit, wo die Eltern aus der Turnhalle geschickt werden, damit die Kinder ungestört turnen können, das finde ich gut.“ Doch nicht in allen sportlichen Bereichen ist Leverkusen so gut aufgestellt. „Die Anmeldung zum Schwimmkurs war ein Drama“, berichtet Kirsten.
„Im Familiencafé zu sitzen und in Ruhe einen Kaffee trinken, während die Kleinen spielen – das ist wirklich schön“, Pia Röder
Wochenendkurse im Medilev sind schwer zu bekommen, zumal Antonia gerne mit einer Freundin in den Kurs wollte. So saß Kirsten an einem Samstag um 0 Uhr, pünktlich zur Freischaltung der Anmeldeseite, vor dem Computer – ebenso wie die Mutter von Antonias Freundin, die in Urlaub auf Mallorca waren. „Erst bin ich gar nicht auf die Seite gekommen, dann ist die Internetverbindung abgebrochen“, erinnert sich Kirsten.
Ihre Freundin auf Mallorca hatte mehr Glück, sie kam durch, die Tochter war angemeldet, während sich bei ihr immer noch die Sanduhr drehte. „Dann hat die Mutter es geschafft, Antonia auch noch anzumelden – aus Mallorca.“ Dass man mitten in der Nacht 30 Minuten lang vor dem Computer sitzen muss, um einen Platz in einem Schwimmkurs zu bekommen, ist natürlich ärgerlich.
Viel schlimmer ist Kirsten allerdings die Suche nach einem Kindergartenplatz in Erinnerung geblieben. „Das war wirklich ein Spießrutenlauf“. Damals gab es den „Kitaplaner“, das neue Online-Anmeldeportal der Stadt, noch nicht. Das hieß für Kirsten: Zu zehn Kitas gehen, anmelden, gut Wetter machen. Und schließlich gab es doch keinen Platz. Also rief sie überall noch einmal an, teilweise mehrfach, bis endlich doch ein Platz auftauchte. „Das System zwingt einen dazu, den Kitas auf die Nerven zu gehen“, sagt Kirsten. Bis zur Anmeldung zur Grundschule haben die Kirstens nun erst einmal Ruhe und fühlen sich in Schlebusch wohl.
Oder fehlt etwas?
„Vor einem Jahr hätte ich gesagt: Ein Kindercafé. Aber das gibt es jetzt ja.“ Zwar ist Antonia jetzt schon fast zu alt für die Spieleecke im Café Klamauk, das Anfang des Jahres an der Bergischen Landstraße eröffnet hat. „Aber als ich damals noch mit Kinderwagen hier rumgelaufen bin, hätte ich mir wirklich gewünscht, dass es so ein Café gibt.“
Das Klamauk ist auch Pia Röders Highlight in Schlebusch. „Da zu sitzen und in Ruhe einen Kaffee zu trinken, während die Kleinen spielen – das ist wirklich schön.“ Doch das Café hat derzeit Ferien und nur bis 14 Uhr geöffnet – und so nimmt Pia Röder gerne unseren Kaffee an, während ihr zehn Monate alter Sohn Maxim mit einem Freund im Sandkasten spielt. In Leverkusen vermisst sie jetzt nur noch einen größeren Landen für Babyausstattung. „Da muss man immer nach Köln fahren.“ Mit der Kinderbetreuung hatte sie bislang Glück: Maxim geht seit kurzem zu einer Tagesmutter, bei der auch ihre Nichte war. „Über die habe ich gehört, dass dort ein Platz frei ist“, sagt Röder – so läuft das.
Ihre Freundin hat sich bereits durch den Kita-Planer gekämpft, um im nächsten Jahr einen Platz für ihren 16 Monate alten Sohn zu bekommen. „Eigentlich ist es ganz übersichtlich, besonders gut finde ich, dass genau angezeigt wird, welche Kitas es in jedem Stadtteil gibt.“ Gut fände sie, wenn es so etwas auch für Tagesmütter gebe. Namen bekommt man nur am Telefon von einer Mitarbeiterin im Jugendamt, und nur an zwei Tagen die Woche. „Und dann ist sie total schwer zu erreichen.“ Doch so ganz vertraut die junge Mutter dem Kita-Planer auch nicht: „Bei den Kitas, die mir besonders wichtig sind, werde ich schon noch einmal anrufen, ob sie die Anmeldung bekommen haben.“
So viele Anrufen wie Nicole Kirsten wird sie hoffentlich nicht machen müssen.
Opladen: Mehr Leben, aber auch mehr Ärger
Die Schlagbohrer dröhnen, Baustellenfahrzeuge wirbeln den sandigen Straßenbelag auf – obwohl es stellenweise schön grün ist, ist die Neue Bahnstadt Opladen noch nicht der ideale Ort für ein entspanntes Picknick.
Aber spannend ist es hier, wo so viel Neues entsteht. Und eine Meinung dazu hat jeder, den wir mit unserer blauen Picknickdecke im Grünstreifen „Grüne Mitte“ antreffen.
Ehsam Cheema ist mit der ganzen Familie da
Seine Tochter ist aus Pakistan zu Besuch, während sie mit seinen zwei und fünf Jahre alten Enkeln auf dem „Eisenbahn-Spielplatz“ spielt, setzt sich Ehsam Cheema mit seiner Frau Shahnaz und seinem Schwiegersohn Haseeb Buttal auf einen Kaffee zu uns.
Der Textilhändler ist 1977 aus Pakistan nach Deutschland gekommen, hat erst lange in Süddeutschland gearbeitet, bis es ihn 2013 nach Leverkusen verschlagen hat. Mit seiner Frau wohnt er in Quettingen. Jetzt, da die kleinen Enkel zu Besuch sind, kommen sie gerne in die Neue Bahnstadt.
„Der Spielplatz ist toll für die Kinder“, sagt Ehsam Cheema. Auch zum spazieren gehen findet er die Gegend schön, dann kann man beobachten, was wieder Neues entstanden ist. „Früher war hier nichts, das war alles tot, jetzt kommt Leben rein.“
Seine Familie ist gerne im Grünen und in diesem Bereich habe sich in Leverkusen in den letzten Jahren einiges getan. „Gestern waren wir auf der Balkantrasse, das ist auch sehr schön, ruhig und sauber.“
Ruhe und Sauberkeit – das sind wohl die größten Unterschiede zwischen der beschaulichen Schwäbischen Alb, wo er früher gewohnt hat, und dem Rheinland. „Hier sind viele Großstädte, es ist immer viel Rennerei“, sagt Ehsam Cheema. „Aber wir haben hier alles was wir brauchen, das ist gut.“
Vier Hochzeiten in Pakistan
Seine vier Kinder – ein Sohn und drei Töchter – sind mittlerweile alle verheiratet. Alle ebenfalls mit Pakistanern: Vier große Hochzeiten haben sie schon in Pakistan gefeiert. Den Schwiegersohn Haseeb Buttal habe seine Tochter ihm vorgestellt, berichtet der Vater, sie arbeitet in der deutschen Botschaft in Pakistan.
Die anderen Töchter sind mit Söhnen von Bekannten verheiratet. „Aber der Wille der Kinder stand immer an erster Stelle“, betont Ehsam Cheema. Ob sie selbst einmal dauerhaft nach Pakistan zurückkehren wollen? „Meine Familie wohnt dort, sie sagen immer: Kommt zurück“, sagt Shahnaz Cheema.
Aber so einfach ist es nicht, ihr Lebensmittelpunkt mit Beruf, Kindern und Enkeln ist nun mal in Deutschland. „Wenn man aus dem Ausland kommt, ist es wohl normal, dass man irgendwann zwei Heimaten hat“, sagt Ehsam Cheema. In welcher sie ihren Lebensabend verbringen wollen, das wissen sie noch nicht.
Das ausnahmslos positive Bild der Familie Cheema von der Neuen Bahnstadt können die Schwestern Edith und Anita Görtz nicht so teilen. Anfangs waren die Rentnerinnen begeistert, als sie von den Bauplänen hörten. „Die Häuser sind ja auch ganz hübsch, aber das ist mir alles viel zu eng“, sagt Edith Görtz und zeigt auf die umliegende Wohnbebauung.
Sie hatte auch gehofft, dass sich vielleicht ein paar Geschäfte oder Cafés ansiedeln würden. Auch die Annahme, dass die Neue Bahnstadt dauerhaft neue Jobs nach Leverkusen ziehen wird, zweifelt sie an: „Klar, das Baugewerbe profitiert gerade, aber das ist auch irgendwann vorbei und dann bleibt nicht viel.“
„Da hätte es schon viele schlimme Unfälle geben können.“
Besonders aber stört die beiden Schwestern der Durchgang aus dem Neubaugebiet in das bestehende Wohngebiet in Quettingen, wo sie seit über 60 Jahren leben. Zum einen sei dieser zu einem Treffpunkt für Jugendliche geworden. „Die hinterlassen dort Müll und gekifft wurde auch schon“, berichtet Edith Görtz.
Auch was den Verkehr angeht, sei die Ecke sehr problematisch. „Kinder darf man da nicht von der Hand lassen“, sagt Edith Görtz und ihre Schwester fügt hinzu: „Da hätte es schon viele schlimme Unfälle geben können.“ Die Stadt müsse die gefährlichen Stellen entschärfen, findet Edith Görtz, auch wenn die Gefahrsituationen häufig entstünden, weil Eltern unaufmerksam seien.
Probleme mit illegalem Müll
Überhaupt ist Edith Görtz auf die Stadtverwaltung nicht so gut zu sprechen. Als Anwohnerin wünscht sie sich eine bessere Aufklärung über die Bauvorgänge und ein offenes Ohr für Beschwerden, etwa über Müll, der zum Teil illegal in dem Container vor ihrem Haus lande.
„Wir ertragen das hier jetzt seit sechs Jahren, es wäre schön, wenn von der Stadt auch etwas zurückkommen würde.“
Die Schwestern spazieren täglich durch die Neue Bahnstadt. „In unserem Alter ist Bewegung wichtig“, sagt die 69-jährige Anita Görtz. Ihre Schwester ist nur ein Jahr jünger. „Ja, unsere Eltern waren fleißig“, lacht Edith.
Bei ihren Spaziergängen ist ihnen auch aufgefallen, dass der Eisenbahn-Spielplatz an der Grete-Hermann-Straße bei hohen Temperaturen stets wie ausgestorben sei. „Das ist ja auch kein Wunder, ich würde meine Kinder da in der Hitze auch nicht spielen lassen“, sagt Edith Görtz..
„Hier fehlt Schatten, das ist doch für Familien mit kleinen Kindern eine Zumutung“, stimmt Anita zu. Ein paar Bäume oder vielleicht ein Sonnensegel würden helfen. „Wer plant denn sowas?“
Oma Shahnaz Cheema sieht das nicht so problematisch. „Da ist doch Schatten“, sagt sie mit Blick auf die Pergola, die neben der grünen Holzlokomotive als „Bahnsteig“ steht. Getragen wird sie von den 20 Jugendstil-Dachstützen vom Bahnhof Opladen, die hier eine neue Heimat gefunden haben. „Und dass Spielplätze nicht überdacht sind, das ist doch normal“, sagt Shahnaz Cheema.
Auch das Gespräch mit den Görtz-Schwestern endet versöhnlich, denn eigentlich leben beide doch sehr gerne in der Gegend. Besonders gespannt sind sie, was passiert, wenn die Fachhochschule eröffnet.
„Wenn dann noch tausend Studenten und Lehrer in die Studentenheime ziehen, wird es hier auch nicht ruhiger werden“, sagt Anita Görtz, schmunzelt jedoch und fügt hinzu: „ Aber dafür wird es hier nie langweilig.“
Hitdorfer Rheinufer: Nicht von hier oder in Gedanke weit weg
Die Anziehungskraft des Hitdorfer Rheinufers strahlt weit über die Stadtgrenzen hinaus. „Ich bin gar nicht von hier!“ ist der meistgehörte Satz an unserer Picknickdecke, die wir dieses Mal ganz in der Nähe der Rheinfähre ausgebreitet haben.
Norbert Wildner und sein jüngster Sohn Leon sind zwar auch nicht aus Leverkusen – nach zwei Stunden Fahrradtour aus Bergisch Gladbach lehnen sie ihre Räder dennoch gegen einen Baum, um sich mit einem Glas Wasser auf unserer Picknickdecke zu erfrischen.
In Leverkusen ist Norbert Wildner ohnehin fast täglich: Er arbeitet bei Lanxess – „seit es Lanxess gibt, und vorher halt beim Bayer.“
Dass es nicht mehr alles „der Bayer“ ist, findet er schade. „Früher gehörten alle zusammen, jetzt sind es so viele verschiedene Firmen, die Verbindungspunkte sind einfach nicht mehr da.“ Früher habe man einfach mal einen Kollegen aus einem anderen Bereich ansprechen können, wenn man eine Frage hatte, alles Vergangenheit.
Dass die Verwaltung von Lanxess jetzt in Köln sitzt, ändert an seiner Arbeit nicht viel, aber der persönliche Kontakt sei einfach anders. „Aber die nächsten 15 Jahre schaff’ ich auch noch“ lacht Wildner – andere Dinge seien ohnehin viel wichtiger. Etwa, dass Leon im nächsten Jahr sein Abitur besteht. Seine beiden älteren Söhne sind bereits von Zuhause ausgezogen.
„Das ist natürlich eine Veränderung, aber es ist auch gut, wieder mehr Raum für sich und die Ehefrau zu haben.“ Auf die Frage, ob es ihn nerve, jetzt alleine mit den Eltern zu wohnen, schüttelt Leon brav den Kopf. Vater Norbert lacht: „Na klar nerven die Eltern, dafür sind wir doch da. Sonst kämen die Kinder ja nie aus dem Haus!“
Wohin ihre Räder sie heute noch tragen werden, wissen die Beiden nicht, erst einmal nehmen sie die Fähre über den Rhein – „und dann sehen wir weiter!“
Mittlerweile haben überall auf der großen Grasfläche Menschen ihre Campingstühle aufgestellt und blicken auf den Rhein, am Ufer füttert ein kleines Mädchen eine große Schar Schwäne. Der Rhein ist auch der Grund, warum Sonja Steinbach gerne aus Langenfeld nach Hitdorf kommt. „Hier geht eigentlich immer ein bisschen Wind und man kann schön spazieren gehen und ein Eis essen.“
Wind ist ohnehin ein Thema, das sie sehr beschäftigt. In ihrer unmittelbaren Nachbarschaft in Reusrath, direkt an der Grenze zu Opladen, sollen Windkrafträder aufgestellt werden. „Wir haben dagegen gekämpft“, sagt Steinbach „aber wir haben wohl verloren.“
Auch zum Einkaufen nach Leverkusen
Das Naturschutzgebiet haben sie als Grund angeführt, die beheimateten Fledermäuse, den Rotmilan und auch die Nähe zu Wohnhäusern. „Unter 400 Metern soll der Abstand teilweise liegen, in Bayern wäre das nicht zulässig.“
Auch zum Einkaufen fährt Steinbach lieber nach Leverkusen, als nach Langenfeld. Sie mag die Rathaus-Galerie, auch wenn dadurch viel Leerstand in der Leverkusener City entstanden ist. „Im Winter ist das sehr angenehm, alles unter einem Dach zu haben, und auch den Weihnachtsmarkt mag ich gerne.“
Überhaupt habe sich Leverkusen positiv entwickelt, auch die neue Bahnstadt gefalle ihr sehr gut. Steinbach arbeitet als Betreuerin für Demenzkranke, Leverkusen stufte sie als seniorenfreundlich ein. „Es gibt viele Menschen in dem Bereich, die wirklich tolle Arbeit machen.“
Eigentlich ist Steinbach gelernte Zahnarztassistentin, erst als ihre Mutter vor zehn Jahren an Demenz erkrankte, hat sie sich dazu entschieden, ihren Beruf aufzugeben und eine Ausbildung zur Demenzbegleiterin zu machen. „Ich war damals total hilflos, wusste nicht, wie ich mit der Erkrankung umgehen soll“, erinnert sich Steinbach.
Bereut hat sie den Schritt nicht. Ihre Mutter ist Anfang des Jahres gestorben und sie ist froh, dass sie sie begleiten konnte. Sie empfindet die Arbeit auch nicht als belastend. „Ich sehe immer, was die Menschen noch können, nicht was sie nicht mehr können – so muss man an die Sache rangehen.“
Jedem, der mit Demenz konfrontiert wird, rät sie: „So viel Hilfe annehmen, wie es geht!“ Die meisten Betroffenen und Angehörigen kennen weder ihre Ansprüche gegenüber der Krankenkasse noch die Betreuungsmöglichkeiten.
Pensionierter Lkw-Fahrer fühlt sich sicher in Opladen
Als die Picknickdecke wieder frei ist, verlässt Ernst Wirtz seinen Campingstuhl und kommt zu uns rüber. Er ist von hier – allerdings wäre er gerne woanders. „Wir haben einen Wohnwagen auf einem Campingplatz im Westerwald, gerade waren wir für drei Wochen dort, aber wenn es nach mir ginge, wären wir viel häufiger da.“ Aber seine Frau – „meine Chefin“, wie Wirtz sagt – zieht es doch immer wieder zurück nach Opladen, wo sie seit Jahrzehnten wohnen. „Zum Arzt gehen und so – als ob es dort keine Ärzte gibt“, schmunzelt Wirtz.
Ein Arbeitskollege habe das Paar einmal zu jenem Campingplatz mitgenommen, es gefiel ihnen, sie kamen wieder und nun besitzen sie selbst schon seit vielen Jahren einen Wohnwagen dort, der allerdings nur im Sommer bequem ist: „Ab Oktober wird das Wasser auf dem Platz abgedreht.“
Wenn es nach ihm ginge, würde der 69-Jährige auch ganz in den Westerwald ziehen. „Wir haben hier 70 Quadratmeter, die kosten rund 700 Euro Miete – dort kriege ich das für die Hälfte.“ Aber auch Opladen hat natürlich seine Vorteile. „Da bekommt man alles, was man so braucht.
Außer vernünftiger Kleidung. Da gibt es nur den Billigkrempel.“ Und von 100 Menschen, die ihm auf der Einkaufsstraße entgegenkommen „kenne ich mindestens 80.“ Das habe sich allerdings in letzter Zeit schon geändert. „Man sieht viel mehr Dunkelhäutige auf der Straße. Die tun ja keinem was, aber es fällt schon auf.“
Grundsätzlich fühlt sich der pensionierte Lkw-Fahrer schon sicher in Opladen. „Aber über die Bahnhofsstraße würde ich nachts um eins nicht unbedingt laufen wollen.“ Er habe von Bekannten gehört, die dort selbst tagsüber ausgeraubt wurden.
Mit der aktuellen Flüchtlingslage bringt er die Probleme aber nicht in Verbindung. „Ich weiß nicht, wo die herkommen, Gauner gibt es doch überall.“ Nur im Westerwald, da hat man seine Ruhe.
Neulandpark: Heimaturlaub
Christian Peluso lässt seinen Blick über den Neulandpark schweifen. „Das ist schon Heimat hier“, sagt er, ohne lange nach zu denken. Selbstverständlich ist das nicht: Auf seiner Kappe prangt der Schriftzug „Italia“ und sein Zuhause liegt seit 13 Jahren etwas südlich der taiwanesischen Hauptstadt Taipeh.
Doch aufgewachsen ist der Halbitaliener in Leverkusen – und hier macht er einmal im Jahr Urlaub, mittlerweile mit seiner Frau Selena und den beiden sieben und fünf Jahre alten Kindern. Die Kleinen toben auf dem Spielplatz, während sich die Eltern auf unsere Picknickdecke setzen und über die Unterschiede zwischen Taipeh und Leverkusen erzählen.
Klar, ein richtiges Brötchen gehört zu den ersten Dingen, die sich Christian Peluso im Heimaturlaub gönnt: „Sowas gibt es in Taiwan einfach nicht.“. Doch seiner Frau Selena fällt etwas anderes ein: „Trödelmarkt“ sagt sie.
Ein Zungenbrecher für eine Asiatin und dennoch in der Erinnerung vom letzten Deutschlandbesuch fest verankert. „Die Kinder fanden das so toll, durch die ganzen Spielsachen zu stöbern“, erinnert sie sich. „Und die Leute sind so großzügig und verschenken die Sachen fast.“
Trödelmärkte sind ein Highlight für die Urlauber
Umso größer war die Enttäuschung bei der Ankunft in Leverkusen: In der ganzen Stadt kein Trödelmarkt. Von Christian Pelusos Schwester erfahren sie von verschärften Auflagen für Trödel-Veranstalter (wir berichteten) – und werden schließlich erst in Bergisch Gladbach fündig. Selena Peluso mag die Stimmung auf Trödelmärkten, in Taiwan werden gebrauchte Waren höchstens über das Internet verkauft.
Das ist auch eine Frage der Einkaufsmentalität, sagt sie: „Deutsche kaufen viel mehr Sachen, die sie dann nicht mehr brauchen. In Taiwan kauft man meistens nur, was man wirklich braucht oder wirklich schön findet, und behält es dann auch.“
13 Jahre ist es her, dass Christian Peluso von seinem Bergisch-Gladbacher Arbeitgeber nach Taiwan geschickt wurde – zunächst einmal für vier Monate. Peluso gefiel es, er verlängerte seinen Aufenthalt immer wieder, verliebte sich in seine Kollegin Selena und blieb, auch nachdem die Firma geschlossen wurde.
Mit Kollegen machte er sich selbstständig und beliefert nun die Halbleiterbranche. „Das war nie eine klare Entscheidung: So hier bleibe ich jetzt, es hat sich einfach so entwickelt“, erzählt der gelernte technische Zeichner. Er hatte einfach keinen Grund, nach Deutschland zurückzukommen. „Aber sich komplett bei allen Ämtern abzumelden, dass war schon ein komisches Gefühl.“
Eine Rückkehr nach Deutschland ist nicht ausgeschlossen
Mittlerweile denkt er darüber nach, mit seiner Familie nach Deutschland zurückzukehren. Vor allem für die Kinder.
Zwar beschriebt er Taiwan insgesamt als kinderfreundlicher: Es gibt mehr Spielplätze, in Restaurants wird Kindern viel mehr geboten. „Aber das Schulsystem in Taiwan gefällt mir überhaupt nicht. Es wird wahnsinnig viel Druck auf die Kinder ausgeübt.“
Sein Sohn besucht die erste Klasse und muss schon jetzt zwei bis drei Stunden Hausaufgaben am Tag machen. Peluso überlegt, den Jungen auf eine Europaschule zu schicken – oder eben nach Deutschland zu ziehen.
Wohin genau, da ist er offen. „Für mich wäre Leverkusen natürlich schön, aber meine Frau möchte lieber eine internationalere Stadt mit großem Flughafen, Berlin oder Frankfurt vielleicht.“ Rassistische Bemerkungen gegenüber seiner Frau oder den Kindern habe er zwar in Leverkusen noch nicht erfahren, dennoch wäre ihm ein internationales Umfeld wichtig.
„Leverkusen hat sich gut entwickelt“
Murat Elmas findet Leverkusen genau richtig: „Man ist hier zentral, kommt schnell nach Köln und Düsseldorf, aber man hat auch seine Ruhe. Ich finde die Stadt toll.“ Murat Elmas ist Christian Pelusos bester Freund aus gemeinsamen Leverkusener Tagen.
Als sie sich im Neulandpark treffen, setzt sich auch Elmas zu uns auf die Picknickdecke. Er ist in Leverkusen geboren und aufgewachsen, seine Familie stammt aus dem türkischen Izmir. „Ich bin sehr froh, in Deutschland zu leben“, sagt er. „Aber ich sage auch: Ich bin stolz, Türke zu sein.“ Er wünscht sich, dass Deutsche – vor allem in Deutschland – das ebenso sagen würden. „Aber dann heißt es oft gleich: Das ist ein Nazi. Das ist Quatsch, natürlich kann man stolz sein, Deutscher zu sein. Ich finde, dass sollte man auch sagen können.“
Noch mehr ärgert ihn, die fehlende Protestkultur. „Der Lebensstandard bei uns ist in den letzten Jahren immer schlechter geworden.“ Wenn man das aber anspreche, hieße es immer: „Ach uns geht es doch noch ganz gut.“ Das sei die falsche Einstellung, wenn sich die Lage verschlechtert, müsse man schließlich etwas tun, bevor es so schlimm ist, dass alles zu spät ist.
„Nur weil es mir im Moment gut geht, heißt dass ja nicht, dass man sich keine Gedanken über die Situation machen soll.“ Dass Politiker vor Wahlen etwas versprechen, sich dann nicht daran halten und die Bevölkerung sich nicht beschwert, das stört Elmas.
Lieblingsort: Neulandpark
Die Lebensumstände mögen schwieriger geworden sein, auf die Stadt selbst trifft das aber nicht zu, findet Elmas: „Vom ganzen Umfeld her hat sich Leverkusen in den letzten zehn bis 15 Jahren positiv entwickelt.“
Einzig die Rathausgalerie gefällt ihm nicht – oder mehr der damit verbundene Verfall der restlichen Wiesdorfer City. „Ich finde es schlimm, dass man an eine Ecke etwas Neues baut und damit dafür sorgt, dass andere Ladenpassagen total aussterben. Das war nicht gut geplant“
Den Neulandpark findet er hingegen toll. „Das, was hier nach der Landesgartenschau geblieben ist, ist wirklich etwas für die Menschen, vor allem für Familien.“
Auch das Ehepaar Peluso einigt sich darauf, dass dies ihr Lieblingsort in Leverkusen ist. „Der Spielplatz ist toll und mir gefällt auch, das hier viel erklärt wird, damit bekommen die Kinder eine Verbindung zur Natur, das finde ich wichtig“, sagt Christian Peluso. So viel Platz für einen Park, das gibt es in Taipeh nicht.
Eigentlich findet er, dass Leverkusen sich in seiner Abwesenheit nicht sehr verändert hat. Nur eine Sache ist ihm direkt aufgefallen: „Die Baustellen auf den Straßen scheinen jedes Mal mehr zu werden.“