„Kreuz und quer durch Oberberg“ heißt unser Motto in den nächsten Monaten. Zum Auftakt ist der Weg das Ziel auf einer Wanderung: Reiner Thies läuft in vier Etappen von Radevormwald bis nach Rom in Morsbach.
Radevormwald – Unerwartet frisch ist es an diesem Morgen, als ich aus dem Auto steige. Kein Wunder, Radevormwald ist laut Eigenwerbung „die Stadt auf der Höhe“, mit mehr als 400 Metern über dem Meeresspiegel die höchstgelegene Kommune in Oberberg. Von nun an geht es für mich immer bergab.
Auf der ersten Etappe meiner Wanderung durch den Kreis werden mir noch eine zornige Ameise und ein singender Metzger begegnen, doch zunächst bin ich mit einer rastlosen Raderin verabredet. Ursula Mahler kennt die Temperaturschwankungen zwischen ihrer Heimatstadt und Gummersbach in umgekehrter Richtung. „Wenn ich in der Kreisstadt mit Schal und dicker Jacke auftauche, heißt es immer: Frau Mahler hat Winter.“ Als Kreistagsabgeordnete und Vizelandrätin ist sie ungezählte Male gen Süden aufgebrochen, um Radevormwald im Kreis zu vertreten und dafür zu sorgen, dass zusammenwächst, was erst seit 1975 zusammengehört.
Kurios: Das oberbergische Wir-Gefühl ist durch die Coronakrise zwangsweise verstärkt worden. Wohl noch nie hat der Landrat von Gummersbach so rigoros bis in den Norden hineinregiert wie zu Zeiten der für den Oberbergischen Kreis ausgesprochenen Seuchenschutzverordnungen. Und Ursula Mahler berichtet, dass mancher sie gefragt habe: „Wie kommt man denn überhaupt nach Gummersbach zum Impfzentrum?“
Mahler ist Vorsitzende des Heimatvereins und hätte mir gern das örtliche Heimatmuseum vorgeführt. Das ist derzeit geschlossen. Aber eine kleine coronakonforme Stadtführung ist drin. Wer noch nicht da war: Radevormwald ist einen Besuch allemal wert, allein wegen der vier (!) großen Kirchen, die hier im Umkreis von 500 Metern in den Himmel ragen. Natürlich wegen des hübschen Rokokogartenhauses, das als einziges weltliches Gebäude den großen Brand von 1802 überlebt hat. Und wegen des schönes Marktplatzes, im Sommer der Treffpunkt schlechthin.
Hier verabschiede ich mich von Ursula Mahler und mache mich auf den Weg. Hinterm Busbahnhof kreuze ich die B229 und wende mich nach links in die Bahnstraße. Jetzt geht es eigentlich immer der Nase nach, wir orientieren uns bis zum Ziel in Wipperfürth am Hauptwanderweg X28 des Sauerländischen Gebirgsvereins. Man kann nicht viel falsch machen, eine Wanderkarte oder -app dabei zu haben, schadet trotzdem nicht.
Nachdem ich die Stadt hinter mir gelassen habe, durchquere ich zunächst auf mehreren Kilometern etwas, das einmal ein Wald war. Die Holzerntemaschinen haben hier wie vielerorts in Oberberg eine Mondlandschaft hinterlassen. Die Borkenkäferseuche des vergangenen Jahres wird uns wahrscheinlich deutlich länger nachhängen als die Corona-Pandemie.
Bald kommt die Bevertalsperre in den Blick, an deren Westufer wir entlangwandern. Das große Wasserreservoir führt mir vor Augen, dass radikale Veränderungen der Landschaft durch den Menschen keineswegs ein neues Phänomen sind. Jedes Windrad nimmt sich gegen diese Anlagen recht bescheiden aus. Überall haben sich die dem Untergang geweihten Dörfer damals heftig gewehrt. Und doch würde heute wohl kaum ein Oberberger auf seine Talsperren verzichten wollen.
Quer durch den Kreis
Die Idee: Der Oberbergische Kreis wurde erst vor weniger als 90 Jahren aus der Taufe gehoben. In seiner heutigen Form ist er überhaupt nur etwas mehr als 45 Lenze jung, die meisten der hier lebenden Menschen sind älter. Ist Oberberg deshalb noch immer nicht mehr als eine Kopfgeburt der Kommunalverwaltung? Oder gibt es ein Wir- oder Hier-Gefühl? Haben die Corona-Beschränkungen daran etwas geändert? Seit mehr als einem Jahr nötigt die Pandemie die Menschen dazu, zu Hause zu bleiben. Ausflüge führen in die nahe Umgebung. Mit diesen Fragen hat sich Redakteur Reiner Thies auf den Weg gemacht, um das Oberbergische zu erkunden. Zu Fuß natürlich, damit er auch etwas mitbekommt von der Landschaft und ihren Bewohnern.
Die Route: „Von Rade nach Rom – eine Reise auf Schusters Rappen“ ist die Beschreibung einer Route betitelt, die der Gummersbacher Buchhändler Ulrich Osberghaus erkundet hat. Zu finden ist der Text in dem Führer „Wandern im Oberbergischen Land“, der 1990 in Osberghaus’ eigenem Verlag erschienen ist. Es geht von Nord nach Süd über rund 80 Kilometer durch den ganzen Kreis. Die vier Etappen starten und enden jeweils an oberbergischen Jugendherbergen. Diese sind zurzeit geschlossen, auch sonst gibt es derzeit keine Übernachtungsmöglichkeit für den Wanderer. Darum hat Reiner Thies darauf verzichtet, die Tour in einem Rutsch zu bewältigen, sondern sich nach jedem Abschnitt mit dem Bus zurück an den Anfangspunkt begeben.
Den Erholungswert der künstlichen Seen schätzen auch auswärtige Gäste, zumal in der Pandemie. Das Ausflugslokal „Zornige Ameise“, direkt am Talsperrenufer gelegen, darf derzeit zumindest außer Haus verkaufen. Der Mann an der Fritteuse ist darum ganz zufrieden: „Ich habe an schönen Tagen gut zu tun. Ich habe Bekannte in der Gastronomie, denen es viel schlechter geht.“ Mein Weg führt mich vorbei an weitläufigen Campingplätzen. Ist es nicht ein Privileg, dort zu wohnen, wo andere Urlaub machen? Nachdem ich das Gebiet der Stadt Hückeswagen gestreift habe, betrete ich an diesem Tag schon die dritte oberbergische Kommune. Die Neyetalsperre gehört zu Wipperfürth.
Dort haben sich zwei Rentnerpaare aus Solingen niedergelassen, die sich für eine Wanderung tiefer in den bergischen Süden vorgewagt haben. „Unsere eigene Gegend haben wir in den vergangenen Wochen bis zum Abwinken erkundet.“ Im Vergleich zur Eifel sei das gastronomische Angebot im Oberbergischen nicht so gut, bedauern die Solinger. Wegen Corona müssen sie sich ohnehin selbst versorgen.
Auf der Zielgeraden der ersten Etappe
Wir folgen nun dem Wipperfürther „Heimatweg. Eine Tafel informiert über das „Bergische Heimatlied“. Wer an der Hörstation kurbelt, kann es sich von Willy Schneider vorsingen lassen. Der gelernte Metzger aus Köln war in den 1950er Jahren ein großer Schlagerstar. Mit der sentimentalen Melodie im Ohr geht es in die Zielgerade der ersten Etappe.
Direkt neben dem Wipperfürther Marktplatz liegt der Busbahnhof, von wo aus ich mich zurück nach Rade chauffieren lasse. Im Bus ist Gelegenheit, die Landschaft noch einmal auf sich wirken zu lassen Ich merke: Sooo weit weg ist Radevormwald auch wieder nicht. Nicht von der Entfernung her und nicht von der oberbergischen Mentalität. Rade liegt nur etwas höher.