Oberberg – Die Redaktion erreichte der Brief einer Mutter einer zwölfjährigen Schülerin. Wir haben ihn zum Anlass genommen, bei Schulpflegschaftsvorsitzenden nachzufragen, wie es den Eltern geht nach einem Schuljahr, das geprägt war von Distanzunterricht, Quarantänen und viel Hin und Her.
„Der Frust ist groß, und ebenso groß ist die Sorge vieler Eltern“, weiß Anja Theis, die Vorsitzende der Schulpflegschaft der Gesamtschule Reichshof. „ Mein Sohn zum Beispiel ist seit Dezember nicht mehr in der Schule gewesen“, sagt Theis . „In der einen Woche Wechselunterricht nach den Osterferien hatte er das Pech, zur zweiten Gruppe zu gehören, die nicht mehr zum Zuge kam, weil alle wegen der hohen Infektionszahlen in Oberberg wieder zu Hause bleiben mussten.“
Mischung aus resignation, Erschöüfung und Wut
Hingehalten fühlten sich viele Eltern von immer neuen Ankündigungen aus der Politik, nach ein paar Wochen Lockdown werde alles wieder besser. Der Tenor sei inzwischen: „Lass die da oben mal reden, vor den Sommerferien ändert sich doch sowieso nichts mehr“. Eine Mischung aus Resignation, Erschöpfung und Wut höre sie aus Chats und Telefonaten mit Eltern heraus, die sich durch das jähe Ende des Wechselunterrichts nach nur einer Woche noch verstärkt habe, sagt Theis. Auch bei den Schülern. „Mein Sohn geht in die 8. Klasse, er arbeitet seine Aufgaben ab, aber ohne Spaß, ohne Ehrgeiz und hat das Schuljahr praktisch schon abgehakt. Unterricht lebt doch vom Austausch, und der ist per Video nicht möglich.“
Sicher, manche Kinder kommen mit dem Distanzlernen besser zurecht als andere, beobachtet Susanne Goße, Schulpflegschaftsvorsitzende der Sekundarschule Nümbrecht-Ruppichteroth. „Aber gerade in Fremdsprachen ist das Sprechen doch enorm wichtig, und das kommt im Distanzunterricht zu kurz. Und woher soll eine Lehrkraft wissen, ob ein Schüler bei der Sache oder in Gedanken längst abgetaucht ist, wenn er nur den Bildschirm sieht?
Vor allem schwächere Schüler leiden unter der Situation
Gerade die schwächeren Schüler müssten aktiv mitgenommen werden.“ Die Gesamtschulmutter Theis bedauert, dass an der Eckenhagener Schule einige Lehrer unter Berufung auf ihre Persönlichkeitsrechte auch in wichtigen Fächern keinen Online-Unterricht machten: „Die sollten mal daran denken, welche Folgen das für die Zukunft der Kinder hat!“
Je nach Klasse, Jahrgang und Alter stellen sich unterschiedliche Probleme. Es gibt die Fünftklässler, die kaum eine Chance hatten, ihre Mitschülerinnen und Mitschüler und den Schulalltag in der neuen Schule überhaupt kennen zu lernen. Und Siebtklässler, die zu alt für die Notbetreuung sind und deshalb allein zu Hause sitzen mit Wochenplänen und Videokonferenzen. Die Eltern sind berufstätig, Kinderkrankheitstage längst aufgebraucht. Die ungeimpfte Oma wurde zu ihrem eigenen Schutz nicht eingewechselt.
Kritik am Distanzunterricht
In einem Brief an die Redaktion beschwert sich eine Mutter über die mangelhafte Qualität des Distanzunterrichts an der weiterführenden Schule ihrer Tochter: „Ich schreibe Ihnen, weil an der Schule meiner Tochter nicht wirklich Distanzunterricht stattfindet. Zuletzt hatte sie zwei bis drei Mal (inzwischen vier Mal) in der Woche jeweils eine halbe Stunde, das war aber teilweise kein Unterricht, sondern nur eine Nachbesprechung der Hausaufgaben.
Es werden jeden Montag die Hausaufgaben als Wochenplan hochgeladen und die Kinder sind mehr oder weniger sich selbst überlassen. Ich kann es einrichten, dass ich morgens bei unserer Tochter bin und nachmittags arbeite. Das ist vielen Eltern nicht möglich. Wir leben nun seit über einem Jahr mit der Situation, und ich finde es traurig, dass es immer noch nicht gut läuft. Vieles wird auf die Eltern abgewälzt und die Nerven liegen oft blank.
Ich wünsche mir, dass mehr Online-Unterricht stattfindet, auch in weiteren Fächern, und dass die Schulsituation damit besser strukturiert wird, anstatt die Kinder sich selbst zu überlassen. Wir Eltern sind im Reagieren-Modus, und kaum jemand beschwert sich. Und die Kinder sind in dieser Situation diejenigen, die am meisten leiden.“
„Je jünger die Kinder sind, umso wichtiger ist Präsenzunterricht“, weiß auch Heike Uebe-Emden-Weigel. Die Schulpflegschaftsvorsitzende des Hollenberg-Gymnasiums in Waldbröl sorgt sich aber noch mehr um den Erfolg der Abiturprüfungen. Aus Sorge vor Infektionen hat sie sich darum im Namen der Elternschaft für den Distanzunterricht ausgesprochen und vor Ostern sogar einen Brief an Landrat Jochen Hagt und ans NRW-Schulministerium geschrieben.
Viele Eltern fühlen sich als Hilfslehrer am Limit: Die Nümbrechterin Susanne Goße berichtet vom Hilferuf einer Mutter, deren pubertierender Sohn zunehmend „auf Krawall gebürstet“ sei, und von einem Vater, dessen Erklärungsversuche in Mathematik ins Desaster führten. „Von Mama lässt man sich auch nicht gern motivieren“, weiß die Mutter von vier Kindern. „Da hat der Lehrer andere Möglichkeiten.“
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Die Achtklässler müssen sich mit dem Sommerzeugnis bewerben, bei anderen steht der Übergang zum Gymnasium auf den Spiel. Die Schulpflegschaftsvorsitzenden erleben, wie die Sorgen der Eltern zunehmen, je näher Zeugnisse und Versetzungen rücken. „In den Klassen 5 bis 9 gab es keine Klassenarbeiten“, sagt die Gesamtschulmutter Theis. „Auf welcher Grundlage sollen die Versetzungen stattfinden? Die Schüler können sich nicht mit anderen vergleichen, ihnen fehlt das Gefühl dafür, was ihre Leistungen wert sind.“
Insgesamt stellen alle drei Schulpflegschaftsvorsitzenden ihren Schulen ein gutes Zeugnis aus. Nicht aber der Politik: „Wir Eltern wollen nach all dem Hin und Her vom Schulministerium Klarheit haben, wie Leistungen abgefragt und wie dieses Schuljahr beendet werden soll“, fordert Anja Theis. Und Susanne Goße, die nicht mehr daran glaubt, „dass dieses Schuljahr noch normal wird“, will wenigstens eine Perspektive, wie es nach den Sommerferien weiter geht. „Denn es weiß doch keiner, wann es besser wird.“