Oberberg – Die Zahl der Neuinfektionen im Oberbergischen bleibt hoch: Die Sieben-Tage-Inzidenz von 417,7 war am Freitag nach Köln die zweithöchste in NRW. Warum bleibt die Inzidenz so hoch? Was ist zu tun? Frank Klemmer sprach mit Landrat Jochen Hagt und der Leiterin des Gesundheitsamtes, Kaija Elvermann.
Seit wir vor zwei Wochen zuletzt gesprochen haben, hat sich die Lage nicht entspannt, im Gegenteil. Was passiert da gerade? Sind es immer noch die Superspreader-Events?
Hagt: Es ist nicht nur das. Das Infektionsgeschehen betrifft viele Bereiche: Veranstaltungen, aber auch an Schulen und auch in den Familien finden nach wie vor Ansteckungen statt. Feststeht, dass nach unseren Erkenntnissen durch die Hygieneforscher der Bonner Universität nach wie vor an 90 Prozent der Ansteckungen ungeimpfte Personen beteiligt sind.
Was verstehen Sie überhaupt unter sogenannten Superspreader-Events? Und von wem reden wir da? Alles spricht ja über das Fußballspiel in Köln. Sind es in Gummersbach Handballspiele?
Elvermann: Das können wir Ihnen ehrlich gesagt gar nicht so genau sagen. Unter Umständen erfahren wir das nicht mal mehr, weil seit dem Herbst aufgrund der jetzt geltenden Regeln nach solchen Veranstaltungen nur eine eingeschränkte Kontaktnachverfolgung stattfinden kann. Kontaktlisten müssen bei diesen Veranstaltungen nicht mehr geführt werden. Es ist also manchmal Zufall, wenn wir doch davon erfahren, dass Infizierte solche Veranstaltungen besucht haben. Wir sind da auf die Ehrlichkeit und Kooperation der Betroffenen angewiesen.
Hagt: Nichtsdestotrotz gilt natürlich in der aktuellen Lage, dass wir appellieren, große Veranstaltungen zu meiden. Und es gelten strengere Regeln. Nach dem, was die Bund-Länder-Runde am Donnerstag zu Einschränkungen beim Fußball gesagt hat, gehe ich davon aus, dass es solche Einschränkungen auch für den Handball geben wird. Da müssen wir aber die neue Coronaschutzverordnung abwarten
Sie beide haben sehr früh und ziemlich deutlich gesagt, dass Sie von der Abschaffung der Maskenpflicht am Sitzplatz im Unterricht nichts gehalten haben. Wie sehr hat der Wegfall zum aktuellen Anstieg in Oberberg beigetragen?
Elvermann: Genaue Zahlen haben wir da nicht. Die Lage ist auch sehr dynamisch. Mal waren die Grundschulen stärker betroffen, jetzt sind es gerade die weiterführenden Schulen. Insgesamt stellen wir aber fest, dass wir in Oberberg in dieser Altersgruppe, in der es natürlich noch einen hohen Anteil von Ungeimpften gibt, deutlich über dem NRW-Durchschnitt liegen.
Hagt: Und egal wie die Lage an einem speziellen Tag ist: Für uns ist einfach klar, dass die Maskenpflicht überall da sinnvoll ist, wo die Gefahr einer Ansteckung besteht – also gerade auch im Unterricht. Eine Mund-Nase-Bedeckung ist ein einfaches Mittel, um das Risiko einer Ansteckung zu reduzieren. Deshalb habe ich ja auch noch mal an die Landesregierung appelliert, sie wieder einzuführen.
Und wer kontrolliert jetzt, ob sie auch eingehalten wird?
Elvermann: Zunächst einmal machen das die Schulen in eigener Zuständigkeit. Da haben wir also gar keine Handhabe, direkt einzuschreiten und zu kontrollieren. Ich muss aber sagen, dass wir als Gesundheitsamt da eine sehr enge und vertrauensvolle Zusammenarbeit pflegen.
Gab es denn schon Beschwerden, dass Maskenpflicht oder sonstige Abstandsregeln nicht eingehalten werden?
Elvermann: Bisher gab es die meines Wissens nicht.
Sie sagen es selbst: 90 Prozent der Ansteckungen finden durch Ungeimpfte statt. Wie sehr ärgern Sie sich da, dass Sie keine konkreten Daten zur Impfquote zur Verfügung haben, sondern nur dazu, wer wo geimpft wurde?
Hagt: Das ist ja nicht nur hier in Nordrhein-Westfalen, sondern im gesamten Bundesgebiet so. Sicher würde es helfen, noch genauer zu wissen, wo die weißen Flecken liegen.
Sie haben die hohe Inzidenz hier ja vor allem damit begründet, dass so viel getestet wird. Liegt es aber nicht vielleicht doch auch daran, dass es genau diese weißen Flecken hier gibt, wo besonders viele Menschen ungeimpft sind. Bis zum starken Anstieg in Köln waren es mit Oberberg und Minden-Lübbecke zwei Kreise mit einem hohen Anteil von Russlanddeutschen und einer starken freikirchlichen Prägung, die allein über 400 lagen. Ist das wirklich Zufall?
Hagt: Natürlich spielt die Religion bei der Entscheidung für eine Impfung für einige Menschen eine große Rolle. Aber auch da muss man unterscheiden. Wir standen ja nicht nur mit der katholischen und der evangelischen Kirche in Kontakt. In der Pandemie hat sich zum Beispiel auch das Freikirchen-Forum, eine Initiative aus etwa 30 verschiedenen Gemeinden gebildet, mit denen wir auch gut zusammenarbeiten. Man darf da nicht alle über einen Kamm scheren. Außerdem sind wir auch auf die Moschee-Gemeinden zugegangen, das Impfmobil hat in Bergneustadt und Waldbröl schon mehrfach gehalten. Der Erfolg der Aktion am vergangenen Wochenende mit besonders vielen Erstimpfungen zeigt, dass das geht.
Elvermann: Stigmatisierung verbietet sich schon deshalb, weil wir als Gesundheitsamt uns immer ganz anders fragen, warum bestimmte Menschen ein präventives Angebot nicht annehmen können oder wollen. Nur dieser Ansatz führt zu zielgerichteten Maßnahmen. Und dafür brauchen wir vor allem Multiplikatoren in den Gemeinden und das Vertrauen der Menschen.
Und dennoch diskutiert alles über eine Impfpflicht. Löst das die Probleme an den weißen Flecken in Oberberg?
Hagt: Grundsätzlich halte ich eine Impfpflicht für bestimmte Berufe auf jeden Fall für geboten, vielleicht sogar eine allgemeine Impfpflicht. Das mag noch nicht sofort helfen, kann aber auf jeden Fall die nächste Welle verhindern. Im Augenblick hilft aber jeder, der sich impfen lässt – und das vielleicht auch schon in dieser Welle.
Wird es in Oberberg über die neue Coronaschutzverordnung hinaus doch noch weitere Einschränkungen geben?
Hagt: Wir dürfen nicht vergessen, dass wir in einer anderen Situation als vor einem Jahr sind. Trotz aller weißer Flecken: Etwa 75 Prozent der Menschen in NRW sind geimpft und sie sind nur zu zehn Prozent an den aktuellen Ansteckungen beteiligt. Deshalb wollen wir wieder mehr soziales Leben ermöglichen, aber unter den notwendigen strengen Voraussetzungen. Wir haben uns im Dialog mit den Religionsgemeinschaften und nach Abstimmung mit dem Ministerium entschieden, eine 3G-Regel und eine Maskenpflicht für Gottesdienste einzuführen.
Was macht so eine Dauerkrise mit Ihnen persönlich? Haben Sie im vergangenen Jahr mal bedauert, dass Sie sich noch mal zum Landrat haben wählen lassen?
Hagt: (lacht) Natürlich nicht. Im Ernst: Selbstverständlich ist das eine große Belastung, für alle in der Verwaltung. Aber noch größer ist die Belastung für all die Menschen, die in den Kliniken arbeiten, als Ärzte unterwegs sind oder in der Pflege.
Bereitet einen ein Studium und ein Berufsleben als Jurist denn ausreichend auf so eine Rolle als Krisenmanager vor?
Hagt: (schmunzelt) Das allein reicht ja nicht mal als Vorbereitung auf den Job als Landrat, hilft aber ungemein. Man muss einfach feststellen: So eine Krise, die nicht nach einem Tag oder ein paar Wochen vorbei ist, hat es so für uns noch nie gegeben. Da lernt man an jedem Tag etwas Neues hinzu.