Oberberg – Sabine Grützmacher tritt bei der Bundestagswahl im Oberbergischen Kreis als Direktkandidatin für die Grünen an. Bei der Kreisversammlung am Samstag kürte der Kreisverband die 35-Jährige einstimmig mit allen 38 abgegebenen Stimmen. Grützmacher war einzige Kandidatin. Als Ausdruck seines Optimismus’ übergab der Kreisverband seiner Kandidatin gleich mal einen grün-melierten Koffer für etwaige Berlin-Reisen.
Vor ihrer Kür hatte die Gummersbacherin ihren politischen Standort umrissen und ihre „Vision einer fairen und lebenswerten Gesellschaft“ vorgestellt. Das „Märchen vom Markt, der alles regelt,“ sei seit der Pandemie auserzählt. „Was wir brauchen ist kein schwarzer Filz; wir brauchen Möglichkeiten zum Mitgestalten einer ökologisch-sozialen Transformation“. Diese Transformation gelte es nicht nur zu fordern, „wir müssen sie in Förderprogramme, in den Haushalt und in die finanztechnische Umsetzung bringen“.
Das Soziale als Herzensthema
Sabine Grützmacher warb dafür, darauf hinzuweisen, dass das Erreichen der Pariser Klimaziele durch eine entsprechende Politik auch im ländlichen Raum ein Gewinn für alle Menschen sei. „Wir gewinnen mehr Bewegungsfreiheit durch gut durchdachte Radwegenetze und guten ÖPNV und wir entlasten zugleich die Elterntaxis, die werden sich da auch drüber freuen.“ Politik müsse so gestaltet werden, dass die mittelständischen Betriebe vor Ort – das Rückgrat der oberbergischen Wirtschaft, so Grützmacher, unterstützt werden, „wenn sie ökologisch nachhaltig agieren“.
„Strahlen Einigkeit aus“
Sven Giegold, Mitglied des Europäischen Parlaments und Sprecher der deutschen Grünen im Europaparlament
Herr Giegold, welche Tipps geben Sie als Europapolitiker Sabine Grützmacher für ihren Wahlkampf hier im Oberbergischen Kreis?Ich glaube, sie hat keine Tipps nötig (lacht). Es ist auch nicht Aufgabe europäischer Politik, Bundestagskandidaten Tipps zu geben. Wir arbeiten gemeinsam an der sozialen und ökologischen Transformation der Wirtschaft, die wir dringend brauchen, und dafür brauchen wir alle Ebenen. Diese Einigkeit ist das, was die Grünen gerade ausstrahlen und das funktioniert nur, wenn man nicht oberlehrerhaft miteinander umgeht.
Grünen-Kreistagsmitglied Dr. Ralph Krolewski forderte eben mit Blick auf die Mobilitätswende massive Investitionen in die Radwegenetze. Richtig so?Es gibt auch dank der E-Bikes einen kulturellen Wandel, dass immer mehr Menschen mit dem Rad fahren. Aber die Sicherheit auf den Straßen, die wir brauchen, die ist noch nicht da. Wie so oft sind viele Menschen bereit, Dinge mitzutragen. Aber sie brauchen eine Politik, die das fördert.
Sie wurden auf die Einfamilienhaus-Debatte angesprochen, konkret mit Hinweis auf ein Neubaugebiet in Engelskirchen.Diese ganze Debatte entstand nach einem Interview von Toni Hofreiter im Hamburger Abendblatt, da ging es um die Hamburger Verhältnisse, und dort gibt es kein Bauland. Wenn man Wohnungsnot und explodierende Mieten und wenig Bauland hat, dann ist es gute Politik, Wohnungen zu bauen für die, die es brauchen – und das sind in der Regel keine Einfamilienhäuser, die man sich in Hamburg nur mit großem Geldbeutel leisten kann. Dagegen gibt es im ländlichen Raum viele Regionen, die mit Blick auf die Überalterung attraktiven Wohnraum für Familien schaffen. Und dazu können auch Einfamilienhäuser gehören. Deshalb gibt es auch keine grüne Beschlusslage, dass wir grundsätzlich für oder gegen Einfamilienhäuser sind. Wie man mit den einzelnen Baugebieten umgeht, muss man vor Ort entscheiden.Interview: Torsten Sülzer
Als ihr Herzensthema bezeichnete Sabine Grützmacher, die als eine von drei Geschäftsführerinnen eines gemeinnützigen Bildungsträgers arbeitet, das Soziale, ohne das sich der Großteil der Menschen nicht von den grünen Visionen begeistern ließen, wie sie sagte.
Und dann legte sie noch Wert darauf, deutlich zu machen, „dass wir Grünen keine besserverdienenden Instagram-Hipster sind, bei denen Kombucha aus dem Wasserhahn läuft“.
Als Gastredner hatten die oberbergischen Grünen den Europapolitiker Sven Giegold gewonnen. Der schwor die Grünen auf einer gut 20-minütigen Tour d'Horizon auf wichtige Punkte des grünen Wahlprogramms ein. Die Sehnsucht nach dem Wandel, „den wir uns so sehr wünschen“ und die auch viele Menschen und Gruppierungen hätten, könnte die Grünen „letztlich bis ins Kanzleramt tragen“.
Giegold warnte aber davor, mit „den radikalistischsten Detailforderungen“ in den Wahlkampf zu ziehen. Stattdessen müsse es um einen Klimaschutz gehen, der gleichermaßen als konsequent, wirtschaftlich erfolgreich und sozial gerecht wahrgenommen werde. Zudem warb er dafür, die Patente über die Corona-Impfstoffe und die zugehörige Produktionstechnologie „den Firmen großzügig zu vergüten“, die Patente dann zum globalen Gut zu erklären.
Die Kreisversammlung ging in der Halle 32 auf dem Gummersbacher Steinmüllergelände über die Bühne. Dort hatten sich rund zwei Dutzend Grüne eingefunden. 40 weitere nutzten die Möglichkeit zur digitalen Teilnahme. Jeder, der in die Halle wollte, wurde zuvor einem Corona-Schnelltest unterzogen.