Lindlar – Die Rettungsinsel für Pferde liegt irgendwo zwischen grünen Hügeln und bewaldeten Kuppen bei Lindlar, auf halben Weg nach Wipperfürth. Hier steht Stjarna und kaut auf einem Büschel Stroh. Die Aegidienberger-Stute leidet an Muskelschwund, manchmal ist sie so schwach, dass ihr das Heu eingeweicht werden muss, damit sie es überhaupt noch fressen kann. Mit 22 Jahren ist sie schon eine alte Dame. Wo genau Stjarna ihren Lebensabend verbringt, das soll nicht bekannt werden.
15 Pferde aus dem ganzen Rheinland
Der kleine Gnadenbrothof, auf dem Stjarna steht, ist für 15 Pferde aus dem gesamten Rheinland zur letzten Rettung geworden. Oft haben die Tiere ein tragisches Schicksal durchlebt, wurden von Tierschützern aus verwahrlosten Ställen befreit und dürfen nun ihren Lebensabend im Lindlarer „Altersheim für Pferde“ verbringen, wie es Chefin Veronice Meier formuliert.
Gnadenhöfe sind selten. Im Bergischen Land gibt es nur noch einen vergleichbaren Betrieb, die nächsten sind erst wieder im Münsterland zu finden. Das hat seinen Grund: Die Pflege der Pferde ist teuer. „Im Sommer 100 Euro im Monat, im Winter 200 pro Tier“, sagt Meier. Darin seien weder Pacht, Arbeitszeit noch größere Tierarztrechnungen enthalten. „Daran denken leider viele Pferdehalter nicht, wenn sie sich ein Tier anschaffen“, sagt Veronice Meier. Sie selbst arbeitet aus Überzeugung, in „Vollzeit und ohne Bezahlung“, berichtet die 35-Jährige. „Wenn mein Mann mir nicht den Rücken freihalten würde, könnte ich das nicht leisten“, stellt sie fest. Vier Ehrenamtlerinnen arbeiten zusätzlich jeden Tag auf dem Hof, dazu kommen zwölf Kinder und Jugendliche aus der Nachbarschaft, „vor allem natürlich Mädchen, die pferdeverrückt sind“, sagt Meier.
„Komet – Kooperation Mensch und Tier“ ist ein gemeinnütziger, eingetragener Verein, der sich ausschließlich aus Spenden finanziert und sich der Vermittlung von Pferden in Not, der Vermittlung von Rentnerplätzen für Pferde und der Jugendarbeit verschrieben hat. Gezielt sucht der Verein nach Rentnerplätzen für Pferde auf Höfen und vermittelt Kontakte für Ehrenamtler, die alten Pferden helfen wollen.
Kontakt: Komet e.V., Kerpenerstraße 13, 52388 Nörvenich-Rath, Ruf 0 24 26/95 81 85.
info@komet-network.de
Finanziert wird der Hof vor allem mit Spenden. Der Verein „Komet – Kooperation Mensch und Tier“ aus Nörvenich zahlt für viele Tiere die laufenden Kosten. Trotzdem ist Meier verschwiegen: Der Hof soll für tragische Fälle reserviert bleiben. Die Tierschützer haben schon schlechte Erfahrungen gemacht. Tiere seien nachts einfach auf dem Hof abgeladen worden. „Verzweifelte Besitzer drohen, die Tiere einzuschläfern, wenn wir sie nicht nehmen“, berichtet Meier. Bescheid wissen aber die Bäckermeister in den Nachbardörfern, die immer mal wieder mit altbackenem Brot aushelfen und ein Gemüsehändler aus der Gegend, der häufig einen Sack Karotten spendet.
Hohe Kosten für die Pflege
Vor zweieinhalb Jahren gründete Veronice Meier den Gnadenbrothof. Mit den 15 Pferden ist der Pachthof ausgelastet. Nächstes Jahr will sie mit ihren Tieren umziehen. „Wir haben einen größeren Hof gefunden, auch hier in Lindlar“, berichtet sie. Dann will sie ihren Hof öffentlich machen.
An ihren Beruf aus Überzeugung kam Veronice Meier durch die Stute Stjarna: „Ich war immer pferdebegeistert und vor acht Jahren hat mir mein Mann Stjarna geschenkt“, erinnert sie sich. Die Aegidienberger-Stute sah topfit aus und stand auf einem Reiterhof. „Doch nach dem Kauf wurde sie plötzlich krank“, erinnert sich Meier. Das Paar zahlte ständig Tierarztrechnungen, Spezialfutter und Pflege an den Hof. „Bis ich einen externen Tierarzt einschaltete.“ Der schlug Alarm: Der Hof habe das Tier systematisch vernachlässigt. Die Rechnungen seien fingiert worden. „Plötzlich stand ich mit einem kranken Pferd ohne Hof da“, erinnert sich Meier.
Statt Stjarna einschläfern zu lassen, machte Meier das Hobby zum Beruf. Sie suchte einen Hof, lernte Pferdewirtin, bildete sich ständig fort. Dann kam der Kontakt zu den Tierschützern von Komet. Aus dem Unterstand für Stjarna wurde der Gnadenbrothof. Ein Hof mit sechs Boxen für die Intensivpflege, einer Quarantänewiese für Neuankömmlinge, Unterständen und zehn Hektar Weideland. Tierarzt und Hufschmied sind regelmäßig da.
Das älteste Pferd auf dem Gnadenbrothof ist Rubina. „Sie ist 27 und immer noch topfit“, sagt Meier. Rubina wird ihren Lebensabend auf einem klassischen Pferdehof verbringen. „Die neue Besitzerin hat sich in sie verguckt und wird sie pflegen“, Meier ist zufrieden.
Hinter jedem Pferd steckt ein Schicksal
Eddy ist mit neun Jahren das jüngste Tier. Der Hengst leidet unter den Kissing Spines, einer Rückenkrankheit. „Die Besitzerin aus Oberhausen war verzweifelt“, erinnert sich Meier. Denn eine Erfahrung haben die Tierschützer ebenso gemacht: Manchmal müssen nicht die Tiere, sondern ihre Halter geschützt werden. „Wir haben viele Fälle, da sind die Besitzer komplett verarmt, weil sie ihr ganzes Hab und Gut für die Behandlung ihres kranken Tieres ausgegeben haben.“
So wie bei Eddy verbergen sich hinter allen Tieren Geschichten. Da sind beispielsweise Nelson und Rocco, kranke Schulpferde, die von ihren ehemaligen Reitschülern freigekauft wurden, um sie vor dem Abdecker zu bewahren. „Pferde werden bei guter Pflege locker 30 Jahre und älter“, sagt Meier. Auf dem Gnadenbrothof sollen die Tiere noch ein paar Jahre ein gutes Leben führen „und einfach Pferd sein“, sagt Veronice Meier und zupft der Stute Stjarna einen Strohhalm aus der ergrauten Mähne.