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Abschied von der Euro 2024In Bergneustadt feiern die türkischen Fans trotzdem

Lesezeit 4 Minuten
Auf der Zielgeraden: Der türkische Fantross biegt am Samstagabend in die Wiesenstraße ein und nimmt Kurs auf die Bergneustädter Moschee.

Auf der Zielgeraden: Der türkische Fantross biegt am Samstagabend in die Wiesenstraße ein und nimmt Kurs auf die Bergneustädter Moschee.

Die Stadt hatte sich gerüstet und wollte einen Autokorso verhindern. Der fiel sehr klein aus. Oft zu sehen war am Samstag aber der Wolfsgruß.

Gitterzäune schützen die „Pusteblume“ und die Spindel auf den Kreisverkehren an der Kölner Straße, Ordnungskräfte und ein Sicherheitsdienst stehen bereit, machen die Kölner Straße dicht zwischen diesen Kreiseln – Bergneustadt hat sich gründlich gewappnet für den Abend des Viertelfinales, an dem bei der Fußball-Europameisterschaft die Türkei auf die Niederlande trifft – und verliert. „Alles sehr friedlich, alles überschaubar“, berichtet Bürgermeister Matthias Thul danach.

In Bergneustadt feiern die türkischen Fans trotz der Niederlage gegen die Niederlande

Gute 45 Minuten lang feiern die Türken am späten Abend trotz der 2:1-Niederlage, wenige Autos kurven hupend über die Bahnstraße, aber eben nicht durch die Mitte – genau das will die Stadt erreichen. Dafür hat sich das Ordnungsamt Verstärkung geholt aus Wiehl und Marienheide und eben von einem Security-Service.

Am frühen Abend jedoch rasen immer wieder drei Lkw-Zugmaschinen durch den Kreisverkehr mit der Burg darauf, an der Front weht die türkische Fahne. Und die ist auch auf dem Platz am Rathaus reichlich vertreten: Rund 250 Fans treffen sich dort, um gemeinsam zur Moschee zu ziehen und auf dem Hof dort das entscheidende Spiel zu sehen. Sie kommen nicht nur Bergneustadt, sondern aus dem ganzen Kreis und der Nachbarschaft.

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Auf dem Rathausplatz in Bergneustadt sammeln sich die türkischen Fans, Ahmet Ceyhan (vorne rechts) ist einer der Organisatoren. Oft zu sehen auf dem Weg zur Moschee ist der sogenannte Wolfsgruß. Unser Foto zeigt die Gruppe vor dem Aufbruch.

Auf dem Rathausplatz in Bergneustadt sammeln sich die türkischen Fans, Ahmet Ceyhan (vorne rechts) ist einer der Organisatoren. Oft zu sehen auf dem Weg zur Moschee ist der sogenannte Wolfsgruß.

„Wir wollen, dass hier alles friedlich bleibt, dass niemand etwa Feuerwerkskörper zündet – das wollen wir strikt verhindern“, betonen die beiden Organisatoren Cosi Özdemir und Ahmet Ceyhan. Beim Einbiegen in die Wiesenstraße brennen prompt Bengalos – auch darauf sollten die Fans eigentlich verzichten. „Dass so viele kommen würden, damit haben wir nicht gerechnet: Die Ferien haben ja schon begonnen“, freut sich Ceyhan. „Auch haben einige von uns noch Tickets für das Spiel in Berlin bekommen.“ Für viele ist der Fußballabend eine Familiensache, so auch für Arif Özhan: „Wir sind zu sechst, wir wollen feiern, unsere Mannschaft unterstützen.“

Der fehlt diesmal aber der Abwehrspieler Merih Demiral: Die Uefa hat ihn für zwei Spiele gesperrt, nachdem der 26-Jährige beim Jubel nach dem Sieg über Österreich am 2. Juli den sogenannten Wolfsgruß gezeigt hatte. Dieser gilt unter anderem als Erkennungszeichen der Grauen Wölfe – einer Organisation, die in Deutschland unter Beobachtung durch den Verfassungsschutz steht. Sie wird als rechtsextremistisch eingeschätzt. In Bergneustadt ist der Wolfsgruß am Spieltag gegen die Niederlande indes eine selbstverständliche Geste. Zudem tragen einige der Fans Masken mit dem Porträt Demirals oder T-Shirts mit dem Foto seiner Jubelpose.

Bergneustädter Ratsherr: „Der Wolfsgruß ist inzwischen eine Art Protest“

„Das tun sie inzwischen wohl als Protest gegen Demirals Spielverbot“, überlegt Mehmet Pektas, Ratsherr für die Freie Wählergemeinschaft. Es sei sehr bedauerlich, dass die politische Diskussion um diese Geste die tolle Atmosphäre bei der Euro 2024 überschatte. „Die Geste ist uralt, sie ist tief in der türkischen Mythologie verwurzelt.“ So sei auch das türkische Volk aus den alten Steppenvölkern hervorgegangen, für die der Wolf eine besondere Bedeutung habe. „Demiral ist alles andere als ein Rassist“, meint Pektas.

So wie er denken viele – auch eine 65-Jährige, die ihren Namen aber nicht in der Zeitung lesen will. Die Sperre gegen den Abwehrmann sei ein Skandal, der habe nur offen den Stolz auf das Heimatland gezeigt. „Für mich ist auch Deutschland meine Heimat – ich habe gebetet, dass die Mannschaft doch noch gegen Spanien gewinnt“, schildert sie. „Dass der Elfmeter nach dem Handspiel der Spanier nicht gegeben wurde, ist ebenfalls ein Skandal.“

Etwa 18.500 Menschen leben zurzeit in Bergneustadt. 3000 bis 4000 von ihnen, so schätzt Bürgermeister Matthias Thul, haben türkische Wurzeln. Zur zweiten Halbzeit ist auch er mittendrin an der Moschee, „um die Stimmung aufzufangen“. Und er ist erleichtert, dass alles gut geht und die acht Ordnungskräfte wenig zu tun bekommen. Nach dem Spiel gegen Österreich war dagegen ein Jugendlicher auf die steinerne Burg auf dem Kreisel am Rathaus geklettert und hinabgestürzt. Thul: „Der Junge hat sich die Hüfte gebrochen – es soll ihm aber wieder einigermaßen gut gehen.“