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Neue Bäckerei aus den TrümmernDas zweite Leben der Familie Schmitz aus Ahrweiler

Lesezeit 6 Minuten
Familie Schmitz vor ihrem Laden

Geschafft: Familie Schmitz vor ihrem neuen Laden. 

Ahrweiler – „Hier stand doch kein Wasser“, hört Petra Schmitz immer wieder von den Kunden. Die Antwort hat sie für große Menschen auf Kopfhöhe an eine Wand der Traditionsbäckerei in der Ahrweiler Niederhut geschraubt. „Da hat das Wasser gestanden“, sagt sie dann und zeigt auf die Hochwassermarke mit dem Stand vom 14. Juli 2021. Bilder der Zerstörung mag sie nicht aufhängen: „Wir wollen nicht darauf reduziert werden, dass wir Hochwasseropfer sind.“

Noch haben nicht viele Geschäfte wieder auf

In der zerstörten Ahrweiler Altstadt wirkt die sanierte Bäckerei mit ihrer nagelneuen Ausstattung und der blitzeblanken Fensterfront wie ein Tor zu einer anderen Welt. Die Pizzeria gegenüber, ein Brettspielladen die halbe Straße runter und eine Kneipe an der Ecke – viel mehr Geschäfte existieren in der vormals von Touristen durchströmten Fußgängerzone derzeit noch nicht wieder. Bretterverschläge bedecken kaum die fensterlosen und immer noch schlammverschmierten Mauerlöcher seit die Ahr 800 Meter breit auf Geschosshöhe mit Gewalt durch die Kreisstadt strömte.

Petra Schmitz Ahrweiler

Petra Schmitz  2021 vor dem zerstörten Café. 

Schon am 1. Februar öffnete die Bäckerei Schmitz ihre beiden Filialen in Ortsteilen von Bad Neuenahr-Ahrweiler, eine Woche vor Ostern dann das Hauptgeschäft in der Ahrweiler Altstadt mit der komplett neu ausgestatteten Backstube. So schnell ging das nur durch ein paar gigantische Glücksfälle: Als Jürgen und Petra Schmitz am Morgen in der völlig verwüsteten Backstube standen und sahen, wie die Ahr durch die Glasfront gebrochen und alle im Laden sicher gewähnten Mehl- und Eiervorräte durch das Café in die Backstube gespült hatte, so dass auch der Großbackofen Schrott war, klingelte das Telefon. Es war gerade 5.30 Uhr, und der Versicherungsvertreter teilte dem überraschten Bäcker mit: Er sei versichert, und zwar gut.

Die gute Versicherung war Gold wert

„Selbst gegen Flugzeugabsturz, Hangrutsch, Erdbeben und Vulkanausbruch sind wir abgesichert“, weiß Schmitz inzwischen. Und er reagierte prompt, kaufte über den genossenschaftlich organisierten Fachgroßhandel für Bäckereien und Konditoreien zügig neue Maschinen, so dass das neue Arbeitsgerät bereits auf Lager stand, als die Handwerker so weit waren.

Hochwassermarke Laden Ahrweiler

So hoch stand das Wasser im Laden. 

Allerdings erforderte der Weg bis zur Inbetriebnahme von Rührapparaten, Knetgeräten und neuem Ofen einiges an Geduld. „Das Trocknen hat am längsten gedauert: von August bis November, und gerade weil es draußen sehr warm war, blieb es auch drinnen lange feucht.“ Der Verputzer verschob ein paarmal den Termin, während ein Schreiner die über 100 Jahre alte Holztreppe restaurierte. Eigentlich war die Wohnung im Obergeschoss nicht betroffen. Aber Dreck und Schlamm haben an den Füßen trotzdem den Weg bis in die dritte Etage gefunden“, bedauert Jürgen Schmitz.

Kaum noch etwas erinnert hier an die Flut

Die Fassade offenbart auf den zweiten Blick auch, dass um die Fenster herum das alte Mauerwerk noch verkleidet werden muss. „Ich stelle mir da eloxiertes Blech vor, habe aber noch keinen, der das macht“, sagt Jürgen Schmitz und fährt fort: „22 Wochen hat alleine die Herstellung des neuen Ofens gedauert. Jetzt habe ich zwei: Einen mit Umluft, einen Etagenofen mit etwas mehr Kammern als vorher“, sagt Schmitz und wischt sich die Hände an der Schürze ab, denn er und sein Sohn Jan-Philipp – traditionell mit weißem Schiffchen und schwarz-weiß-karierter Hose gekleidet – stecken gerade wieder im Teig für die nächste Ofenladung und nichts erinnert im engen Altbauraum an die Flut, die hier 1,80 Meter hoch stand.

„Es ist viel los, zumal noch keine andere Bäckerei geöffnet hat“, sagt Petra Schmitz: „Morgens kommen vor allem Handwerker, dann auch viele Touristen, und die erkundigen sich neugierig.“ In der Backstube wäre noch Platz für einen Auszubildenden und einen Gesellen – wenn sich jemand fände.

Vom Einzug in die Stadtgeschichte

Monatelang durchgeschuftet und gerade den Laden in Schwung gebracht, hängte Schmitz unvermittelt einen Zettel an die Tür: „Zwei Wochen Urlaub.“ Die Begründung lieferte das Schützenfest, bei dem der Bäckermeister als König gefeiert wurde – in Ahrweiler seit mehr als 600 Jahren eine außerordentliche Würde, die einen Menschen in der städtischen Geschichte unvergessen macht. „Eigentlich wäre ich noch nicht dran gewesen, aber der vorgesehene Kandidat konnte flutbedingt nicht“, sagt Schmitz, und sein Herzenswunsch war, dass es in Ahrweiler trotz aller Verluste und Schäden ein möglichst normales Leben geben soll.

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Allen Erklärungen von Klimaforschern zum Trotz ist Schmitz fest davon überzeugt, dass es zu seinen Lebzeiten nicht noch einmal eine verheerende Flut geben wird: „Irgendetwas erlebt jede Generation. Die nächste wird eine andere Herausforderung meistern müssen.“ Und wenn es wieder unaufhörlich regnet? „Das muss ja nicht bei uns passieren“, sagt er. Seiner Frau ist weniger wohl zumute. „Die Leute fragen oft: Was wird denn zum Hochwasserschutz getan. Ich bin sprachlos, dass an der Ahr, mitten in der Stadt, weil es vorher schon geplant war, 130 neue Wohneinheiten gebaut werden und das Tal weiter versiegelt wird. Und wenn man nach Rech, Mayschoß oder weiter hoch fährt, dann ist es gruselig, wie viel dort von den Orten fehlt.“

Jeder Regen bringt die Erinnerung zurück, die Sandsäcke liegen bereit. „Der Abwasserkanal ist kaputt, so stelle ich jedes Mal einen Eimer unters Kellerfenster“, sagt er. Seine Frau hat „bei jedem Gewitter ein Déjà-vu.“

Neuanfang in Bliesheim: Schützen sind „nit kapottzekrieje“

1450 ist der Bliesheimer Schützenverein gegründet worden, 571 Jahre später mochte kaum mehr jemand an seine Zukunft glauben. Das Schützengelände mit Schießbahnen war von den Wassermassen der Flutkatastrophe am 14. Juli 2021 überflutet worden. Doch nun, ein Jahr später, zeigt sich: Statt Verein und Heim aufzugeben, haben die Schützen wieder Hoffnung geschöpft, jüngst sogar ein fröhliches Schützenfest im eigenen Hause feiern können.

Die Vereine im Ort helfen sich gegenseitig, leihen Material und technische Ausrüstung aus, Handwerker aus den eigenen Reihen legen Hand an, um Schäden Zug um Zug zu beseitigen.

„Die Scheibenzuganlage der Kleinkaliberbahn ist ausgeliehen, der Raum frisch gestrichen. Und unser Kommandant Paul Bert Schmitz verlegte eigenhändig das Parkett“, berichtet Vorstandsmitglied Alexander Rosentalski (Foto). Digitale Technik wird jetzt auch bei den Bliesheimer Grünröcken Einzug halten. „Unsere Jugendabteilung ist wieder im Aufbau, ein erstes Treffen mit 15 bis 20 Leuten fand bereits statt, ebenso ein erstes Schießtraining“, berichtet Rosentalski.

Die alte Theke wurde abgerissen und eine imposante neue aus Holz aufgebaut. Dass das Schützenfest mit Festumzug und ausgelassener Stimmung so zwanglos wie einst gefeiert werden konnte, hätte der Verein sich so niemals vorstellen können. „Das Bier floss und die Tanzfläche war voll“, berichtet der Schütze. Und weil es beim Fest so schön war, konnte der Verein auch weiteren Zulauf vermelden.

Ein Dutzend neuer Mitglieder bei der inzwischen auf 200 Mitglieder angewachsenen Bruderschaft sei hinzugekommen. Schätzungsweise 80 bis 90 Prozent der Reparaturen erfolgten in Eigenleistung“, berichtet Rosentalski. Der Verein ging, für seine Auslagen in finanzielle Vorleistung und rechnet später mit dem Land ab.

Die Not habe die Menschen zusammengeschweißt, beobachtete Ortsbürgermeister Jüssen. „Aufgeben ist und war keine Alternative“, fügt er hinzu.

Mut und Optimismus sowie eine gute Portion Trotz stärken die Schützen. Passend zu dieser Haltung hatten sie auf dem Schützenfest Pins verkauft, entworfen vom Ordenhersteller Bley aus Bonn, dessen Designer Guido Ronig aus Bliesheim kommt.

Auf dem Pin ist ein fröhlicher Schütze abgebildet, in den Fluten stehend und in beiden Händen riesengroße Coronaviren haltend. Umrahmt ist das Bild mit dem Schriftzug: „Mer sinn immer noch do, do, do – Et jeht wigger. Mir sinn nit kapottzekrieje.“ Der Pin wurde gegen einen Obulus verkauft. Rosentalski: „Das Ding fand reißenden Absatz.“ (kom)