Fan-Serie Bayer 04Zusammenhalt über das Profigeschäft hinaus
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Im zweiten Teil unserer Serie über die "Familie in Schwarz-Rot" geht es um die Bedeutung der Traditionsmannschaft
Ex-Spieler Manfred Vetter erinnert sich gerne an die Zeit und zeigt Fotos aus seinem Buch
Teammanager Dirk Dreher ärgert sich darüber, dass Bayer 04 häufig die Tradition aberkannt wird
Leverkusen – 1975 hatte Manfred „Manni“ Vetter mit Bayer 04 Leverkusen abgeschlossen. Nach sechs Jahren in der ersten Mannschaft, 141 Pflichtspielen und dem Aufstieg in die 2. Fußball-Bundesliga ereilte ihn eine Leistenverletzung. Sein auslaufender Vertrag wurde nicht verlängert.
„Obwohl ich per Handschlag schon die Zusage für einen neuen Zwei-Jahres-Vertrag hatte“, wie sich der heute 69-Jährige schmerzlich erinnert. Zu einem anderen Verein zu gehen, das kam für den Mann, der zuvor beim SV Bergfried Fußballspielen gelernt und in der A-Jugend des 1. FC Köln gekickt hatte, nicht in Frage. Also: Karriereende. Mit 25 Jahren.
„Danach war zehn Jahre lang Funkstille“, sagt Vetter. Zu Spielen seiner ehemaligen Mannschaft sei er nicht mehr gegangen – zu groß war die Enttäuschung gewesen. Heute besucht er fast jedes Heimspiel – zumindest war das vor Corona so. Was ihn zurückholte in die Bayer-Familie, war die Traditionsmannschaft. „Die war über 20 Jahre mein Lebensinhalt“, sagt Vetter mit leuchtenden Augen.
Die Traditionsmannschaft wurde offiziell 1992 von Heinz Heitmann ehrenamtlich gegründet. Bereits 1959 wurde vom Torhüter Fredy Mutz eine Altherrenmannschaft ins Leben gerufen, die in die Traditionsmannschaft überging. In beiden spielten lange viele Spieler der 75er und 79er Aufstiegsmannschaft.
Das Team wurde in den vergangenen Jahren mehrfach inoffizieller Deutscher Meister für Altherren-Mannschaften, vier Mal Westdeutscher Meister für Ü-40-Mannschaften, elf Mal Mittelrheinmeister und nahm an vielen hochkarätig besetzten internationalen Turnieren und Benefizspielen teil.
Aktuell ist Dirk Dreher Manager der Traditionsmannschaft, Trainer ist Gerd „Ömmes“ Kentschke. Aktuelle Spieler sind unter anderem Jens Nowotny, Carsten Ramelow, Simon Rolfes und Ulf Kirsten.
Am Samstag, 3. Oktober, tritt die Traditionsmannschaft im Deutschen Ü40-Pokal bei der rheinland-pfälzischen SG Hoppstädten-Weiersbach an. Es geht um den Einzug in die Runde der letzten Acht. Es ist das erste Spiel seit der Corona-Unterbrechung im März. (stes)
Natürlich könnte ein Verein wie Bayer 04 Leverkusen sagen: Unser Geschäft ist der Profifußball, hier gibt es Geld und europaweite Anerkennung – und wer da nicht mehr mithalten kann, ist raus. Tut er aber nicht. „Es war schon immer so, dass der Verein die Traditionsmannschaft gut begleitet und unterstützt hat“, sagt Dirk Dreher, Manager genau dieses Teams. Ein großer Teil seiner Arbeit sei es, den Kontakt zu den ehemaligen Spielern zu halten – zu den Alten aus der Zeit Vetters ebenso, wie zu den kürzlich hinzugekommenen wie Philipp Wollscheid, der mit 31 Jahren das derzeit jüngste Mitglied der Traditionsmannschaft stellt.
Verkannte Tradition
„Die Tradition von Bayer 04 Leverkusen wird in Deutschland oft verkannt“, ärgert sich Dreher. „Wir haben es vielleicht nie geschafft, Deutscher Meister zu werden. Aber wir haben viel geleistet. Wir sind seit mehr als 40 Jahren in der Bundesliga und haben viele große Spieler herausgebracht.“ Deswegen sei es dem Verein auch wichtig, Tradition zu pflegen. Und die Bindung zu jenen zu halten, die Teil dieser Tradition seien und davon in der Welt berichten könnten. Deswegen lädt Bayer 04 seine Traditionsmannschaft auch einmal pro Jahr zu einer Auswärtsreise der Profis ein, stellt ein Kartenkontingent für Heimspiele – und rüstet die Mannschaft mit Vereinskleidung aus.
Geld gibt es für die Spieler nicht, egal ob sie mal Nationalspieler waren oder aus der Amateurmannschaft kommen, das ist Dreher ganz wichtig. Bis auf ihn, der beim Verein angestellt ist, läuft die Mannschaft ehrenamtlich auf. Dadurch, dass auch Sportdirektor Simon Rolfes und Stefan Kießling, Referent der Geschäftsführung Sport, gelegentlich mitkicken, bestehe ein noch engerer Kontakt zwischen Profiabteilung und der Traditionsmannschaft.
An die gemeinsamen Reisen erinnert sich auch Vetter sehr gerne. In Benefiz- und Turnierspielen hat seine Mannschaft Viel gewonnen. Wichtiger war und ist aber das Zusammensein. „Im Fußball waren wir Spitzenklasse, im Feiern Weltklasse“, sagt er mit einem Augenzwinkern. Ob Barcelona oder Wien – das Team hat jedes Nachtleben unsicher gemacht. Unzählige Erinnerungen, Zeitungsartikel und Fotos haben sich über die Jahre angesammelt. Und die hat Vetter nun in zwei Büchern zusammengestellt: Eines erzählt von seiner Karriere. Und eines ist der Traditionsmannschaft gewidmet, die vor 60 Jahren als Altherrenmannschaft von Fredy Mutz gegründet wurde. Bislang sind beide Bücher Unikate in Privatbesitz.
Über seine zweite Familie bei Bayer 04 ist er sehr glücklich. Nur wenn er den Begriff „Werkself“ im Zusammenhang mit der aktuellen Profimannschaft hört, ärgert ihn das: „Das ist keine Werkself. Wir waren eine Werkself“, sagt der 69-Jährige und betont das „Wir“. Denn natürlich wurden auch in den 70er Jahren Spieler häufig für den Sport freigestellt. Er sei aber oft zwischen zwei Trainingseinheiten am Tag ins Werk gekommen, um seinem Beruf „beim Bayer“ nachzugehen – zunächst als Rohrschlosser, später als technischer Zeichner. „Um 8 Uhr ins Werk. Um 10 Uhr auf den Trainingsplatz. Von 12 bis 14.30 Uhr zurück an die Arbeit. Und dann wieder zum Training. So war das früher.“ Doch auch wenn Profispieler heute keinen Bezug mehr zum Werk haben, so ist die „Werkself“ dennoch Teil der Tradition, die der Verein behutsam pflegt.