Leverkusener Jäger„Jagd ist eine Lebensentscheidung, Sie machen es nicht mal eben so“
Leverkusen – Ernst Stephan Kelter und Ralph Müller-Schallenberg teilen sich nicht nur die Räumlichkeiten ihrer Anwaltskanzleien in Opladen, sie sind beide auch überzeugte Jäger. Worum es in dem politischen Forst-Jäger-Konflikt geht, welche besondere Lage der Bürgerbusch hat und warum nach Fleischskandalen das Interesse an der Jagd steigt, erzählen sie hier.
Warum wird man heutzutage Jäger?
Ernst Stephan Kelter: Die Menschen interessieren sich für die Jagd, weil sie sich für die Natur interessieren: Wovon lebe ich eigentlich, was esse ich und wie wird das produziert? Wir merken parallel zu der Diskussion über unsere Lebensmittelproduktion und Massentierhaltung, auch jetzt in der Corona-Krise bei der Debatte um die Bedingungen in Schlachthöfen wie Tönnies, dass hinterfragt wird: Was kaufe ich eigentlich an der Fleischtheke? Hier ist die Jagd eine klare Alternative. Auch das Interesse von Frauen nimmt in den letzten Jahren übrigens zu. Wir haben schon seit einigen Jahren 30 bis 35 Prozent Frauen in unserer Jägerschule, die wir gemeinsam mit dem Jagdverband Köln betreiben.
Ralph Müller-Schallenberg: Ich habe das Gefühl, dass die weiblichen Mitglieder noch sensibler mit dem Thema Jagd umgehen. Meine Tochter ist 19 Jahre alt und hat mit 15 die Prüfung absolviert. Sie jagt sehr verantwortungsbewusst und überlegt sich dreimal, ob sie ein Tier erlegt, ob sie genau dieses Tier erlegt oder welches aus einer Gruppe; das wird immer auf dem Hochsitz diskutiert. In der Bevölkerung sieht man häufig das Bild: Ein Jäger geht raus, ein Tier erscheint vor der Linse, das wird dann „umgelegt“. Ich sitze 50 Mal auf dem Hochsitz, davon benutze ich meine Waffe fünf oder zehn Mal. Wir schießen nicht tot, was wir sehen. Wir selektieren.
Kelter: Oft wird der Jagd auch das Etikett des „Elitären“ angeheftet. So nach dem Motto: Da kommen die oberen Zehntausend und frönen ihrer Leidenschaft. Das ist definitiv nicht der Fall. Jagdscheininhaber finden sich in allen Berufsschichten, hier kommen die unterschiedlichsten Charaktere und Typen zusammen.
Essen Sie auch Ihr selbst geschossenes Fleisch?
Müller-Schallenberg: Selbstverständlich, bei uns sind die Truhen voll. Wir geben das auch weiter oder verkaufen es.
Warum sind Sie Jäger geworden?
Kelter: Ich habe seit bald 16 Jahren den Jagdschein, bei mir gab es ein grundsätzliches Interesse an der Natur, rauszukommen. Hinzu kommt: Mein Schwiegervater war über 40 Jahre Geschäftsführer einer Jagdgenossenschaft, die Reviere verpachtet. Er hat mich mitgenommen. Jagen ist Handwerk: Da haben Sie eine ganze Palette von Tätigkeiten, die heute beruflich getrennt sind: Von Landwirt über Zimmermann (für die Hochsitze) bis hin zu Fleischer. Diese Fertigkeiten muss man sich als Jäger aneignen. Jagd ist eine Lebensentscheidung, Sie machen es nicht „mal eben so“.
Müller-Schallenberg: Ich bin in die Jagd hineingewachsen. Mein Onkel hatte in Rheindorf ein Jagdrevier gepachtet. Ich bin auch gebürtig aus Rheindorf und schon als kleiner Junge mitgegangen und musste immer die erlegten Hasen über der Schulter tragen, die gingen mir damals fast bis zum Boden. Meinen Jagdschein hab ich 1980 gemacht. Wenn Sie so eine Jägerfamilie haben wie ich – Tochter und Frau jagen auch – ist das Thema tägliches Gespräch.
Wie sehen Sie die Rolle der Jäger beim Thema Waldschutz, über die zurzeit debattiert wird?
Müller-Schallenberg: Wir haben den Klimawandel, wir haben den Borkenkäfer, wir haben das Waldsterben: das nun offenkundig ist. Auch wir Jäger wollen wieder einen gesunden Wald haben. Wie lässt sich die Aufforstung also am besten gestalten? Im Bundesjagdgesetz, das gerade novelliert wird, geht es um das Rehwild: Natürlich verbeißt das Wild Anpflanzungen, sprich: frisst die jungen Triebe. Das sind ja Leckereien für die Tiere. Die Förster sorgen sich, dass alle Neupflanzungen verbissen werden und es nicht klappt mit der Wiederaufforstung. Sie fordern eine Verjüngung ohne Schutzmaßnahmen wie Umzäunung. Die Jägerschaft geht die Intention der Aufforstung mit. Wir sagen nur: Auch das Rehwild muss ein Nahrungsangebot haben.
Die Position des Jagdverbands wird scharf kritisiert. Erfahren Sie hier mehr über die Hintergründe
Das klingt so, als seien Sie Tierschützer. Kritiker sagen, es gehe vielen Jägern nur um das Hobby und das Trophäensammeln.
Müller-Schallenberg: Das ist so nicht richtig. Wir haben einen gesetzlichen Hegeauftrag. Dazu gehört auch, den Wildbestand gleich zu halten. Wir erlegen in Deutschland 1,5 Millionen Rehe pro Jahr und 800.000 Wildschweine, ohne die Jagd würden sich all diese Tier sonst unreguliert vermehren. Dann hätten Sie nicht mehr ein Wildschwein im Wald oder Garten, sondern ein Wildschwein auf dem Schoß! Natürlich geht der Jäger mit Freude zur Jagd. Ich jage seit 41 Jahren, bin seit über 30 Jahren Jagdpächter und betreue ein Revier. Ich freue mich nicht nur über ein kapitales Stück Wild mit einer tollen Trophäe, sondern auch, wenn ich ein weibliches Tier oder ein Kitz erlege, weil ich damit meinem gesetzlichen Auftrag nachkomme.
Wie positionieren Sie sich zu den Förstern?
Ernst Stephan Kelter: In der Praxis müssen alle zusammenarbeiten: Jäger, Förster, aber auch die Landwirtschaft muss man in den Blick nehmen. Denn die Waldschäden gehen auch auf Fragestellungen zurück wie: Kann das Wild denn aus dem Wald heraus, um zu äsen, oder wird es dorthin zurückgedrängt? Zum Beispiel, weil Neubaugebiete immer weiter in Bereiche dringen, wo Wildtiere leben. Das heißt die Verbissschäden im Wald haben ihre Ursache auch darin, dass der Lebensraum für die Tiere immer kleiner wird. In Leverkusen haben wir Paradebeispiel für unterschiedliche Bereiche: Der Bürgerbusch ist eine Waldinsellage, er ist fast vollständig von Bebauung umgeben, hier sind die Tiere tatsächlich darauf angewiesen, im Bürgerbusch selbst Nahrung zu finden. Dadurch kommt es hier zu einem höheren Verbiss als anderswo. Richtung Bergisch Neukirchen oder Steinbüchel gibt es noch einen Wechsel zwischen Wald, Wiesen und Landwirtschaft. Hier gibt es mehr Möglichkeiten, den vermeintlichen Wald-Wild-Konflikt aufzulösen.
Was wird in Leverkusen gejagt?
Kelter: Hauptsächlich Rehwild und Schwarzwild, also Rehe und Wildschweine. Wir haben hier kein Vorkommen von Rotwild, Hirsche kommen in unseren Breitengraden nicht vor. Hinzukommen Hase, Kaninchen und Fuchs, Dachs, Fasanen, Tauben und Krähen.
Wie viele Jäger hat die Leverkusener Kreisjägerschaft aktuell?
Kelter: 400 Jägerinnen und Jäger leben hier in Leverkusen. Das bedeutet nicht, dass hier alle 400 Personen jagen. Um zu jagen, muss man ein Revier anpachten oder eingeladen werden. Als Beispiel: Der Bürgerbusch ist ein Eigenjagdbezirk, aktuell in Privatbesitz, er wurde bislang an ein Ehepaar verpachtet, das nun leider verstorben ist. Wir gehen davon aus, dass zum Anfang der Jagdsaison Anfang April das Gebiet wieder verpachtet ist.
Das könnte Sie auch interessieren:
Wo wird gejagt?
Insgesamt gibt es sieben Jagdreviere in Leverkusen: Bürgerbusch, Rheindorf, Scherfenbrand, Steinbüchel/Mathildenhof, Opladen und zwei in Bergisch Neukirchen. Die Gebiete werden für neun Jahre verpachtet. Ernst Stephan Kelter jagt in der Eifel Rotwild. Müller-Schallenberg hat ein Revier im Taunus gepachtet und jagt Schwarz- und Rehwild, wenig Dammwild. Ralph Müller-Schallenberg (61) ist Vizepräsident des Bundesjagdverbands, einer von mehreren Interessengemeinschaften, die sich für die Belange der Jäger einsetzen. Ernst Stephan Kelter (45), geboren in Bergisch Gladbach, ist nahe des Bürgerbuschs groß geworden. Aktuell ist er Chef der Leverkusener Jägerschaft. Beide sind Rechtsanwälte und haben sich über die Jagd kennengelernt. (aga)