Stauende übersehenLkw-Fahrer 42 Monate nach Todesfahrt auf A1 verurteilt
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Im Mai 2016 stirbt ein Mann, weil ein Lkw auf der A1 ungebremst in das gut sichtbare Stauende rast.
Erst dreieinhalb Jahre später beginnt der Prozess, wofür sich der Richter persönlich entschuldigt.
Es gibt Hinweise, dass der Fahrer während der Fahrt eine Zeitschrift gelesen hat.
Leverkusen – War es ein Sekundenschlaf? Hat der Fahrer während der Fahrt eine Zeitschrift gelesen? Gab es gesundheitliche Beeinträchtigung? Abschließend klären kann das Leverkusener Amtsgericht diese Fragen nicht. Klar ist aber: Marcel G. war unaufmerksam, sonst hätte er das Stauende nicht übersehen, auf das er mit seinem Lkw nahezu ungebremst aufgefahren ist. Ein 22-jähriger Mann ist dabei gestorben, zwei Menschen wurden schwer verletzt und viele Beteiligte, inklusive der Angehörigen, sind bis heute traumatisiert.
Marcel G. wird am Dienstag wegen fahrlässiger Tötung und Körperverletzung zu acht Monaten auf Bewährung plus Ausgleichszahlungen an die Hinterbliebenen verurteilt.
Dreieinhalb Jahre bis zum Prozess
Der folgenschwere Unfall geschah am 30. Mai 2016 – vor dreieinhalb Jahren. „Ich möchte mich persönlich bei Ihnen entschuldigen, dass das so lange gedauert hat“, sagt Richter Torsten Heymann zu Beginn. Ein Krankenfall habe die Abteilung durcheinandergebracht und dann sei die Akte „mehrfach außer Kontrolle geraten“. Normalerweise sollte solch ein Fall spätestens nach einem Jahr verhandelt werden.
Besonders für die Mutter des Getöteten war die lange Wartezeit eine Tortur. Ein Taschentuch fest umklammert sitzt sie mit gesenktem Blick als Nebenklägerin im Gericht. Der Angeklagte will sich nicht zu dem Unfall äußern, macht nur Angaben zur Person und Krankheitsgeschichte. An den Unfall selbst habe der 31-Jährige keine Erinnerungen, sagt sein Anwalt.Die Beweisaufnahme wird dadurch erschwert, dass einige Zeugen erkrankt sind, darunter beide Polizisten, die zuerst am Unfallort waren.
So wird vieles den Akten entnommen: Dass Marcel G. auf der A 1 in Fahrtrichtung Köln mit einer Geschwindigkeit von 86 km/h unterwegs war. Dass der übliche Lkw-Stau kurz nach der Abfahrt Burscheid auf der rechten Spur weithin sichtbar war, wie Zeugen bestätigen. Dass G.s Lkw beim Zeitpunkt des Aufpralls immer noch 79 km/h hatte. Dass neben dem Wohnmobil, das der Getötete gefahren hatte, auch noch ein Sattelzug, ein weiterer Lkw sowie zwei Pkws in den Unfall verwickelt wurden.Brisant ist die Aussage eines Polizeibeamten, der den Unfall-Lkw auf eventuelle technische Fehler untersucht hatte. Diese konnte er nicht finden, die Bremsen waren neu und funktionstüchtig.
Eine Zeitschrift am Lenkrad
Sehr wohl hat er aber eine „Auto Bild“ zwischen Lenkrad und Windschutzscheibe gefunden. „Es hatte den Anschein, als sei sie dort bewusst hingelegt worden“, sagt der Beamte. Der Verdacht, dass der Fahrer während der Fahrt in der Zeitschrift gelesen habe, liege nahe. „Ich habe schon Fahrer gesehen, die unterwegs Geige oder Querflöte spielen“, berichtet der Beamte. Dennoch bleibt es bei dem Verdacht. Insgesamt kann G. kein Fehlverhalten nachgewiesen werden: Alkohol- und Drogentest waren negativ, die Fahrt- und Ruhezeiten wurden eingehalten, die Geschwindigkeit war nicht zu hoch.
Bleibt die Frage, warum er nicht gebremst hat. Die bekannte Diabetes-Erkrankung konnte als Ursache mit ziemlicher Sicherheit ausgeschlossen werden. Eine nachträglich festgestellte Schlaf-Apnoe, die zu schlechtem Nachtschlaf und damit verbundener Müdigkeit führt, könnten dagegen ein Auslöser für einen Sekundenschlaf gewesen sein. Aber auch dann habe G. seine Sorgfaltspflicht verletzt, sagte der Richter in seiner Urteilsbegründung: „Sie hätten vorher anhalten müssen.“
Die Staatsanwältin spricht von einem „Augenblicksversagen“, das in diesem Fall fatale Folgen gehabt hat. Weil der Angeklagte vorher noch nie aufgefallen ist und nicht einmal einen Punkt in Flensburg hat, wurde die Strafe auf Bewährung ausgesetzt, für einen Zeitraum von drei Jahren.
Späte Entschuldigung
Nachdem der Anwalt der Mutter den Angeklagten scharf dafür kritisiert hat, dass er sich weder im Vorfeld noch im Verfahren bei den Hinterbliebenen entschuldigt hat, ergreift G. dann doch noch sein Schlusswort. „Ich habe keine Erklärung dafür, wie das passieren konnte. Und es tut mir unendlich leid. Ich habe nicht gewollt, dass jemand getötet wird, ich wollte nur meine Arbeit machen.“ Der Vater schaut ihm dabei in die Augen. Die Mutter starrt auf den Tisch vor sich.