Weg von Party und BallermannImmer mehr Karnevalsvereine wollen zurück zur Tradition
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„Einen Karneval, bei dem die Leute eben gerne die Klappe halten, wenn um 22 Uhr ein Büttenredner auf die Bühne kommt“, fordert Martin Steinkühler von den Altstadtfunken.
Immer mehr Vereine wollen weg von der reinen Party, wieder zurück zu den Traditionen.
Auch familiengerechter wollen einige werden, wie die KG Pappnas un Familich.
Unser Autor Frank Weiffen beleuchtet die Entwicklung: Wohin entwickelt sich der (Leverkusener) Karneval?
Leverkusen – Vor genau 20 Jahren – pünktlich zum neuen Jahrtausend – änderte sich der Karneval grundlegend. Damals wusste das freilich noch niemand. Doch heute steht fest: Es brauchte dafür nur einen einzigen Song. „Superjeile Zick“. Brings, die Kölschrocker aus der Kölner Südstadt, die eine Dekade lang mit leidlichem Erfolg dem seriösen Rock gehuldigt hatten, standen urplötzlich im jecken Rampenlicht – und verschwanden seitdem auch nie wieder daraus. „Superjeile Zick“ schepperte plötzlich durch Kneipen und dröhnte durch Festsäle. Die Raderdollen und Knatschverdötschten unter den Menschen waren angefixt von einer Musik, die so anders war als alles, was vorher zu hören gewesen war im Fasteleer. Kurzum: Brings waren die, die als Erste die Party brachten. Eine Party, die bis heute saust. Denn ihnen folgten irgendwann Kasalla. Und Cat Ballou. Und Querbeat. Und Miljö. Und die Domstürmer. Und noch viele andere. Indes: Nach 20 Jahren könnte nun die nächste Ära anbrechen.
Es ist die der Rückbesinnung. Die superjeile Party-Zick steht am Scheideweg. Auch in Leverkusen und Umgebung sind die Zeichen dafür unverkennbar. Das wurde spätestens Anfang des Jahres deutlich, als die Rheindorfer Burgknappen erstmals ihren karnevalistischen Rednerfrühschoppen veranstalteten: Knapp fünf Stunden lang traten im Saal Norhausen an der Felderstraße – normalerweise durchaus für lautstarke Feiern bekannt – ausschließlich Redner wie Ne Kölsche Schutzmann, Ne Bergische Jung oder Sitzungspräsident Volker Weininger auf.
Hagen Norhausen, Präsident der Burgknappen, erklärte diese Veranstaltung damit, dass sich immer mehr Menschen wieder einen traditionellen Karneval abseits von Musikpartys wünschten. Als Abwechslung. Und traditionell in dem Sinne, dass sich die fünfte Jahreszeit auf eine ihrer wichtigsten ursprünglichen Aufgaben zurückbesinne: das Aufbegehren gegen die Obrigkeit mittels humoristischer Reden.
Und nicht nur der Zuhörerzuspruch gibt den Burgknappen recht – der Saal war ausverkauft. Recht gibt ihnen auch einer wie Uwe Krause als Präsident des Festkomitees Leverkusener Karneval (FLK). Der war selber vor Ort. „Und das war der absolute Knaller“, sagt er. Diese Entwicklung sei schön. Überspitzt gesagt: „Dass nicht alles in Richtung Ballermann läuft.“
Traditionssitzung ausverkauft
Musik und Party müsse es zwar auch weiterhin geben. Aber das Ursprüngliche dürfe nicht aus den Augen verloren respektive müsse wieder gleichberechtigt in den Fokus gerückt werden.
Ähnlich wie die Burgknappen tun dies auch die Mitglieder der KG Wupperveilchen mit ihrer „Anno Pief“-Sitzung. Oder die Altstadtfunken mit ihrer Traditionssitzung, die in diesem Jahr bereits zum zweiten Mal über die Bühne ging. Ausverkauft. Mit Rednern. Und mit Musikgruppen, die nach Aussage des Ersten Vorsitzenden Martin Steinkühler „etwas leiser und beschaulicher sind“. „Es ist ein Karneval der leisen Töne, den es auch wieder geben muss. Ein Karneval, bei dem die Leute eben gerne die Klappe halten, wenn um 22 Uhr ein Büttenredner auf die Bühne kommt“, sagt er lachend. Egal ob Ostermann-Arena in Leverkusen oder Lachende Köln-Arena: Party sei zwar wichtig und in Ordnung. „Keine Frage. Die Leute gehen ja auch dahin.“ Aber dieser, wenn man so wolle, ursprünglich politische Karneval sei das ebenso. Dieses Till-Eulenspiegel-Ding, bei dem die Menschen – und allen voran die Mächtigen – eben den Spiegel vorgehalten bekämen. Die Traditionssitzung für 2021 jedenfalls ist bereits ausverkauft.
Eine andere Art des Karnevals abseits der Musikpartys hat in Leichlingen Bernd Voss mit seinen Freunden und Bekannten initiiert: Die gründeten im Mai 2019 die Karnevalsgesellschaft Pappnas un Familich als eigenen Verein. Der Grund: „Wir wollen den Karneval familiengerechter gestalten“, erklärt Bernd Voss. Er war selber 22 Jahre lang aktiv in einer großen KG – in diesem Fall in der der Handballfründe aus der Blütenstadt. Aber als sein Sohn ihn irgendwann einmal fragte, ob sie nicht mal gemeinsam feiern und beim Zoch mitmachen könnten, da sei ihm ein Licht aufgegangen und diese Idee gekommen.
„Er hatte ja recht: Die Sitzungen finden immer viel zu spät statt.“ Das Programm sei zudem – natürlich – auf Erwachsene ausgelegt. „Also wollten wir nun selber etwas auf die Beine stellen, um auch den Nachwuchs an den Karneval heranzuführen.“ Etwa mit dem gemeinsamen Besuch des Zuges. Mit Sommerfesten. Mit Puppenspielen rund um den Karneval. Und mit Dingen, die man in Zukunft noch entwickeln werde. Fest stehe: „Das, was wir machen, wird gut aufgenommen.“ Sponsoren wie alteingesessene Karnevalisten zeigten sich begeistert von der KG Pappnas un Familich, die mittlerweile mehrere Generationen sowie mehr als 40 Mitglieder verzeichne. Gezahlt wird für die Mitgliedschaft erst ab dem 18. Lebensjahr. Und: „Unsere Mitgliedsanträge bekommen wir auch schonmal ins Kindergartenfach der Kinder gelegt“, weiß Bernd Voss zu berichten. „Das zeigt, dass wir tatsächlich ein wenig anders sind.“
Auf der Künstlerseite – zudem auf der des Musikers, der auch mal spielend leicht jecke Partys loszutreten vermag – steht letztlich einer wie der Höhner-Frontmann Henning Krautmacher. Der Schlebuscher ist jemand, der problemlos beide Seiten der karnevalistischen Bestrebungen verstehen kann: die Musik-Sause und die der traditionellen, der ursprünglichen, der ruhigeren Art. „Die Popularität von Bands wie Brings ist absolut berechtigt. Dafür gibt es ein Publikum“, sagt Henning Krautmacher. Dieses Publikum sei zwar meist ein jüngeres. Aber das würde genau dadurch eben auch an den Karneval generell herangeführt. Aber genauso gebe es eben auch ein Publikum für diejenigen, die im Fasteleer in der Bütt stehen und der humoristischen Rede frönten. Und: Man dürfe dabei nicht vergessen, dass im Prinzip ja genau das auch viele Musiker täten: „Auch wir erzählen Geschichten. Geschichten über das Leben.“ Manche seien lustig, andere melancholisch. „Und manche durchaus kritisch. Darauf achten wir seit jeher.“
Und all das zeige: Es geht sowohl laut als auch leise. Am wichtigsten sei ohnehin die Maxime des „Jeck loss Jeck elans“ – Jeder solle das machen, was ihm gefalle. Das sei dann tatsächlich alternativlos.