Video-FlutprotokolleSo geht es den Betroffenen ein Jahr nach dem Hochwasser
- Ein Jahr nach der Flut haben wir Betroffene der Flutkatastrophe noch einmal besucht.
- Wie geht es ihnen heute? Was hat sich in den vergangenen zwölf Monaten getan?
- Auch in den kommenden Tagen und Wochen werden die „Flutprotokolle“ fortlaufend aktualisiert.
Rhein-Erft-Kreis/Kreis Euskirchen – Wie geht es den betroffenen Menschen in der Region nach der verheerenden Flutkatastrophe im Juli 2021? In den „Flutprotokollen“ lassen wir sie selbst vor Ort vor der Videokamera erzählen.
Für dieses Video-Format sind der „Kölner Stadt-Anzeiger“ und die „Kölnische Rundschau“ mit dem renommierten Theodor-Wolff-Preis als deutschlandweit bestes lokales Digitalprojekt ausgezeichnet worden.
Familie Spoo aus Erftstadt-Blessem hat durch die Flut alles verloren
Die Flut hat den Hof der Familie von Beate und Martin Spoo mitten in Blessem schwer getroffen. Die Hofanlage gehört seit 1880 der Familie von Beate Spoo. Vor vier Jahrzehnten hatte das Ehepaar begonnen, ihn als Reitstall zu etablieren. „Der Schock wegen des Erlebten in den Tagen der Flut ist, glaube ich, vorbei. Man hat sich an die neue Lage irgendwie gewöhnt. Doch der Wiederaufbau gestaltet sich nicht einfach. Denn durch die Flut hat alles an Bestandsschutz verloren. Wir müssen also beim Wiederaufbau die neuen Vorschriften für Brandschutz, Emissionsschutz und Wasserschutz berücksichtigen“, erklärt Beate Spoo. Die Familie steckt bereits mittendrin im Wiederaufbau.
Froh ist sie, dass alle 40 Pferde gerettet werden konnten und sie so wahnsinnige Hilfsbereitschaft von so vielen Menschen und Organisationen erlebt hat. Angst, dass in Blessem erneut ein Hochwasser ihr Zuhause zerstören könnte, hat sie nicht. „Der Ort hat Zukunft. Es sei denn, das käme schon übermorgen.“
Birgit Junctorius aus Kall gönnt ihren Nachbarn, dass sie zurück kommen
Die Flutnacht hat Birgit Junctorius mit ihrer Familie hüfthoch im Wasser stehend auf den Stufen vor ihrem Haus verbracht, während sie dabei zusehen musste, wie ihre Wohnung im Souterrain und die Wohnung ihrer Eltern im Erdgeschoss voll Wasser liefen.
Bis Ende des Jahres soll die erste Wohnung fertig sein. „Wir können nur noch bis Ende Mai in unserer Notunterkunft sein“, so Junctorius. Umso mehr freute es sie, dass die Nachbarn schon wieder eingezogen sind. „Es ist natürlich emotional, weil man es selber nicht hat, aber man gönnt es ihnen einfach, dass sie zurück kommen. Man freut sich wirklich.“
Marietta Thien, Weilerswist: „Wir hatten mehr als Bautrockner auf dem Hof“
„Wir haben viel geschafft, das muss man wirklich sagen. Aber man muss auch feststellen: Es bleibt noch viel zu tun“, fasst Marietta Thien, Leiterin des Velbrück-Verlags, das vergangene Jahr zusammen. Im November habe sie noch gehofft, Anfang 2022 in die Verlagsräume im Erdgeschoss zurückzukehren.
Doch wer sich heute auf dem Kulturhof Velbrück umschaut, bemerkt: Nach wie vor ist hinter vielen Fenstern noch eine Baustelle. Der Grund sei gewesen, dass die Wände langsamer trockneten als erwartet: „Die Bautrockner waren bis Ende März im Einsatz. Wir hatten mehr als 15 hier auf dem Hof.“
Peter Lethert, Galerist in Bad Münstereifel
Peter Lethert vermisst zwei Sachen seit der Flut: „Zum einen meine Ausstellungstätigkeit in meiner Galerie“, sagt er. Zum anderen den Blick aus dem Fenster. Mit seiner Galerie ist er direkt in der Innenstadt in Bad Münstereifel, der Wertherstraße, hat die Erft im Blick und normalerweise auch das rege Treiben auf der Straße mit all den Touristen und Einkaufswilligen.
Seit einem Jahr bestimmen nicht die Blumen auf der Erftmauer das Bild das Lethert sieht, wenn er aus dem Fenster schaut, sondern zerstörte Straßen und Handwerker, sagt er.
15. Januar 2022: Die Rückhaltebecken bei Horchheim und Niederberg waren beim Hochwasser so voll wie nie zuvor
Das war knapp. Richtig knapp. Als im Juli die Hochwasserwelle Erft und Rotbach über die Ufer treten ließ, liefen die Rückhaltebecken bei Erftstadt-Niederberg und Weilerswist-Horchheim so voll wie nie zuvor.
In Niederberg stand das Wasser 40 Zentimeter unter der Deichkrone, in Horchheim floss es über den Damm. Aber: „Die Dämme haben gehalten“, sagt Ulrich Muris, Abteilungsleiter Gewässerbetrieb beim Erftverband. Immer wieder hatte es während und nach der Katastrophe Gerüchte gegeben, der Horchheimer Deich sei gebrochen, das Niederberger Becken übergelaufen.
Beim Treffen mit dem Diplom-Ingenieur in diesen Januartagen in Horchheim zeigt sich das Hochwasserrückhaltebecken von seiner idyllischen Seite. Ganz und gar harmlos fließt die Erft dahin, Gräser und Sträucher in der flachen Senke glitzern bereift in der Wintersonne. Schwer vorstellbar, dass im Juli das Wasser vor und hinter dem Damm nahezu gleich hoch stand. Neben dem Auslauf ist zu sehen, wie tief sich das Wasser, das über den Deich geströmt war, dort hineingefressen hat. Rückschreitende Erosion nennt man das.
„Normalerweise ist Überströmen das Todesurteil für einen Damm“, sagt Muris. Dass er in diesem Fall gehalten habe, liege einerseits an den flachen Böschungen, andererseits am Kern aus Lehm. Die ausgewaschene Stelle ist mittlerweile mit Wasserbausteinen aufgefüllt, das Betonbauwerk wurde untersucht. Muris zeigt die Messpunkte auf dem Deich, anhand derer regelmäßig überprüft wird, ob er sich bewegt hat. Die Wassermassen haben die Fenster der Leitwarte im Durchlassbauwerk eingedrückt und dort die Elektrik zerstört.
Mindestens 230 Kubikmeter Wasser pro Sekunde sind bei der Flut in das Becken geströmt, das rund 1,3 Millionen Kubikmeter fasst. „Das Niederberger Becken ist glimpflicher davongekommen“, sagt Muris. Es fasst rund eine Million Kubikmeter Wasser, bis zu 78 Kubikmeter pro Sekunde flossen ein. Ein Luftbild des Erftverbandes zeigt, wie das Wasser die Notentlastung überströmt. Zu sehen ist eine Wand vor dem Durchlass. Am Morgen des 15. Juli wurden die Durchlässe geöffnet, um zu verhindern, dass der Damm überflutet wird.
Beide Becken haben jeweils zwei Tore, die regulieren, wie viel Wasser in die Erft beziehungsweise Rotbach abfließen. Diese Tore, Segmentschütze genannt, werden abgesenkt, wenn die Becken eingestaut werden, und hochgefahren, wenn das Wasser abfließen soll. Das kann man übrigens auch von Hand, wenn, wie in Horchheim, die Elektrik ausfällt. Normalerweise werden die Tore automatisch gesteuert.
Die in Horchheim verkleinern den Durchlass, wenn die Erft 30 Kubikmeter Wasser pro Sekunde führt, in Niederberg passiert das, wenn der Rotbach auf 20 Kubikmeter pro Sekunde angeschwollen ist.
22. Dezember 2021: Flutprotokoll Spezial aus Euskirchen-Roitzheim – Familie Breckel kann Weihnachten wieder im Haus feiern
Es riecht noch nach frischer Farbe im Haus von Familie Breckel. Kein Wunder, denn die sechsköpfige Familie, bestehend aus Eliana und Emilia (beide zwei Jahre alt), Alexander (elf), Mike (neun), Alex (37) und Tatjana (31) Breckel, wohnt erst seit wenigen Wochen wieder in ihrem Haus in Roitzheim. Das Zuhause der Familie wurde in der Flutnacht zerstört. „Der Morgen danach war ein Schock, als wir hier reingekommen sind. Wir konnten gar nichts mehr retten“, sagt Tatjana Breckel: „Wir haben von einem Tag auf den anderen alles verloren.“
Umso wichtiger sei es ihnen gewesen, Weihnachten wieder im Haus zu feiern – auch wenn es oft nicht so aussah, als würde das gelingen. „Klar war es nicht, aber es war natürlich ein Ziel. Aber wir konnten es nie sicher sagen. Es war immer ein auf und ab“, erinnert sich Tatjana Breckel. Nun steht der Tannenbaum geschmückt im Wohnzimmer, ein Adventskranz mit vier weißen Kerzen auf dem Esstisch und aus der Küche wird der Farbgeruch von dem frisch gebackener Plätzchen überdeckt. Auf den ersten Blick erinnert nichts mehr an die Flutkatastrophe.
90-Jährige spendet ihr Auto
Dieter Züll ist seit der Flut als Helfer im Einsatz. Weihnachten wird deswegen auch anders werden, berichtet er: „Ich feier’ auf jeden Fall nicht so wie in den vergangenen Jahren.“ Zwar werde er bei seiner Familie sein, die in der Eifel wohnt, aber: „Ich werde die Flutopfer nicht im Stich lassen und den ein oder anderen aufsuchen.“ Kurz vor Weihnachten hat er Stephanie Schmitt ein Auto organisiert: „Ich wurde gefragt, wer ein Auto gebrauchen kann und habe hier an die Familie gedacht“, sagt Züll.
Das Auto ist eine Spende von Margarete Breidenich aus Monschau. Die 90-Jährige hat sich entschlossen, kein Auto mehr zu fahren und den Kleinwagen an jemanden abzugeben, der von der Flut betroffen ist. „Es ist unglaublich und noch nicht real“, sagt Schmitt dankbar.
8. Dezember 2021: Flutprotokolle aus Gemünd: Provisorien – und ganz viel Hoffnung
Viel Arbeit und Leidenschaft hat Franz Lennartz in sein Haus an der Urft gesteckt. Den Anblick des zerstörten Zuhauses zu ertragen, fällt ihm deshalb schwer. Er hofft auf Unterstützung des Landes, um an anderer Stelle neu anzufangen.
Der Verlust vieler Produktionsmaschinen war ein schwerer Schlag für das Unternehmen Pro Pet und seine Geschäftsführer Markus und Michael Koller. Mit der Unterstützung von Mitarbeitern und freiwilligen Helfern beseitigten die beiden schnell die größten Schäden. Auch die Produktion läuft wieder. Viel zu tun gibt es trotzdem noch.
Klemens und Steffi Hensen wohnen nach der Flut praktisch in einem Rohbau. Das Kinderzimmer in der ersten Etage haben sie zu einem Wohnzimmer umfunktioniert, im Erdgeschoss gibt es nichts außer einer provisorischen Küche. Hoffnung gibt ihnen der im September geborene Enkelsohn.
Karneval so feiern, wie sie ihn vor der Flut gefeiert haben – mehr wollen René Gerhards und Andreas Mertens von der KG Rot-Weiss Gemünd im Moment nicht. Das Vereinsheim der Karnevalisten ist vom Hochwasser weggespült worden. Jetzt ist unklar, wann und wo ihre Veranstaltungen im nächsten Jahr stattfinden können.
Dieses Jahr sei das Weihnachtsfest ein anderes, sagt Fluthelfer Carlos Emunds. Viele Menschen hätten Angehörige, Auto oder Zuhause verloren. Emunds und andere Helfer organisieren deshalb kleine Aktionen in der Adventszeit, um den Gemündern für wenige Stunden Freude zu bereiten.
3. Dezember 2021: Ortstermin mit Ulrich Muris, Experte beim Erftverband, an der Kiesgrube in Blessem
Das Wetter tut alles, um aus dem trostlosen Szenario ein apokalyptisches zu machen. Der Wind treibt den Regen fast waagerecht vor sich her, manchmal sind die Böen so stark, dass sie Menschen aus dem Gleichgewicht bringen. Straßen und Wege sind eher eine Aneinanderreihung von Pfützen, Baumaschinen wühlen sich durch Schlamm. Ein Ortstermin mit Ulrich Muris, Abteilungsleiter Gewässer Betrieb beim Erftverband, am Ortsrand von Blessem, in einer Landschaft, die keine mehr ist.
„Die Erft hat hier binnen 20 Stunden eine Erosion vollbracht, für die die Natur normalerweise Jahrtausende gebraucht hätte“, sagt der Diplom-Ingenieur. Am Ufer der Erft, die still und friedlich strömt, erklärt er noch einmal den Ablauf der Katastrophe, die im Juli Häuser in die Tiefe gerissen und Menschen und Tiere in Lebensgefahr gebracht hat.
Dort, wo bis heute die Lücke in der Lärmschutzwand der Autobahn klafft, schwenkt das Flussbett nach rechts. Und genau hier ist die Erft Richtung Autobahn geströmt, hat die Lärmschutzwand untergraben, ihr Fundament zerstört, sodass die Wand ins Wasser kippte. Das Ufer des Flusses sei deutlich in Mitleidenschaft gezogen worden, Auskolkungen nennen Wasserbauer solche Aushöhlungen im Ufer oder am Grund eines Gewässers. Nach zwei Monaten habe der Erftverband das Ufer wiederhergestellt, mit Wasserbausteinen befestigt, verdichtet und mit einer Erdschicht bedeckt.
Berge der wuchtigen grauen Steine liegen am Rand – es gibt noch mehr zu tun. Der massive Ausbau des Ufers sei auch der Nähe zur Autobahn geschuldet: „Damit da in den nächsten tausend Jahren garantiert nichts mehr passiert.“
„Am Wochenende nach dem Unglück sind die Aufräumarbeiten gestartet“, berichtet Muris weiter, ein Haufen zeugt heute noch davon, dass hier Sperrmüll und Unrat, den das Wasser mitgerissen und dann zurückgelassen hatte, gesammelt wurde. Autos und Gartenhäuser, die damals hier lagen, sind längst weggeräumt.
Die Erft wird auch in Zukunft in ihrem bisherigen Bett fließen. Die Auenlandschaft, die dort entstehen soll, wo der Krater geklafft hat und zum Teil immer noch klafft, hat nichts mit einem sich schlängelnden Fluss zu tun, sondern ist als Überflutungsfläche gedacht. Nicht Aue, sondern Sekundäraue, das macht den Unterschied. „Wir reden da von Wasserständen von 50, maximal 70 Zentimetern“, sagt Muris. Wo der Streifen zwischen Fluss und Autobahn breiter wird, entsteht ebenfalls Überflutungsraum. Dort sei die Sekundäraue schon angelegt.
In Höhe der Baustelle, wo die Autobahn GmbH derzeit die Lärmschutzwand erneuern lässt, sei die Erft beim Hochwasser rund 35 Meter breit gewesen. Sie hat sich dann den Weg von der Autobahn weg gesucht, Richtung Blessem. Und da ist das passiert, was die Fachleute rückschreitende Erosion nennen. Das Wasser hat sich eingegraben, bis es schließlich zur Kiesgrube durchgebrochen ist. 120 bis 140 Meter sei der Strom breit gewesen, rund fünf Meter tief. Er habe unvorstellbare Massen an Kies, Sand und Erdreich mitgerissen. „Die Kiesgrube hatte vorher eine Tiefe von 60 Metern, anschließend nur noch von 30 Metern.“ Unter anderem ein rund 550 Meter langer Damm soll verhindern, dass so etwas noch einmal passiert. Er ist 1,20 bis 1,50 Meter hoch, „mit einem massiven Kern“ aus Löss-Lehm-Gemisch, mit Erde bedeckt. Zusätzlich bekommt er noch eine Abdeckung aus Kokosmattengegen Erosionsschäden – beispielsweise bei Platzregen –, und zur Erft hin erhält er eine Steinsicherung.
Der Durchbruch durch die Lärmschutzwand hat sich bei den Arbeiten als Vorteil erwiesen: So können die Lastwagen über die gesperrte Autobahn und eine Baustraße rollen.
Abbruchkanten gut sichtbar
Ende August waren viele Blessemer erneut in Angst, weil Wasser unter dem provisorischen Damm hindurchgeströmt war. Aus Sicht des Fachmanns war die Situation unkritisch. Kein Damm sei gebrochen gewesen, dass Wasser sei Richtung Kiesgrube abgeflossen.
Wenn man in dem Erosionskrater steht, kann man an den Abbruchkanten gut erkennen, wie das Wasser erst den Oberboden abgetragen hat. Dann kam der nackte Kies, der wenig Widerstand leistete. Zum Teil bildet er jetzt Hügel, die an eiszeitliche Muränen erinnern, überragt von schroffen Zinnen, wie Kliffs an der Meeresküste, wie die Rügener Kreidefelsen, nur ohne Kreide.
Am Freitag nach dem Unglück, so erzählt es Ulrich Muris, habe sich am Ortsrand von Blessem eine riesige Wasserfläche erstreckt. Dann sei das Wasser in die Kiesgrube geströmt, auch während der gesamten Nacht – zeitweise 80 Kubikmeter in der Sekunde. Am Freitag sei er mit einer Nottruppe des Erftverbandes vor Ort gewesen: „Wir waren erstaunt, dass der Wasserstand im Fluss wieder normal war.“ Zeitweilig war das Bett der Erft in Richtung Norden trocken gewesen. „Wir haben Vermutungen, aber noch keine belastbaren Zahlen, wie hoch das Wasser in Bedburg oder Bergheim gestanden hätte, wenn die Erft nicht hier abgebogen wäre.“
25. November 2021: Flutprotokolle aus Bad Münstereifel
Die Kernstadt Bad Münstereifels ist von dem verheerenden Hochwasser im Juli stark betroffen. Für unsere Video-Flutprotokolle haben wir fünf Menschen nach ihrer Geschichte, ihrer Situation und ihrer Zukunft gefragt.
Peter Lethert ist Galerist in Bad Münstereifel. Am Abend der Flut musste er dabei zusehen, wie das Wasser seine Galerie zerstörte. Im nächsten Jahr will er seine Galerie wiedereröffnen.
Elisa Mc Clellan wohnte mit ihrem Sohn in einem Bungalow mitten in der Innenstadt. „Zum Glück war ich nicht da an dem Abend”, sagt sie selbst. Denn sonst hätte sie die Flut vielleicht nicht überlebt. Heute ist sie dankbar für so viel Hilfe und Beistand, der aus ganz Deutschland kam.
Hubert Roth betreibt ein Haushaltswarengeschäft in der Innenstadt. Am Nachmittag der Flut versuchte er noch seine Waren zu retten - vergebens. Der Wiederaufbau raube ihm viel Kraft, sagt er. Trotzdem hat er seinen Laden schon wieder eröffnet.
Fotograf Theo Broere wurde am Abend der Flut vom Wasser mitgerissen, konnte sich aber noch retten. Das Geschäft seiner Frau wurde komplett zerstört. Jetzt heißt es weideraufbauen, sagt Broere. Und hoffen, dass die Kunden wieder zum Einkaufen nach Bad Münstereifel kommen.
Der Schulleiter des St.-Angela-Gymnasiums Bernhard Helfer war geschockt von der Zerstörung, die das Wasser in der Schule angerichtet hat. Er sieht den Wiederaufbau allerdings als Chance und große Verantwortung. Denn nun heiße es Weichen stellen für die Schule der nächsten Jahrzehnte.
17. November 2021: Flutprotokolle Spezial aus Erftstadt-Blessem
Gerd Schiffer, Koordinator für den Wiederaufbau, berichtet vom Wiederaufbau
Vier Monate ist es her, dass eine Flutwelle Blessem verwüstete, Häuser zum Einstürzen brachte, Autos mit sich riss, Menschen ihrer Existenzgrundlage beraubte. Jetzt ist Zeit zu schauen, was seitdem passiert ist, und zu hören, was noch passieren wird. Ein Ortstermin mit Gerd Schiffer an der Stelle, wo vor vier Monaten das Wasser einen riesigen Krater gerissen und der Stadt eine tiefe Wunde geschlagen hat.
Der Koordinator für den Wiederaufbau bewegt sich auf der Baustelle, als sei er dort zu Hause. Kurz nach der Katastrophe hat die Stadt Brühl ihren Beigeordneten ins Krisengebiet ausgeliehen, aus der Nachbarschaftshilfe wird zu Beginn des kommenden Jahres eine Festanstellung als Leiter der Stabsstelle für die nächsten fünf Jahre.
Bilder von der Abbruchkante in Blessem gingen um die Welt
Wie oft Gerd Schiffer in den vergangenen Monaten in Blessem war, wie oft er an der Abbruchkante gestanden hat, das kann er nicht sagen. Auch nicht, wie viele Blessemer er dabei kennengelernt hat. Aber dass er um genau dieser Menschen willen den Job angenommen hat, das nimmt man ihm ab.
Wir treffen Gerd Schiffer an der Stelle, deren Bilder im Juli um die Welt gegangen sind, dort, wo die Radmacher Straße weggebrochen war. „Wir stehen auf festem Boden, die Abbruchkante ist weitgehend verfüllt, die Straße wird in wenigen Wochen wiederhergestellt“, sagt er. Kleine Holzpfähle markieren den Straßenverlauf, Kanal, Strom- und Wasserleitungen sind verlegt worden, als nächstes folgt der Unterbau. Zieltermin: „Vor Weihnachten.“
Häuser mussten abgebrochen werden
Vier Häuser an der Radmacherstraße waren durch die Flut so stark beschädigt, dass sie abgebrochen werden mussten. Schiffer sagt: „Wir haben den Eigentümern schon frohe Kunde geben können, dass sie auf ihren Grundstücken wieder bauen können.“ Die Grundstücke seien bis zu 70 Meter tief, die Häuser könnten ein Stück von der Straße entfernt auf gewachsenem Boden errichtet werden.
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Die Abbruchkante an der Burg Blessem habe ihm große Sorgen gemacht, sagt der Leiter des Wiederaufbaustabs. Die sei erstmal mit dem Kies, der an Ort und Stelle war, abgefangen worden. „Heute können wir sagen, die kompletten Abbruchkanten in Blessem sind gesichert, die Arbeiten schreiten weiter voran.“ Die Böschungen würden noch weiter abgeflacht, später werde dann der Erosionskrater vollständig verfüllt.Auf der ebenen Fläche, die sich jetzt noch unter dem Niveau des Dorfes erstreckt, liegen noch Teile des alten Kanals. Auch die würden weggebracht. Schiffer: „Alle Trümmer, alles, was aus Blessem in den Krater gespült worden ist, ist dann beseitigt.“
Gute Nachrichten für die Besitzer der Reithalle
Eines der Sinnbilder der Katastrophe war die Reithalle des Veltenhofs (hier geht es zum Flutprotokolle-Video zwei Monate nach der Flut), die zu gut einem Drittel weggebrochen war. Auch für die Eigentümer, die Familie Spoo, hat Schiffer gute Nachrichten: Bodengutachter hätten grünes Licht gegeben, dass die Halle dort wieder vollständig aufgebaut werden könne. „Wir haben sie sehr gewissenhaft abgetrennt,“ betont er.
Einstimmige Resolution gegen die Kiesgrube
In wenigen Jahren werde es dort, wo heute eine riesige Baustelle sei, ganz anders aussehen. Dann werde die Radmacher Straße wieder bebaut sein, dahinter soll sich eine Auenlandschaft erstrecken. Zwischen Straße und Flussaue werde es eine Fläche geben, die mit den Bürgerinnen und Bürgern gestaltet werde. „Es soll auch ein Stück Erinnerungskultur an dieses schreckliche Ereignis entstehen.“
Die Blessemer zeigen mit den vielen gelben Bannern, die an Häusern und Zäunen hängen, ihre Haltung zu der Kiesgrube, von der aus sich nach dem Dammbruch der Erft die Flutwelle in den Ort gefressen hatte. Gerd Schiffer verweist auf die einstimmige Resolution des Stadtrats, dass die Grube nicht weiterbetrieben werden soll. Die Entscheidung fälle aber nicht die Stadt, sondern die Bezirksregierung Arnsberg mit dem Eigentümer. Ob die Entscheidung dort in den richtigen Händen liegt? Gerd Schiffers Antwort, zum ersten Mal fast einsilbig: „Da sage ich nichts zu.“
10. November 2021: Flutprotokolle aus Weilerswist-Metternich – Wiedereröffnungen, Bücherrettung und Ärger über Hilfsanträge
Heike und Jörg Carstensen betreiben das „Landhotel zum Schwan” in Metternich. Viele Monteure waren zufällig in der Flutnacht bei ihnen zu Gast. Nach dem Hochwasser halfen sie bei den Aufräumarbeiten, sodass das Hotel schnell wieder eröffnen konnte.
Marietta Thien ist Leiterin der Velbrück-Verlage in Metternich. Mehr als 25.000 Bücher wurden von der Flut komplett zerstört. Trotz der Baustellen finden auf dem Vierkanthof schon wieder Veranstaltungen statt.
Ortsbürgermeister Michael Freiherr Spies von Büllesheim berichtet von der Flut auf Burg Metternich. Für ihn hat die Flut gezeigt, dass die Digitalisierung bei solchen Ereignissen an ihre Grenzen stößt.
Monika Paul und Frank Fattler wohnen an der überschwemmten Ortsdurchfahrt. Sie finden, dass die Anträge zur Wiederaufbauhilfe einfacher gestaltet werden sollten. "Da werden Fragen gestellt, die für uns nicht immer nachvollziehbar sind", sagen sie.
Ilona Zündorff hat das Glück, bei der Schwiegermutter in der Nähe ihres zerstörten Hauses untergekommen zu sein. Dank eines gespendeten Kosmetikstuhls kann sie dort auch weiter arbeiten.
Udo Häner fordert von der Politik, sich Gedanken zum Katastrophenschutz zu machen. Er betreibt ein Steuerberaterbüro in Metternich, in dessen Büroräumen etwa 1,80 Meter hoch das Wasser stand.
29. Oktober 2021: Menschen aus Lechenich erzählen von den dramatischen Stunden im Awo-Seniorenheim
Wolfgang Schilling ist Geschäftsführer der Awo-Seniorenzentren. Er zeichnete verantwortlich für die Koordinierung, Evakuierung, Notunterbringung und Rückführung der Bewohner.
Christiane Schlösser ist Pflegehilfskraft im Awo-Seniorenzentrum und erlebte die Flutnacht vor Ort hautnah mit.
Tanja Gietzen ist Verwaltungsmitarbeiterin der Awo und zugleich Ortsbürgermeisterin des ebenfalls sehr stark flutgeschädigten Stadtteils Ahrem.
Dirk Schöneberg ist als Hausmeister im Seniorenheim tätig, und kommt ebenfalls aus Ahrem, wo er zunächst mit den Flutschäden im eigenen Haus beschäftigt war, bevor er nach Lechenich eilte.
Sibille Zerlett ist Bewohnerin des Seniorenheims und berichtet über die Dramatik und Folgen der nächtlichen Evakuierung.
Erwin Spriewald, ebenfalls Bewohner, sah von seinem Zimmer aus die Wassermassen, die nach Lechenich strömten. Er mahnt, dass wir alle unser Leben ändern und lernen müssen, im Einklang mit der Natur zu leben.
20. Oktober 2021: Kallerinnen und Kaller erzählen von ihrem Alltag nach der Flutnacht
Kirsten (56) und Thomas Pavlik (55) betreiben seit 16 Jahren die Buchhandlung „Pavlik“ in Kall. Thomas Pavlik versuchte am Hochwasserabend noch, dass Wasser wieder aus dem Geschäft zu bekommen. Ende November wollen sie spätestens wieder für ihre Kunden vor Ort sein.
Birgit Junctorius (48) wartete die ganze Nacht draußen vor der Haustür auf Hilfe und stand dabei hüfthoch im Wasser. Ihre Wohnung im Souterrain war nach 15 Minuten vollkommen überschwemmt gewesen. Das Haus muss die Familie vollständig abreißen, will aber an gleicher Stelle wieder aufbauen.
Marion (75) und Helmuth Henk (82) wohnen seit den 1980er in ihrem Haus neben der Urft. Sogar die Haustür wurde vom Wasser ausgehebelt und schwamm im Wohnzimmer, berichten sie über die Flutnacht. Weihnachten möchten sie wieder mit einem Baum im Wohnzimmer feiern.
Rolf Esser (63) ist Orthopädieschuhmeister und hat mit seiner Frau zusehen müssen, wie die Flut das Geschäft zerstört. Jetzt hat er nur noch die Werkstatt wieder aufgebaut. „Mit dem Schuhgeschäft werden wir nicht mehr weitermachen“, sagt Esser.
Jumna und Ramzia Al Merei sind 2015 aus Syrien geflüchtet und seit fünf Jahren in Kall. Aktuell wohnen sie alle zusammen in einer Ein-Zimmer-Wohnung, haben bei der Flut alles verloren – schon wieder. Trotzdem wollen sie so schnell wie möglich in ihre vorherige Wohnung zurück.
13. Oktober 2021: Das haben Betroffene aus Erftstadt-Friesheim erlebt
Martina Bergheim war am Vormittag der Hochwasserkatastrophe noch ganz entspannt Eis essen. „Es gab ja keine Warnung“, sagt sie. Das Haus, in dem sie mit ihrem Lebensgefährten wohnt, war gerade frisch renoviert.
Sabine und Uwe Laubner wollten ihre australischen Schäferhunde auf keinen Fall zurücklassen. Sie fühlen sich mittlerweile allein gelassen und wissen nicht, wie es weitergeht.
Daniela Denker lebt seit der Flut mit Sohn und Tochter in zwei Zimmern. Die Feuerwehr hat sie mit Schlauchboot gerettet.
Renate und Brigitte Fröhlich denken dankbar an die vielen Helfer zurück. Den Hofladen in ihrer alten Wasserburg haben die beiden rasch wieder eröffnet.
Stephan Daniel Bremer hat als Ortsbürgermeister von Friesheim eine Anlaufstelle organisiert. Er ist froh über den tollen Zusammenhalt im Dor
„Wie die Niagara-Fälle” – Flutprotokolle aus Bad Münstereifel-Arloff
6. Oktober 2021: Diesmal berichten Betroffene aus den Bad Münsterifeler Stadtteilen Arloff und Kirspenich, wie sie das Hochwasser erlebt haben, wie sie den Wiederaufbau stemmen, ob die Hilfen bei ihnen ankommen, was sie sich wünschen und wovor sie Angst haben. Wir haben auch gefragt, was ihnen Hoffnung in dieser Zeit schenkt und zeigen, wie ihre aktuelle Wohnsituation aussieht und welche Baustellen es noch gibt.
Simone Jansen-Windeck hat sich als Helferin engagiert. Sie findet psychologische Unterstützung für die Betroffenen wichtig und wünscht sich, dass die Beantragung der Wiederaufbauhilfen für Ältere vereinfacht wird. In Zukunft sollen mehr Menschen eine Chance auf eine Versicherung haben und besser auf den Katastrophenfall vorbereitet werden.
Christoph Cirkel wohnt seit sieben Jahren direkt an der Erft. Er wünscht sich für die Zukunft, dass die Wartungen an Talsperren, Rückhaltebecken und Straßen ordentlich durchgeführt werden und die Mauer an der Erft endlich vernünftig saniert wird.
Karl-Hubert Bonz war als Löschgruppenführer seit 16 Uhr am Tag der Flut im Einsatz. Die ersten Tage habe er nur funktioniert. Das Erlebte sei erst später im Urlaub so richtig rausgekommen. Der einzige Wunsch, den er für die Zukunft habe, sei, dass sowas nicht noch mal passiere.
Robert Zimmermann hat vor drei Jahren sein Elternhaus frisch renoviert. Die Flut hat das komplette Erdgeschoss und auch die Heizung zerstört.
Bernhard Franz und Rosemaria Schmitz warten mit der Renovierung ihres Kellers bis zum nächsten Frühjahr. Zunächst sollen die stärker betroffenen Menschen Hilfe bekommen.
Herbert und Jutta Faß warten, dass der Estrich verlegt wird, damit die Heizung eingebaut werden kann. Noch müssen sie aber auf die Handwerker warten.
Flutprotokolle: Menschen aus Bliesheim erzählen ihre Geschichte im Video
Auch knapp drei Monate nach der Flutkatastrophe sitzt der Schrecken bei den Betroffenen tief. Doch sie stecken nicht auf. Im Video erzählen sechs Erftstädter, wie ihr Leben nach dem Hochwasser aussieht und es jetzt weiter gehen soll.
Hier geht es zu Teil 1 unserer Flutprotokolle, in dem Betroffene aus Erftstadt-Blessem berichten, wie sie die Flut erlebt haben und erklären, wie es jetzt weiter.
Flutprotokolle: Zwei Monate nach dem Hochwasser
Zwei Monate nach der Flut haben Tausende Hände angepackt, viel Schutt wurde beseitigt, Übergangslösungen geschaffen. Die Betroffenen sind sind dankbar für die große Solidarität, doch jetzt kommt der Winter. Oft fehlt noch die Heizung, wenn es kalt und naß ist, können viele Arbeiten nicht fortschreiten.
Wir haben Menschen, die viel verloren haben, die Tag für Tag mit dem Wiederaufbau ihrer Häuser, Ihrer Geschäfte und Ihrer Existenz beschäftigt sind, nach ihrem Alltag nach der Flut gefragt. Im Video erzählen sie uns, wie sie die Aufgaben stemmen, ob die Hilfen bei ihnen ankommen, was sie sich wünschen und wovor sie Angst haben.