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„Ich kriege Gänsehaut“Sahm Bedachungen in Weilerswist gibt es seit 100 Jahren

Lesezeit 4 Minuten
Handwerker sitzen in einem Schwarz-Weiß-Gruppenfoto zusammen.

Auf dem Bild sind die Mitarbeiter von Peter Sahm in den 1960er Jahren zu sehen.

Der Weilerswister Betrieb wurde an die vierte Generation weitergegeben. Zeitweise sah es nicht so aus, als bliebe er in Familienhand.

„Wir haben vor 100 Jahren angefangen – genau hier, wo wir sitzen“, sagt Anita Sahm im kleinen Hof der Familie. Mit ihrer Tochter Anna-Sophia Sahm blickt sie auf die Geschichte ihres Dachdeckerbetriebs in Weilerswist zurück. Seit 1924 wird das Unternehmen von Generation zu Generation weitergeführt. Dabei war nicht immer klar, dass der Stab weitergereicht werden kann. Mutter und Tochter haben zunächst andere Wege eingeschlagen, sind aber doch beim familiären Gewerk gelandet.

Sahm Bedachungen in Weilerswist feiert 100-jähriges Firmenbestehen

Wenn sie über ihren Beruf erzählen, leuchten die Augen der Sahms. Dabei sei ihr Produkt „unemotional“, so Anna-Sophia Sahm: „Ein Dach muss in erster Linie dicht sein.“ Die Ausführung habe sich jedoch verändert. „Früher gab es Frankfurter Pfannen in zwei Farben, jetzt haben wir eine riesige Auswahl“, so Anita Sahm. Ihre Tochter ergänzt, dass mit der größeren Auswahl auch die Möglichkeiten zur kunstvollen Bedachung steigen.

Die Dachdeckerin steht an der Spitze eines Kirchturms.

1996 arbeitete Anita Sahm am Kirchturm von Weilerswist.

Insgesamt gebe es sehr viele Innovationen im Handwerk: der Einsatz von Drohnen, Solarziegel, begrünte Dächer, die mit der Aufnahme von Wasser das Kanalsystem entlasten. Die körperliche Belastung habe durch technische Neuerungen abgenommen, das komme den Mitarbeitern sehr zugute. An dieser Stelle streuen die beiden kurz ein, dass ein Mitarbeiter, der 50 Jahre im Unternehmen war, nur 27 Tage krankheitsbedingt gefehlt habe.

Anna-Sophia Sahm: „Jedes Dach ist einzigartig wie ein Fingerabdruck“

Ihren Erfolg erklären sie sich über die Bindung ihrer Mitarbeiter und ihrer Kundinnen und Kunden. „Ein Mitarbeiter bei uns ist nicht nur eine Zahl“, so Anna-Sophia Sahm, die auch lange als Funkemariechen im Karneval aktiv war. „Und wir bleiben immer im Kontakt zu unseren Kunden und lassen sie nicht so lange warten“, fügt ihre Mutter an. Gerade bei älteren Menschen sei es schön, das teils verloren gegangene Vertrauen in Handwerker wiederherzustellen.

Um sich vor schwarzen Schafen zu schützen, empfiehlt die Tochter die Wahl eines Innungsbetriebs – oder Bekannte nach ihren Erfahrungen zu fragen. Sie hat einen Tipp: Ein schnelles Angebot könne ein Alarmsignal sein. „Jedes Dach ist einzigartig wie ein Fingerabdruck“, so Anna-Sophia Sahm. Den Preis vor einer genauen Überprüfung festzulegen, sei schlichtweg unmöglich.

Die Flutkatastrophe änderte die Arbeit der Sahms von heute auf morgen

Die Verbundenheit ihrer Mitarbeiter führen Mutter und Tochter darauf zurück, dass sie seit jeher Familien- und Ausbildungsbetrieb sind.

Sie berichten davon, wie sie 2015 einen jungen Geflüchteten vermittelt bekommen und ausgebildet haben. Nach seiner erfolgreichen Gesellenprüfung sei sein Vetter ebenfalls im Betrieb ausgebildet worden. Während der Flutkatastrophe seien sechs Freunde der beiden aus Albanien zu Besuch gewesen: Gemeinsam haben sie den Keller der Sahms zehn Tage und Nächte lang entkernt. Einer ist geblieben: Der 31-Jährige ist jetzt im dritten Lehrjahr.

Ein Handwerker seilt sich an einem Kirchturm ab.

Hans Paffrath-Sahm seilt sich Anfang der 1980er von einem Kirchturm in Lommersum ab.

Die Flut, die viele emotional wertvolle Stücke wie Familienfotos zerstört hat, hat auch die Tätigkeit der Firma von heute auf morgen geändert: „Unsere Mitarbeiter waren über ein dreiviertel Jahr, sechs Tage die Woche, nur in Kellern unterwegs.“ Abdichtungen waren nötig. „Vor allem wird man dann ja immer mit den Schicksalen konfrontiert“, sagt die Mutter. „Das war für uns im Erstkontakt emotional schwer und ging auch den Mitarbeitern nahe“, pflichtet die Tochter bei. Anita Sahm bleiben besonders Einsätze in Metternich oder Heimerzheim im Gedächtnis. Ihre Tochter schüttelt es: „Ich kriege Gänsehaut.“

Anita Sahm lernte ihren Ehemann an der Bundesfachschule Mayen kennen

Dazu gab es private Herausforderungen. Nur die Übergabe des Betriebs einst von Josef zu Peter Sahm ist Anita Sahm zufolge im Vorhinein klar gewesen. Sie, mittlere von drei Töchtern, hatte die Übernahme des Betriebs zunächst nicht geplant. Das habe sich geändert, als ihr Vater Peter im Alter von 42 Jahren erkrankt sei: „Es hat Pling gemacht und ich dachte, dass ich die Familie retten muss.“ Sie kichert über ihre damals zugespitzte Sicht.

Eine Handwerkerin arbeitet auf einem Schieferdach.

Anna-Sophia Sahm hat sichtlich Freude an ihrer Arbeit.

Nach der Schulzeit habe sie im Betrieb eine Lehre angefangen und sei mittels einer Sondergenehmigung, erteilt aufgrund der Erkrankung ihres Vaters, vorzeitig nach vier Jahren an die Bundesfachschule nach Mayen gegangen – wo sie ihren späteren Ehemann Hans Paffrath traf, mit dem sie 1995 den Betrieb übernahm.

Anna-Sophia Sahm erlebte eine ähnliche Geschichte wie ihre Mutter

„Wir können die Geschichte mit mir fast noch einmal so schreiben“, stellt Anna-Sophia Sahm fest. Sie hat nach dem Abitur Handelsmanagement studiert und Groß- und Außenhandel gelernt. Als ihr Vater gesundheitliche Probleme bekam, wollte sie die Familie unterstützen – übergangsweise, im Büro: „Ich war überhaupt nicht vom Fach. Ich habe vielleicht mal mit dem Hammer ein Nägelchen in die Wand gedrückt.“

Schnell habe sie sich über ihr fehlendes Fachwissen geärgert und mit 30 eine Ausbildung zur Dachdeckerin begonnen, es folgte die Meisterschule in Köln. Sie hält inne: „Letztendlich ist ein Dach doch ein emotionales Produkt, denn es spendet Geborgenheit.“